Muskel gedoppelt so gros schäzzen, weil ein jeder Mus- kel, indem er sich zusammenzieht, so viel Kraft anwendet, um demjenigen Knochen, der dem Muskel sein festes Lager macht, zu widerstehen, als er auf die Aufhebung des Gewichts (e) verwendet. Er wirkt nämlich, weil er sich kurz macht, und seine Fasern gegen die Mitte des Muskels (f) herbeizieht; nun wird er zwar einer Seits von der Last ausgespannt, und er überwindet dieses Aus- strekken durch sein Vermögen, sich zusammen zu ziehen; andrer Seits wird er mit gleich grosser Kraft von dem Wiederstande des Knochens ausgestrekkt, und er mus also dieser Ausstrekkung eben so grosse zusammenziehende Kräfte entgegen stellen, wenn er sich nicht ausstrekken lassen will. Um die Sache besser zu verstehen, haben einige berümte Männer (g) Zweifel aufgeworfen, und man sezze, daß der Muskel eine Saite sei, die theils an einen Nagel, an einer unbeweglichen Wand, aufgehängt, theils von einem Gewichte herabgezogen würde: hier, sage ich nun, daß die Saite nicht blos von dem einfach angehängten Gewichte, sondern von diesem Gewichte gedoppelt herab- gezogen wird, indem es der Nagel so sehr zurükke zieht, als es das Gewichte ausstrekkt. Damit man auch den Widerstand der festen Wand einfacher machen könne, so nehme man an, daß, an ihrer Statt, der Nagel auf einem unbeweglichen Hebel auf liege, und daß er queer über die- sem Hebel im Gleichgewichte ruhe. Man siehet alsdenn leicht ein, wie der Hebel ein Gewichte haben müsse, welches über dem Nagel an ihn angehängt, und das so gros, als das angehängte Gewicht sei, wenn das Gleich- gewichte herauskommen soll.
Folglich wird ein Seil sowol von dem Gewichte, wel- ches an ihm hängt, herab, als auch von dem Gewichte hinaufgezogen, welches mit diesem im Gleichgewichte steht.
Es
(e)[Spaltenumbruch]BORELL. prop. 31 - - 36. Conf. GRAVEZAND. p. 60.
(f)[Spaltenumbruch]p. 472.
(g)PEMBERTON introd. ad COWPERI Myotomiam.
Thieriſche Bewegung. XI. Buch.
Muſkel gedoppelt ſo gros ſchaͤzzen, weil ein jeder Muſ- kel, indem er ſich zuſammenzieht, ſo viel Kraft anwendet, um demjenigen Knochen, der dem Muſkel ſein feſtes Lager macht, zu widerſtehen, als er auf die Aufhebung des Gewichts (e) verwendet. Er wirkt naͤmlich, weil er ſich kurz macht, und ſeine Faſern gegen die Mitte des Muſkels (f) herbeizieht; nun wird er zwar einer Seits von der Laſt ausgeſpannt, und er uͤberwindet dieſes Aus- ſtrekken durch ſein Vermoͤgen, ſich zuſammen zu ziehen; andrer Seits wird er mit gleich groſſer Kraft von dem Wiederſtande des Knochens ausgeſtrekkt, und er mus alſo dieſer Ausſtrekkung eben ſo groſſe zuſammenziehende Kraͤfte entgegen ſtellen, wenn er ſich nicht ausſtrekken laſſen will. Um die Sache beſſer zu verſtehen, haben einige beruͤmte Maͤnner (g) Zweifel aufgeworfen, und man ſezze, daß der Muſkel eine Saite ſei, die theils an einen Nagel, an einer unbeweglichen Wand, aufgehaͤngt, theils von einem Gewichte herabgezogen wuͤrde: hier, ſage ich nun, daß die Saite nicht blos von dem einfach angehaͤngten Gewichte, ſondern von dieſem Gewichte gedoppelt herab- gezogen wird, indem es der Nagel ſo ſehr zuruͤkke zieht, als es das Gewichte ausſtrekkt. Damit man auch den Widerſtand der feſten Wand einfacher machen koͤnne, ſo nehme man an, daß, an ihrer Statt, der Nagel auf einem unbeweglichen Hebel auf liege, und daß er queer uͤber die- ſem Hebel im Gleichgewichte ruhe. Man ſiehet alsdenn leicht ein, wie der Hebel ein Gewichte haben muͤſſe, welches uͤber dem Nagel an ihn angehaͤngt, und das ſo gros, als das angehaͤngte Gewicht ſei, wenn das Gleich- gewichte herauskommen ſoll.
Folglich wird ein Seil ſowol von dem Gewichte, wel- ches an ihm haͤngt, herab, als auch von dem Gewichte hinaufgezogen, welches mit dieſem im Gleichgewichte ſteht.
Es
(e)[Spaltenumbruch]BORELL. prop. 31 - - 36. Conf. GRAVEZAND. p. 60.
(f)[Spaltenumbruch]p. 472.
(g)PEMBERTON introd. ad COWPERI Myotomiam.
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Thieriſche Bewegung. XI. Buch.
Muſkel gedoppelt ſo gros ſchaͤzzen, weil ein jeder Muſ-
kel, indem er ſich zuſammenzieht, ſo viel Kraft anwendet,
um demjenigen Knochen, der dem Muſkel ſein feſtes Lager
macht, zu widerſtehen, als er auf die Aufhebung des
Gewichts (e) verwendet. Er wirkt naͤmlich, weil er
ſich kurz macht, und ſeine Faſern gegen die Mitte des
Muſkels (f) herbeizieht; nun wird er zwar einer Seits
von der Laſt ausgeſpannt, und er uͤberwindet dieſes Aus-
ſtrekken durch ſein Vermoͤgen, ſich zuſammen zu ziehen;
andrer Seits wird er mit gleich groſſer Kraft von dem
Wiederſtande des Knochens ausgeſtrekkt, und er mus alſo
dieſer Ausſtrekkung eben ſo groſſe zuſammenziehende Kraͤfte
entgegen ſtellen, wenn er ſich nicht ausſtrekken laſſen will.
Um die Sache beſſer zu verſtehen, haben einige beruͤmte
Maͤnner (g) Zweifel aufgeworfen, und man ſezze, daß
der Muſkel eine Saite ſei, die theils an einen Nagel,
an einer unbeweglichen Wand, aufgehaͤngt, theils von
einem Gewichte herabgezogen wuͤrde: hier, ſage ich nun,
daß die Saite nicht blos von dem einfach angehaͤngten
Gewichte, ſondern von dieſem Gewichte gedoppelt herab-
gezogen wird, indem es der Nagel ſo ſehr zuruͤkke zieht,
als es das Gewichte ausſtrekkt. Damit man auch den
Widerſtand der feſten Wand einfacher machen koͤnne, ſo
nehme man an, daß, an ihrer Statt, der Nagel auf einem
unbeweglichen Hebel auf liege, und daß er queer uͤber die-
ſem Hebel im Gleichgewichte ruhe. Man ſiehet alsdenn
leicht ein, wie der Hebel ein Gewichte haben muͤſſe,
welches uͤber dem Nagel an ihn angehaͤngt, und das ſo
gros, als das angehaͤngte Gewicht ſei, wenn das Gleich-
gewichte herauskommen ſoll.
Folglich wird ein Seil ſowol von dem Gewichte, wel-
ches an ihm haͤngt, herab, als auch von dem Gewichte
hinaufgezogen, welches mit dieſem im Gleichgewichte ſteht.
Es
(e)
BORELL. prop. 31 - - 36.
Conf. GRAVEZAND. p. 60.
(f)
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(g) PEMBERTON introd.
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Haller, Albrecht von: Anfangsgründe der Phisiologie des menschlichen Körpers. Bd. 5. Berlin, 1772, S. 86. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/haller_anfangsgruende05_1772/104>, abgerufen am 24.11.2024.
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