Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Haller, Albrecht von: Anfangsgründe der Phisiologie des menschlichen Körpers. Bd. 5. Berlin, 1772.

Bild:
<< vorherige Seite

I. Abschnitt. Der Verstand.
als unsre geben könne, ob es uns gleich auf keinerlei Art
möglich ist, von dem Bau der Werkzeuge, oder der Natur
eines solchen Sinnes einige Begriffe zu haben. Und es
ist ein blosser Scherz, was einige von einem besondern
Sinne der Verliebten geträumet haben (o).

§. 4.
Das Empfinden.

Folglich kommen diese verschiedene Sachen, erstlich
auf die äusserlichen Gegenstände, nebst deren wirklichen
Eigenschaften (p): zweitens auf ihren Eindrukk auf die
Werkzeuge der Sinnen (q): drittens auf die körperliche
Wirkung dieser Eindrükke, welche in das Gehirn über-
getragen werden (r): viertens auf die Vorstellung dieser
Wirkung in der Seele (s) an. Und hier wird es wie-
derum wahrscheinlich, daß berühmte Männer mit Recht
geschlossen (t), daß alles willkürlich sei, was uns Gott von
der Welt zu erkennen verstattet, und nicht nothwendig.
Es könnte sich die rothe Farbe im Auge auf eine andere
Weise abmahlen, in das Gehirn einen andern Eindrukk
machen, und in der Seele eine andere Jdee hervorbringen.

Jndessen werden wir darum doch nicht hintergangen
werden, ob wir gleich nur die Merkmaale, und nicht
die Sachen selbst empfinden: wenn nur diese Empfindung
der Merkmaale so beständig ist, daß von einerlei Ursachen
allezeit ähnliche Vorstellungen, und in jedem Menschen
und in allen Menschen erzeuget werden: ich sage ähnliche,
nicht aber eben dieselben: und wenn nur bei diesen Merk-
maalen der Dinge, zur Regel für das menschliche Leben,
zu unserm Schuzze und Glükke, sichere Vorschriften ge-
geben werden können. So versichern uns die Pappire,

auf
(o) [Spaltenumbruch] Acht LAMY, Liebe, Hun-
ger, Durst ame sensitive. Gedächt-
niß ist ein successio sensus. HOO-
KE posth. p. 139. seqq.
(p) pag. 533.
(q) [Spaltenumbruch] pag. 529.
(r) pag. 521.
(s) pag. 532.
(t) BERKLEY Alciphron. Auch
BOERHAAVE.

I. Abſchnitt. Der Verſtand.
als unſre geben koͤnne, ob es uns gleich auf keinerlei Art
moͤglich iſt, von dem Bau der Werkzeuge, oder der Natur
eines ſolchen Sinnes einige Begriffe zu haben. Und es
iſt ein bloſſer Scherz, was einige von einem beſondern
Sinne der Verliebten getraͤumet haben (o).

§. 4.
Das Empfinden.

Folglich kommen dieſe verſchiedene Sachen, erſtlich
auf die aͤuſſerlichen Gegenſtaͤnde, nebſt deren wirklichen
Eigenſchaften (p): zweitens auf ihren Eindrukk auf die
Werkzeuge der Sinnen (q): drittens auf die koͤrperliche
Wirkung dieſer Eindruͤkke, welche in das Gehirn uͤber-
getragen werden (r): viertens auf die Vorſtellung dieſer
Wirkung in der Seele (s) an. Und hier wird es wie-
derum wahrſcheinlich, daß beruͤhmte Maͤnner mit Recht
geſchloſſen (t), daß alles willkuͤrlich ſei, was uns Gott von
der Welt zu erkennen verſtattet, und nicht nothwendig.
Es koͤnnte ſich die rothe Farbe im Auge auf eine andere
Weiſe abmahlen, in das Gehirn einen andern Eindrukk
machen, und in der Seele eine andere Jdee hervorbringen.

Jndeſſen werden wir darum doch nicht hintergangen
werden, ob wir gleich nur die Merkmaale, und nicht
die Sachen ſelbſt empfinden: wenn nur dieſe Empfindung
der Merkmaale ſo beſtaͤndig iſt, daß von einerlei Urſachen
allezeit aͤhnliche Vorſtellungen, und in jedem Menſchen
und in allen Menſchen erzeuget werden: ich ſage aͤhnliche,
nicht aber eben dieſelben: und wenn nur bei dieſen Merk-
maalen der Dinge, zur Regel fuͤr das menſchliche Leben,
zu unſerm Schuzze und Gluͤkke, ſichere Vorſchriften ge-
geben werden koͤnnen. So verſichern uns die Pappire,

auf
(o) [Spaltenumbruch] Acht LAMY, Liebe, Hun-
ger, Durſt ame ſenſitive. Gedaͤcht-
niß iſt ein ſucceſſio ſenſus. HOO-
KE poſth. p. 139. ſeqq.
(p) pag. 533.
(q) [Spaltenumbruch] pag. 529.
(r) pag. 521.
(s) pag. 532.
(t) BERKLEY Alciphron. Auch
BOERHAAVE.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f1069" n="1051"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b"><hi rendition="#aq">I.</hi> Ab&#x017F;chnitt. Der Ver&#x017F;tand.</hi></fw><lb/>
als un&#x017F;re geben ko&#x0364;nne, ob es uns gleich auf keinerlei Art<lb/>
mo&#x0364;glich i&#x017F;t, von dem Bau der Werkzeuge, oder der Natur<lb/>
eines &#x017F;olchen Sinnes einige Begriffe zu haben. Und es<lb/>
i&#x017F;t ein blo&#x017F;&#x017F;er Scherz, was einige von einem be&#x017F;ondern<lb/>
Sinne der Verliebten getra&#x0364;umet haben <note place="foot" n="(o)"><cb/>
Acht <hi rendition="#aq">LAMY,</hi> Liebe, Hun-<lb/>
ger, Dur&#x017F;t <hi rendition="#aq">ame &#x017F;en&#x017F;itive.</hi> Geda&#x0364;cht-<lb/>
niß i&#x017F;t ein <hi rendition="#aq">&#x017F;ucce&#x017F;&#x017F;io &#x017F;en&#x017F;us. HOO-<lb/>
KE po&#x017F;th. p. 139. &#x017F;eqq.</hi></note>.</p>
          </div><lb/>
          <div n="3">
            <head>§. 4.<lb/>
Das Empfinden.</head><lb/>
            <p>Folglich kommen die&#x017F;e ver&#x017F;chiedene Sachen, <hi rendition="#fr">er&#x017F;tlich</hi><lb/>
auf die a&#x0364;u&#x017F;&#x017F;erlichen Gegen&#x017F;ta&#x0364;nde, neb&#x017F;t deren wirklichen<lb/>
Eigen&#x017F;chaften <note place="foot" n="(p)"><hi rendition="#aq">pag.</hi> 533.</note>: <hi rendition="#fr">zweitens</hi> auf ihren Eindrukk auf die<lb/>
Werkzeuge der Sinnen <note place="foot" n="(q)"><cb/><hi rendition="#aq">pag.</hi> 529.</note>: <hi rendition="#fr">drittens</hi> auf die ko&#x0364;rperliche<lb/>
Wirkung die&#x017F;er Eindru&#x0364;kke, welche in das Gehirn u&#x0364;ber-<lb/>
getragen werden <note place="foot" n="(r)"><hi rendition="#aq">pag.</hi> 521.</note>: <hi rendition="#fr">viertens</hi> auf die Vor&#x017F;tellung die&#x017F;er<lb/>
Wirkung in der Seele <note place="foot" n="(s)"><hi rendition="#aq">pag.</hi> 532.</note> an. Und hier wird es wie-<lb/>
derum wahr&#x017F;cheinlich, daß beru&#x0364;hmte Ma&#x0364;nner mit Recht<lb/>
ge&#x017F;chlo&#x017F;&#x017F;en <note place="foot" n="(t)"><hi rendition="#aq">BERKLEY Alciphron.</hi> Auch<lb/><hi rendition="#aq">BOERHAAVE.</hi></note>, daß alles willku&#x0364;rlich &#x017F;ei, was uns Gott von<lb/>
der Welt zu erkennen ver&#x017F;tattet, und nicht nothwendig.<lb/>
Es ko&#x0364;nnte &#x017F;ich die rothe Farbe im Auge auf eine andere<lb/>
Wei&#x017F;e abmahlen, in das Gehirn einen andern Eindrukk<lb/>
machen, und in der Seele eine andere Jdee hervorbringen.</p><lb/>
            <p>Jnde&#x017F;&#x017F;en werden wir darum doch nicht hintergangen<lb/>
werden, ob wir gleich nur die <hi rendition="#fr">Merkmaale,</hi> und nicht<lb/>
die Sachen &#x017F;elb&#x017F;t empfinden: wenn nur die&#x017F;e Empfindung<lb/>
der Merkmaale &#x017F;o be&#x017F;ta&#x0364;ndig i&#x017F;t, daß von einerlei Ur&#x017F;achen<lb/>
allezeit a&#x0364;hnliche Vor&#x017F;tellungen, und in jedem Men&#x017F;chen<lb/>
und in allen Men&#x017F;chen erzeuget werden: ich &#x017F;age a&#x0364;hnliche,<lb/>
nicht aber eben die&#x017F;elben: und wenn nur bei die&#x017F;en Merk-<lb/>
maalen der Dinge, zur Regel fu&#x0364;r das men&#x017F;chliche Leben,<lb/>
zu un&#x017F;erm Schuzze und Glu&#x0364;kke, &#x017F;ichere Vor&#x017F;chriften ge-<lb/>
geben werden ko&#x0364;nnen. So ver&#x017F;ichern uns die Pappire,<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">auf</fw><lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[1051/1069] I. Abſchnitt. Der Verſtand. als unſre geben koͤnne, ob es uns gleich auf keinerlei Art moͤglich iſt, von dem Bau der Werkzeuge, oder der Natur eines ſolchen Sinnes einige Begriffe zu haben. Und es iſt ein bloſſer Scherz, was einige von einem beſondern Sinne der Verliebten getraͤumet haben (o). §. 4. Das Empfinden. Folglich kommen dieſe verſchiedene Sachen, erſtlich auf die aͤuſſerlichen Gegenſtaͤnde, nebſt deren wirklichen Eigenſchaften (p): zweitens auf ihren Eindrukk auf die Werkzeuge der Sinnen (q): drittens auf die koͤrperliche Wirkung dieſer Eindruͤkke, welche in das Gehirn uͤber- getragen werden (r): viertens auf die Vorſtellung dieſer Wirkung in der Seele (s) an. Und hier wird es wie- derum wahrſcheinlich, daß beruͤhmte Maͤnner mit Recht geſchloſſen (t), daß alles willkuͤrlich ſei, was uns Gott von der Welt zu erkennen verſtattet, und nicht nothwendig. Es koͤnnte ſich die rothe Farbe im Auge auf eine andere Weiſe abmahlen, in das Gehirn einen andern Eindrukk machen, und in der Seele eine andere Jdee hervorbringen. Jndeſſen werden wir darum doch nicht hintergangen werden, ob wir gleich nur die Merkmaale, und nicht die Sachen ſelbſt empfinden: wenn nur dieſe Empfindung der Merkmaale ſo beſtaͤndig iſt, daß von einerlei Urſachen allezeit aͤhnliche Vorſtellungen, und in jedem Menſchen und in allen Menſchen erzeuget werden: ich ſage aͤhnliche, nicht aber eben dieſelben: und wenn nur bei dieſen Merk- maalen der Dinge, zur Regel fuͤr das menſchliche Leben, zu unſerm Schuzze und Gluͤkke, ſichere Vorſchriften ge- geben werden koͤnnen. So verſichern uns die Pappire, auf (o) Acht LAMY, Liebe, Hun- ger, Durſt ame ſenſitive. Gedaͤcht- niß iſt ein ſucceſſio ſenſus. HOO- KE poſth. p. 139. ſeqq. (p) pag. 533. (q) pag. 529. (r) pag. 521. (s) pag. 532. (t) BERKLEY Alciphron. Auch BOERHAAVE.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/haller_anfangsgruende05_1772
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/haller_anfangsgruende05_1772/1069
Zitationshilfe: Haller, Albrecht von: Anfangsgründe der Phisiologie des menschlichen Körpers. Bd. 5. Berlin, 1772, S. 1051. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/haller_anfangsgruende05_1772/1069>, abgerufen am 23.11.2024.