Seele empfunden, welche nicht einmal von der Bewegung eine Jdee hat, sondern blos die Wirkung von dem erst hie, und denn dort befindlichen Körper sich vorstellt.
Daher kömmt es ferner, daß die Sinne hin und wie- der unter einander unterschieden zu sein scheinen, und das Auge auf andere Art, das Ohr wieder auf andere Art, hingegen der Finger anders von eben demselben Körper zu einerlei Zeit gerühret wird: ja es verbindet schon eine oft wiederholte Erfahrung allein, fühlbare Eigenschaften der Körper, mit den sichtbaren (k). So beschrieb ein Blinder, als er hörete, daß der Scharlach vor andern eine brennende Farbe habe, diese Lebhaftigkeit durch den Schall einer Trompete (l).
Und dadurch geschieht es endlich, daß in uns bald diese, bald andre Jdeen entstehen würden, wenn uns die Natur andre Empfindungswerkzeuge verliehen hätte. Es lieget nämlich in den Dingen selbst gar keine Nothwendig- keit, daß solche nicht anders, als durch diese Sinne er- kannt werden könnten, und ich zweifle nicht im geringsten, daß wir nicht mit andern Sinnen (m), das magnetische und elektrische Flüßige, und den Aether eben so deutlich empfinden können sollten, als wir Bäche Wasser, oder die blizzende Stachel des Feuers erkennen. Wenigstens müssen andre Seelen diese für unsre Sinne zu zarte Ele- mente, mit gewissen Sinnen eben so leicht empfinden kön- nen (n). So würde das ganze Reich des Lichtes, und der Farben für uns so gut, als nichts sein, wofern uns die Natur alle blind gemacht hätte: und was würde der gan- ze Umfang des Schalls uns helfen, wenn wir taub wären. Schon lange haben manche geurtheilt, daß es mehr Sinne,
als
(k)[Spaltenumbruch]BERKLEY theor. of Vis pag. 251.
(l)apud BOYLEUM.
(m) Auch verschiedne Menschen haben ein verschiedenes Gefühl; Trägern schadet nichts, was an- [Spaltenumbruch]
dern zarten Personen zur Last fällt. PORTERFIELD T. II. p. 348.
(n)DEMOCRITUS apud PLU- TARCHUM peri ton areskonton d MONTAGNI, BOHN p. 298.
Der Verſtand. XVII. Buch.
Seele empfunden, welche nicht einmal von der Bewegung eine Jdee hat, ſondern blos die Wirkung von dem erſt hie, und denn dort befindlichen Koͤrper ſich vorſtellt.
Daher koͤmmt es ferner, daß die Sinne hin und wie- der unter einander unterſchieden zu ſein ſcheinen, und das Auge auf andere Art, das Ohr wieder auf andere Art, hingegen der Finger anders von eben demſelben Koͤrper zu einerlei Zeit geruͤhret wird: ja es verbindet ſchon eine oft wiederholte Erfahrung allein, fuͤhlbare Eigenſchaften der Koͤrper, mit den ſichtbaren (k). So beſchrieb ein Blinder, als er hoͤrete, daß der Scharlach vor andern eine brennende Farbe habe, dieſe Lebhaftigkeit durch den Schall einer Trompete (l).
Und dadurch geſchieht es endlich, daß in uns bald dieſe, bald andre Jdeen entſtehen wuͤrden, wenn uns die Natur andre Empfindungswerkzeuge verliehen haͤtte. Es lieget naͤmlich in den Dingen ſelbſt gar keine Nothwendig- keit, daß ſolche nicht anders, als durch dieſe Sinne er- kannt werden koͤnnten, und ich zweifle nicht im geringſten, daß wir nicht mit andern Sinnen (m), das magnetiſche und elektriſche Fluͤßige, und den Aether eben ſo deutlich empfinden koͤnnen ſollten, als wir Baͤche Waſſer, oder die blizzende Stachel des Feuers erkennen. Wenigſtens muͤſſen andre Seelen dieſe fuͤr unſre Sinne zu zarte Ele- mente, mit gewiſſen Sinnen eben ſo leicht empfinden koͤn- nen (n). So wuͤrde das ganze Reich des Lichtes, und der Farben fuͤr uns ſo gut, als nichts ſein, wofern uns die Natur alle blind gemacht haͤtte: und was wuͤrde der gan- ze Umfang des Schalls uns helfen, wenn wir taub waͤren. Schon lange haben manche geurtheilt, daß es mehr Sinne,
als
(k)[Spaltenumbruch]BERKLEY theor. of Vis pag. 251.
(l)apud BOYLEUM.
(m) Auch verſchiedne Menſchen haben ein verſchiedenes Gefuͤhl; Traͤgern ſchadet nichts, was an- [Spaltenumbruch]
dern zarten Perſonen zur Laſt faͤllt. PORTERFIELD T. II. p. 348.
(n)DEMOCRITUS apud PLU- TARCHUM peri ton areſkonton d MONTAGNI, BOHN p. 298.
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Der Verſtand. XVII. Buch.
Seele empfunden, welche nicht einmal von der Bewegung
eine Jdee hat, ſondern blos die Wirkung von dem erſt
hie, und denn dort befindlichen Koͤrper ſich vorſtellt.
Daher koͤmmt es ferner, daß die Sinne hin und wie-
der unter einander unterſchieden zu ſein ſcheinen, und das
Auge auf andere Art, das Ohr wieder auf andere Art,
hingegen der Finger anders von eben demſelben Koͤrper
zu einerlei Zeit geruͤhret wird: ja es verbindet ſchon eine
oft wiederholte Erfahrung allein, fuͤhlbare Eigenſchaften
der Koͤrper, mit den ſichtbaren (k). So beſchrieb ein
Blinder, als er hoͤrete, daß der Scharlach vor andern
eine brennende Farbe habe, dieſe Lebhaftigkeit durch den
Schall einer Trompete (l).
Und dadurch geſchieht es endlich, daß in uns bald
dieſe, bald andre Jdeen entſtehen wuͤrden, wenn uns die
Natur andre Empfindungswerkzeuge verliehen haͤtte. Es
lieget naͤmlich in den Dingen ſelbſt gar keine Nothwendig-
keit, daß ſolche nicht anders, als durch dieſe Sinne er-
kannt werden koͤnnten, und ich zweifle nicht im geringſten,
daß wir nicht mit andern Sinnen (m), das magnetiſche
und elektriſche Fluͤßige, und den Aether eben ſo deutlich
empfinden koͤnnen ſollten, als wir Baͤche Waſſer, oder
die blizzende Stachel des Feuers erkennen. Wenigſtens
muͤſſen andre Seelen dieſe fuͤr unſre Sinne zu zarte Ele-
mente, mit gewiſſen Sinnen eben ſo leicht empfinden koͤn-
nen (n). So wuͤrde das ganze Reich des Lichtes, und der
Farben fuͤr uns ſo gut, als nichts ſein, wofern uns die
Natur alle blind gemacht haͤtte: und was wuͤrde der gan-
ze Umfang des Schalls uns helfen, wenn wir taub waͤren.
Schon lange haben manche geurtheilt, daß es mehr Sinne,
als
(k)
BERKLEY theor. of Vis
pag. 251.
(l) apud BOYLEUM.
(m) Auch verſchiedne Menſchen
haben ein verſchiedenes Gefuͤhl;
Traͤgern ſchadet nichts, was an-
dern zarten Perſonen zur Laſt faͤllt.
PORTERFIELD T. II. p. 348.
(n) DEMOCRITUS apud PLU-
TARCHUM peri ton areſkonton
d MONTAGNI, BOHN p.
298.
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Haller, Albrecht von: Anfangsgründe der Phisiologie des menschlichen Körpers. Bd. 5. Berlin, 1772, S. 1050. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/haller_anfangsgruende05_1772/1068>, abgerufen am 22.11.2024.
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