Greise, welcher ohne Gedächtnis, und ohne Empfindung lebte, daß er nicht einmal nach Speise fragte, noch irgend et- was begehrte (b). Folglich scheinet sich das Gedächtnis nach der körperlichen Beschaffenheit des Gehirns zu richten, und mit demselben zu wachsen, und abzunehmen.
Es gehören ferner hieher, die von uns angeführte Exempel von Menschen, welche durch Krankheiten und Verlezzungen des Kopfes, das Gedächtnis verlohren, oder doch einen ansehnlichen Verlust daran erlitten haben. Je- mand, welcher ein vortrefliches Gedächtnis besas, und sich bis ins dreißigste Jahr vom Weine enthalten hatte, verlohr ein ziemliches von seinem Gedächtnisse, da er den Wein wieder zu trinken anfing (b+). Durch ein Flußfieber haben auch vortrefliche Köpfe ihr Gedächtnis verlohren (b*). Jn der Pest zu Athen büsten viele ihr Gedächtnis ein (b**). Nach einer hizzigen Krankheit verlohr sich das Gedächtnis (c), und es wurde so schwach, daß man von neuem Mensa dekliniren lernen muste, welches dem be- rühmten Hanow begegnete (d). Nach einem starken Kopfweh wurde ein anderer wieder besser, welcher sich seines Vaterlandes und seiner Verwandten nicht mehr erin- nern konnte (e). Von einer hizzigen Krankheit, dabei sich einige kleine Knochen zwischen den Platten der Sichel zeig- ten, verging das Gedächtnis (f). Von einem Aufhän- gen (g), und nach dem Schlage verlohr sich fast das gan- ze Gedächtnis, daß jemand die Buchstaben nicht mehr lesen konnte (h), und gemeiniglich leidet, oder vergehet, das Gedächtnis (i) nach dem Schlage. Von einem Lie-
bes-
(b)[Spaltenumbruch]FISCHER de senio p. 67. 111.
(b+)SCHULZE de granis Kerm. pag 28.
(b*)Mem. de l'Acad. 1754. p. 514.
(b**)THUCYDIDES
(c)IUCH de singulari memor. laesione HARDER apiar. p. 122.
(d)STRODTMANN in vita desselden.
(e)SALMUTH II. n. 41.
(f)[Spaltenumbruch]Histoire de l'Acad. des scien- ces 1711. p. 27.
(g)ARVIEUX Mem. I. p. 402. vergas alles, was ihm begegnet war.
(h)EBERHART Vorles. p. 902. 903. WEPFER apopl. p. 245. 246.
(i)WEPFER apopl. p. 248. de morb. cap. obs. 67. 101. 103. 167. 98. 99. 100. 102. 109.
Der Verſtand. XVII. Buch.
Greiſe, welcher ohne Gedaͤchtnis, und ohne Empfindung lebte, daß er nicht einmal nach Speiſe fragte, noch irgend et- was begehrte (b). Folglich ſcheinet ſich das Gedaͤchtnis nach der koͤrperlichen Beſchaffenheit des Gehirns zu richten, und mit demſelben zu wachſen, und abzunehmen.
Es gehoͤren ferner hieher, die von uns angefuͤhrte Exempel von Menſchen, welche durch Krankheiten und Verlezzungen des Kopfes, das Gedaͤchtnis verlohren, oder doch einen anſehnlichen Verluſt daran erlitten haben. Je- mand, welcher ein vortrefliches Gedaͤchtnis beſas, und ſich bis ins dreißigſte Jahr vom Weine enthalten hatte, verlohr ein ziemliches von ſeinem Gedaͤchtniſſe, da er den Wein wieder zu trinken anfing (b†). Durch ein Flußfieber haben auch vortrefliche Koͤpfe ihr Gedaͤchtnis verlohren (b*). Jn der Peſt zu Athen buͤſten viele ihr Gedaͤchtnis ein (b**). Nach einer hizzigen Krankheit verlohr ſich das Gedaͤchtnis (c), und es wurde ſo ſchwach, daß man von neuem Menſa dekliniren lernen muſte, welches dem be- ruͤhmten Hanow begegnete (d). Nach einem ſtarken Kopfweh wurde ein anderer wieder beſſer, welcher ſich ſeines Vaterlandes und ſeiner Verwandten nicht mehr erin- nern konnte (e). Von einer hizzigen Krankheit, dabei ſich einige kleine Knochen zwiſchen den Platten der Sichel zeig- ten, verging das Gedaͤchtnis (f). Von einem Aufhaͤn- gen (g), und nach dem Schlage verlohr ſich faſt das gan- ze Gedaͤchtnis, daß jemand die Buchſtaben nicht mehr leſen konnte (h), und gemeiniglich leidet, oder vergehet, das Gedaͤchtnis (i) nach dem Schlage. Von einem Lie-
bes-
(b)[Spaltenumbruch]FISCHER de ſenio p. 67. 111.
(b†)SCHULZE de granis Kerm. pag 28.
(b*)Mém. de l’Acad. 1754. p. 514.
(b**)THUCYDIDES
(c)IUCH de ſingulari memor. laeſione HARDER apiar. p. 122.
(d)STRODTMANN in vita deſſelden.
(e)SALMUTH II. n. 41.
(f)[Spaltenumbruch]Hiſtoire de l’Acad. des ſcien- ces 1711. p. 27.
(g)ARVIEUX Mém. I. p. 402. vergas alles, was ihm begegnet war.
(h)EBERHART Vorleſ. p. 902. 903. WEPFER apopl. p. 245. 246.
(i)WEPFER apopl. p. 248. de morb. cap. obſ. 67. 101. 103. 167. 98. 99. 100. 102. 109.
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Der Verſtand. XVII. Buch.
Greiſe, welcher ohne Gedaͤchtnis, und ohne Empfindung
lebte, daß er nicht einmal nach Speiſe fragte, noch irgend et-
was begehrte (b). Folglich ſcheinet ſich das Gedaͤchtnis nach
der koͤrperlichen Beſchaffenheit des Gehirns zu richten,
und mit demſelben zu wachſen, und abzunehmen.
Es gehoͤren ferner hieher, die von uns angefuͤhrte
Exempel von Menſchen, welche durch Krankheiten und
Verlezzungen des Kopfes, das Gedaͤchtnis verlohren, oder
doch einen anſehnlichen Verluſt daran erlitten haben. Je-
mand, welcher ein vortrefliches Gedaͤchtnis beſas, und
ſich bis ins dreißigſte Jahr vom Weine enthalten hatte,
verlohr ein ziemliches von ſeinem Gedaͤchtniſſe, da er den
Wein wieder zu trinken anfing (b†). Durch ein Flußfieber
haben auch vortrefliche Koͤpfe ihr Gedaͤchtnis verlohren (b*).
Jn der Peſt zu Athen buͤſten viele ihr Gedaͤchtnis ein
(b**). Nach einer hizzigen Krankheit verlohr ſich das
Gedaͤchtnis (c), und es wurde ſo ſchwach, daß man von
neuem Menſa dekliniren lernen muſte, welches dem be-
ruͤhmten Hanow begegnete (d). Nach einem ſtarken
Kopfweh wurde ein anderer wieder beſſer, welcher ſich
ſeines Vaterlandes und ſeiner Verwandten nicht mehr erin-
nern konnte (e). Von einer hizzigen Krankheit, dabei ſich
einige kleine Knochen zwiſchen den Platten der Sichel zeig-
ten, verging das Gedaͤchtnis (f). Von einem Aufhaͤn-
gen (g), und nach dem Schlage verlohr ſich faſt das gan-
ze Gedaͤchtnis, daß jemand die Buchſtaben nicht mehr
leſen konnte (h), und gemeiniglich leidet, oder vergehet,
das Gedaͤchtnis (i) nach dem Schlage. Von einem Lie-
bes-
(b)
FISCHER de ſenio p. 67. 111.
(b†) SCHULZE de granis Kerm.
pag 28.
(b*) Mém. de l’Acad. 1754. p. 514.
(b**) THUCYDIDES
(c) IUCH de ſingulari memor.
laeſione HARDER apiar. p. 122.
(d) STRODTMANN in vita
deſſelden.
(e) SALMUTH II. n. 41.
(f)
Hiſtoire de l’Acad. des ſcien-
ces 1711. p. 27.
(g) ARVIEUX Mém. I. p. 402.
vergas alles, was ihm begegnet
war.
(h) EBERHART Vorleſ. p. 902.
903. WEPFER apopl. p. 245. 246.
(i) WEPFER apopl. p. 248. de
morb. cap. obſ. 67. 101. 103. 167.
98. 99. 100. 102. 109.
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Haller, Albrecht von: Anfangsgründe der Phisiologie des menschlichen Körpers. Bd. 5. Berlin, 1772, S. 1058. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/haller_anfangsgruende05_1772/1076>, abgerufen am 23.11.2024.
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