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Haller, Albrecht von: Anfangsgründe der Phisiologie des menschlichen Körpers. Bd. 5. Berlin, 1772.

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I. Abschnitt. Der Verstand.

Die Seele besizzet auch ein Vermögen, Dinge mit ein-
ander zu vereinigen, welche natürlicher Weise nicht verbun-
den sind. Dieses beruhet gemeiniglich auf folgender Beobach-
tung. Die Seele vereinigt mit dem Namen der Menschen,
die sie behalten muste, gewisse Häuser und Theile von Häu-
sern (z), als Fenster und Säulen. Da die Theile dieser Häu-
ser gros sind, so drükken sie sich nicht nur gut ins Gehirn ein,
sondern sie lassen sich auch leichter behalten, und bringen
uns die damit verbundne Namen der Menschen zugleich
mit ins Gedächtnis. Hierinnen bestand die Gedächtnis-
kunst einiger Lehrer.

Nun kann die Anatomie nichts aufweisen, woraus
diese Verwandschaft der ähnlichen Spuren erklärt werden
könnte. Wir haben gezeigt, daß sich nicht einmal aus
der Anatomie richtig genung erweisen lasse, daß es gewis-
se Bezirke gebe (a), worinnen Jdeen, die von gewissen
Nerven aufgenommen, ihren Sizz hätten, weil die Ner-
ven eines und eben desselben Sinns wegen ihrer zertheil-
ten Wurzeln, aus höchst verschiednen Orten ihrem Ur-
sprung bekommen, wie man an dem Geruchnerven, im
Menschen (b), und in den Fischen ein Exempel hat, wo
derselbe überhaupt aus drei Hügelchen, dem obern, un-
tern und einer der Schleimdrüse ähnlichen Drüse hervor-
kömmt. Doch es theilet eben dieses Hügelchen verschied-
nen Nerven sein Mark mit, wie am Menschen die Ge-
schmakkäste des fünften Paares (c), und die Geruchsäste
sind (d), und die blos fühlende. Folglich liegt in einem
Nerven keine besondere Natur (e), warum derselbe nur
zu einer einzigen Art von Empfindungen geschikkt sein sollte.
Denn es haben einige Jnsekten, aus dem Sehnerven
selbst, der in andern höchst einfach ist, Aeste, welche nach
andern Theilen des Kopfes hingehen (f), und nicht sehen;

andre
(z) [Spaltenumbruch] Petrus RAVENNAS de me-
moria PAEP.
von eben der Kunst
GUARINONI cas. 299
(a) L. X. p. 397. Fasern zum
Geruch, Farben geschikkt. BON-
NET p.
52.
(b) pag. 205.
(c) [Spaltenumbruch] pag. 213.
(d) pag. 218.
(e) Wie es scheint BOERHAA-
VIUS n. 571 & HARTLEY p.
42.
(f) LYONNET p 561. SWAM-
MERDAM
vom Sehnerven der
Schnekke bibl. p. 165.
I. Abſchnitt. Der Verſtand.

Die Seele beſizzet auch ein Vermoͤgen, Dinge mit ein-
ander zu vereinigen, welche natuͤrlicher Weiſe nicht verbun-
den ſind. Dieſes beruhet gemeiniglich auf folgender Beobach-
tung. Die Seele vereinigt mit dem Namen der Menſchen,
die ſie behalten muſte, gewiſſe Haͤuſer und Theile von Haͤu-
ſern (z), als Fenſter und Saͤulen. Da die Theile dieſer Haͤu-
ſer gros ſind, ſo druͤkken ſie ſich nicht nur gut ins Gehirn ein,
ſondern ſie laſſen ſich auch leichter behalten, und bringen
uns die damit verbundne Namen der Menſchen zugleich
mit ins Gedaͤchtnis. Hierinnen beſtand die Gedaͤchtnis-
kunſt einiger Lehrer.

Nun kann die Anatomie nichts aufweiſen, woraus
dieſe Verwandſchaft der aͤhnlichen Spuren erklaͤrt werden
koͤnnte. Wir haben gezeigt, daß ſich nicht einmal aus
der Anatomie richtig genung erweiſen laſſe, daß es gewiſ-
ſe Bezirke gebe (a), worinnen Jdeen, die von gewiſſen
Nerven aufgenommen, ihren Sizz haͤtten, weil die Ner-
ven eines und eben deſſelben Sinns wegen ihrer zertheil-
ten Wurzeln, aus hoͤchſt verſchiednen Orten ihrem Ur-
ſprung bekommen, wie man an dem Geruchnerven, im
Menſchen (b), und in den Fiſchen ein Exempel hat, wo
derſelbe uͤberhaupt aus drei Huͤgelchen, dem obern, un-
tern und einer der Schleimdruͤſe aͤhnlichen Druͤſe hervor-
koͤmmt. Doch es theilet eben dieſes Huͤgelchen verſchied-
nen Nerven ſein Mark mit, wie am Menſchen die Ge-
ſchmakkaͤſte des fuͤnften Paares (c), und die Geruchsaͤſte
ſind (d), und die blos fuͤhlende. Folglich liegt in einem
Nerven keine beſondere Natur (e), warum derſelbe nur
zu einer einzigen Art von Empfindungen geſchikkt ſein ſollte.
Denn es haben einige Jnſekten, aus dem Sehnerven
ſelbſt, der in andern hoͤchſt einfach iſt, Aeſte, welche nach
andern Theilen des Kopfes hingehen (f), und nicht ſehen;

andre
(z) [Spaltenumbruch] Petrus RAVENNAS de me-
moria PAEP.
von eben der Kunſt
GUARINONI caſ. 299
(a) L. X. p. 397. Faſern zum
Geruch, Farben geſchikkt. BON-
NET p.
52.
(b) pag. 205.
(c) [Spaltenumbruch] pag. 213.
(d) pag. 218.
(e) Wie es ſcheint BOERHAA-
VIUS n. 571 & HARTLEY p.
42.
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MERDAM
vom Sehnerven der
Schnekke bibl. p. 165.
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[1069/1087] I. Abſchnitt. Der Verſtand. Die Seele beſizzet auch ein Vermoͤgen, Dinge mit ein- ander zu vereinigen, welche natuͤrlicher Weiſe nicht verbun- den ſind. Dieſes beruhet gemeiniglich auf folgender Beobach- tung. Die Seele vereinigt mit dem Namen der Menſchen, die ſie behalten muſte, gewiſſe Haͤuſer und Theile von Haͤu- ſern (z), als Fenſter und Saͤulen. Da die Theile dieſer Haͤu- ſer gros ſind, ſo druͤkken ſie ſich nicht nur gut ins Gehirn ein, ſondern ſie laſſen ſich auch leichter behalten, und bringen uns die damit verbundne Namen der Menſchen zugleich mit ins Gedaͤchtnis. Hierinnen beſtand die Gedaͤchtnis- kunſt einiger Lehrer. Nun kann die Anatomie nichts aufweiſen, woraus dieſe Verwandſchaft der aͤhnlichen Spuren erklaͤrt werden koͤnnte. Wir haben gezeigt, daß ſich nicht einmal aus der Anatomie richtig genung erweiſen laſſe, daß es gewiſ- ſe Bezirke gebe (a), worinnen Jdeen, die von gewiſſen Nerven aufgenommen, ihren Sizz haͤtten, weil die Ner- ven eines und eben deſſelben Sinns wegen ihrer zertheil- ten Wurzeln, aus hoͤchſt verſchiednen Orten ihrem Ur- ſprung bekommen, wie man an dem Geruchnerven, im Menſchen (b), und in den Fiſchen ein Exempel hat, wo derſelbe uͤberhaupt aus drei Huͤgelchen, dem obern, un- tern und einer der Schleimdruͤſe aͤhnlichen Druͤſe hervor- koͤmmt. Doch es theilet eben dieſes Huͤgelchen verſchied- nen Nerven ſein Mark mit, wie am Menſchen die Ge- ſchmakkaͤſte des fuͤnften Paares (c), und die Geruchsaͤſte ſind (d), und die blos fuͤhlende. Folglich liegt in einem Nerven keine beſondere Natur (e), warum derſelbe nur zu einer einzigen Art von Empfindungen geſchikkt ſein ſollte. Denn es haben einige Jnſekten, aus dem Sehnerven ſelbſt, der in andern hoͤchſt einfach iſt, Aeſte, welche nach andern Theilen des Kopfes hingehen (f), und nicht ſehen; andre (z) Petrus RAVENNAS de me- moria PAEP. von eben der Kunſt GUARINONI caſ. 299 (a) L. X. p. 397. Faſern zum Geruch, Farben geſchikkt. BON- NET p. 52. (b) pag. 205. (c) pag. 213. (d) pag. 218. (e) Wie es ſcheint BOERHAA- VIUS n. 571 & HARTLEY p. 42. (f) LYONNET p 561. SWAM- MERDAM vom Sehnerven der Schnekke bibl. p. 165.

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Zitationshilfe: Haller, Albrecht von: Anfangsgründe der Phisiologie des menschlichen Körpers. Bd. 5. Berlin, 1772, S. 1069. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/haller_anfangsgruende05_1772/1087>, abgerufen am 22.11.2024.