Freunde gehört hätten, und dergleichen geschicht auch an sterbenden Personen (c*). Endlich ist gewis, daß das An- denken willkürlich verrichteter Dinge verschwinden kann, da sich doch die Seele, zu der Zeit, da sie diese Geschäfte befahl, dieser Handlung bewust war. Man siehet dieses an dem Exempel der Nachtwandrer, welche von alle dem nichts im Gedächtnisse behalten, was sie unterdessen ge- than haben (d).
Das Denken kömmt in uns Erwachsenen gemeiniglich darauf an, daß wir auf die Reihe der Zeichen, und die Reihe der Empfindungen aufmerksam werden, und gleich- sam die Scene mit anhören, welche die Arten der Dinge, die entweder durch die Sinne uns mitgetheilt werden, oder durch das Gedächtnis sich abmahlen, gleichsam spielen, und von welchen Auftritten die Seele gleichsam der Zu- schauer ist. Es ist aber nothwendig, daß ein Gewar- nehmen dazu komme, damit wir gewis werden, daß die- ses unsre Bilder sind, und dieses nennen wir, sich seiner, und seines Gedankens bewust sein.
Aufmerksamkeit ist, wenn nach dem Willen der Seele, eine von diesen Arten der Dinge, oder auch eine einzige allein, die betrachtende Seele beschäftigt, oder we- nigstens doch deutlicher (e) und lebhafter, als die übrigen derselben vorgestellet wird. Wofern hierinnen eine Frei- heit statt findet, so beruhet sie darinnen, daß die Seele ihre Aufmerksamkeit, entweder auf diese oder eine andere Jdee richten, oder gegentheils davon weg wenden kann (f). Gemeiniglich liegt die Ursache von dieser Wahl, wie hernach erklärt werden soll, in dem nähern Zusam- menhange dieser Jdee mit unsrer Glükkseligkeit, daß es uns also mehr daran gelegen ist, sie gegenwärtig zu haben,
als
(c*)[Spaltenumbruch]Nouv. de la Republ. des lettres 1704. m. Iuillet.
(d)PIGATTI in der Geschichte dieses Menschen. p. 42 NICOLAI Einbildungskraft. p. 96.
(e)[Spaltenumbruch]WOLF l. c. p. 168.
(f) Folglich ist sie nicht körper- lich QUESNAI Essai T. III. pag. 324. n. 442.
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I. Abſchnitt. Der Verſtand.
Freunde gehoͤrt haͤtten, und dergleichen geſchicht auch an ſterbenden Perſonen (c*). Endlich iſt gewis, daß das An- denken willkuͤrlich verrichteter Dinge verſchwinden kann, da ſich doch die Seele, zu der Zeit, da ſie dieſe Geſchaͤfte befahl, dieſer Handlung bewuſt war. Man ſiehet dieſes an dem Exempel der Nachtwandrer, welche von alle dem nichts im Gedaͤchtniſſe behalten, was ſie unterdeſſen ge- than haben (d).
Das Denken koͤmmt in uns Erwachſenen gemeiniglich darauf an, daß wir auf die Reihe der Zeichen, und die Reihe der Empfindungen aufmerkſam werden, und gleich- ſam die Scene mit anhoͤren, welche die Arten der Dinge, die entweder durch die Sinne uns mitgetheilt werden, oder durch das Gedaͤchtnis ſich abmahlen, gleichſam ſpielen, und von welchen Auftritten die Seele gleichſam der Zu- ſchauer iſt. Es iſt aber nothwendig, daß ein Gewar- nehmen dazu komme, damit wir gewis werden, daß die- ſes unſre Bilder ſind, und dieſes nennen wir, ſich ſeiner, und ſeines Gedankens bewuſt ſein.
Aufmerkſamkeit iſt, wenn nach dem Willen der Seele, eine von dieſen Arten der Dinge, oder auch eine einzige allein, die betrachtende Seele beſchaͤftigt, oder we- nigſtens doch deutlicher (e) und lebhafter, als die uͤbrigen derſelben vorgeſtellet wird. Wofern hierinnen eine Frei- heit ſtatt findet, ſo beruhet ſie darinnen, daß die Seele ihre Aufmerkſamkeit, entweder auf dieſe oder eine andere Jdee richten, oder gegentheils davon weg wenden kann (f). Gemeiniglich liegt die Urſache von dieſer Wahl, wie hernach erklaͤrt werden ſoll, in dem naͤhern Zuſam- menhange dieſer Jdee mit unſrer Gluͤkkſeligkeit, daß es uns alſo mehr daran gelegen iſt, ſie gegenwaͤrtig zu haben,
als
(c*)[Spaltenumbruch]Nouv. de la Républ. des lettres 1704. m. Iuillet.
(d)PIGATTI in der Geſchichte dieſes Menſchen. p. 42 NICOLAI Einbildungskraft. p. 96.
(e)[Spaltenumbruch]WOLF l. c. p. 168.
(f) Folglich iſt ſie nicht koͤrper- lich QUESNAI Eſſai T. III. pag. 324. n. 442.
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I. Abſchnitt. Der Verſtand.
Freunde gehoͤrt haͤtten, und dergleichen geſchicht auch an
ſterbenden Perſonen (c*). Endlich iſt gewis, daß das An-
denken willkuͤrlich verrichteter Dinge verſchwinden kann,
da ſich doch die Seele, zu der Zeit, da ſie dieſe Geſchaͤfte
befahl, dieſer Handlung bewuſt war. Man ſiehet dieſes
an dem Exempel der Nachtwandrer, welche von alle dem
nichts im Gedaͤchtniſſe behalten, was ſie unterdeſſen ge-
than haben (d).
Das Denken koͤmmt in uns Erwachſenen gemeiniglich
darauf an, daß wir auf die Reihe der Zeichen, und die
Reihe der Empfindungen aufmerkſam werden, und gleich-
ſam die Scene mit anhoͤren, welche die Arten der Dinge,
die entweder durch die Sinne uns mitgetheilt werden, oder
durch das Gedaͤchtnis ſich abmahlen, gleichſam ſpielen,
und von welchen Auftritten die Seele gleichſam der Zu-
ſchauer iſt. Es iſt aber nothwendig, daß ein Gewar-
nehmen dazu komme, damit wir gewis werden, daß die-
ſes unſre Bilder ſind, und dieſes nennen wir, ſich ſeiner,
und ſeines Gedankens bewuſt ſein.
Aufmerkſamkeit iſt, wenn nach dem Willen der
Seele, eine von dieſen Arten der Dinge, oder auch eine
einzige allein, die betrachtende Seele beſchaͤftigt, oder we-
nigſtens doch deutlicher (e) und lebhafter, als die uͤbrigen
derſelben vorgeſtellet wird. Wofern hierinnen eine Frei-
heit ſtatt findet, ſo beruhet ſie darinnen, daß die Seele
ihre Aufmerkſamkeit, entweder auf dieſe oder eine andere
Jdee richten, oder gegentheils davon weg wenden kann
(f). Gemeiniglich liegt die Urſache von dieſer Wahl,
wie hernach erklaͤrt werden ſoll, in dem naͤhern Zuſam-
menhange dieſer Jdee mit unſrer Gluͤkkſeligkeit, daß es
uns alſo mehr daran gelegen iſt, ſie gegenwaͤrtig zu haben,
als
(c*)
Nouv. de la Républ. des
lettres 1704. m. Iuillet.
(d) PIGATTI in der Geſchichte
dieſes Menſchen. p. 42 NICOLAI
Einbildungskraft. p. 96.
(e)
WOLF l. c. p. 168.
(f) Folglich iſt ſie nicht koͤrper-
lich QUESNAI Eſſai T. III. pag.
324. n. 442.
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Haller, Albrecht von: Anfangsgründe der Phisiologie des menschlichen Körpers. Bd. 5. Berlin, 1772, S. 1079. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/haller_anfangsgruende05_1772/1097>, abgerufen am 23.11.2024.
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