Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Haller, Albrecht von: Anfangsgründe der Phisiologie des menschlichen Körpers. Bd. 5. Berlin, 1772.

Bild:
<< vorherige Seite
II. Abschnitt. Der Wille.

Viele bestimmen diesen Zustand des Schmerzens so,
daß darinnen die Nerven entweder zerrissen (k), oder doch
dem Zerreissen (l) ganz nahe sind. Es scheinet diese De-
finition aus der Tortur hergenommen zu sein, wo die aus-
gespannten Gliedmassen (m), und zugleich die Nerven un-
gemeine Schmerzen ausstehen, und kurz darauf zerreissen.
Doch es sind am Popen, welcher alle Tage, funfzig Jahre
lang, Kopfschmerzen an der halben Kopfseite litte, dieselben
weder zerrissen, noch haben sie den lezzten Tag stärker oder
weniger geschmerzt, als den ersten Tag: und sie würden
nun stärker geschmerzt haben, wenn die Fasern mehr ge-
spannt, und weniger, wenn sie zerrissen gewesen wären (n).

Jn der That zehrt ein grosser und beständiger Schmerz
den Körper aus (o), und wenn derselbe sehr heftig ist, so
raubt er plözzlich die Kräfte (p), nöthigt geschwinde zum
Stuhlgehen (q) und Harnlassen, wie ich an den Elenden
sehe, bei deren Tortur ich Amtswegen, den Vorsizz ha-
be; und endlich tödten die Schmerzen, wie (r) bei einer
heftigen Beugung des Schienbeins zu geschehen pflegt.
Es starben die Hunde, denen ich die Nerven unterband,
bis auf einen einzigen, alle, ob dieses gleich nur Nerven
der Haut waren, und diese Thiere ihren heilenden Spei-
chel dabei anbringen konnten.

Gott hat uns Menschen an dem Schmerz, einen ge-
treuen Wächter (s) zu gegeben, welcher uns wegen der

zer-
(k) [Spaltenumbruch] CARTESIUS de homine
pag.
63.
(l) HARTLEY p 36.
(m) Fasern schmerzen, wenn vie-
le eine Spannung leiden, die zu-
vor viele zusammen ausstanden,
BOERHAAVE virt. medicam.
pag.
162.
(n) Es widerspricht auch LOBE
on painfuil diseases p. 16. GOR-
TER.
(o) Zu einer Art von Skelet.
BLANCAARD. Iaarreg. I. Cent. II.
n.
94.
(p) [Spaltenumbruch] BODRHAAVE morb. nerv.
I. p.
428. z. E. wenn die Hunde
dem Bullen die Hoden fassen, die-
ser fällt kraftlos hin, wie man schon
im alten Gedichte der Reinekevos
findet; siehe den den Reinekevos.
(q) LABAT Voyag. d'Italia T.
VII. p.
6.
(r) PETIT Malad. des os II.
pag.
232.
(s) RAI Wisdom. of GOD &c.
p.
244.
A a a a 4
II. Abſchnitt. Der Wille.

Viele beſtimmen dieſen Zuſtand des Schmerzens ſo,
daß darinnen die Nerven entweder zerriſſen (k), oder doch
dem Zerreiſſen (l) ganz nahe ſind. Es ſcheinet dieſe De-
finition aus der Tortur hergenommen zu ſein, wo die aus-
geſpannten Gliedmaſſen (m), und zugleich die Nerven un-
gemeine Schmerzen ausſtehen, und kurz darauf zerreiſſen.
Doch es ſind am Popen, welcher alle Tage, funfzig Jahre
lang, Kopfſchmerzen an der halben Kopfſeite litte, dieſelben
weder zerriſſen, noch haben ſie den lezzten Tag ſtaͤrker oder
weniger geſchmerzt, als den erſten Tag: und ſie wuͤrden
nun ſtaͤrker geſchmerzt haben, wenn die Faſern mehr ge-
ſpannt, und weniger, wenn ſie zerriſſen geweſen waͤren (n).

Jn der That zehrt ein groſſer und beſtaͤndiger Schmerz
den Koͤrper aus (o), und wenn derſelbe ſehr heftig iſt, ſo
raubt er ploͤzzlich die Kraͤfte (p), noͤthigt geſchwinde zum
Stuhlgehen (q) und Harnlaſſen, wie ich an den Elenden
ſehe, bei deren Tortur ich Amtswegen, den Vorſizz ha-
be; und endlich toͤdten die Schmerzen, wie (r) bei einer
heftigen Beugung des Schienbeins zu geſchehen pflegt.
Es ſtarben die Hunde, denen ich die Nerven unterband,
bis auf einen einzigen, alle, ob dieſes gleich nur Nerven
der Haut waren, und dieſe Thiere ihren heilenden Spei-
chel dabei anbringen konnten.

Gott hat uns Menſchen an dem Schmerz, einen ge-
treuen Waͤchter (s) zu gegeben, welcher uns wegen der

zer-
(k) [Spaltenumbruch] CARTESIUS de homine
pag.
63.
(l) HARTLEY p 36.
(m) Faſern ſchmerzen, wenn vie-
le eine Spannung leiden, die zu-
vor viele zuſammen ausſtanden,
BOERHAAVE virt. medicam.
pag.
162.
(n) Es widerſpricht auch LOBE
on painfuil diſeaſes p. 16. GOR-
TER.
(o) Zu einer Art von Skelet.
BLANCAARD. Iaarreg. I. Cent. II.
n.
94.
(p) [Spaltenumbruch] BODRHAAVE morb. nerv.
I. p.
428. z. E. wenn die Hunde
dem Bullen die Hoden faſſen, die-
ſer faͤllt kraftlos hin, wie man ſchon
im alten Gedichte der Reinekevos
findet; ſiehe den den Reinekevos.
(q) LABAT Voyag. d’Italia T.
VII. p.
6.
(r) PETIT Malad. des os II.
pag.
232.
(s) RAI Wisdom. of GOD &c.
p.
244.
A a a a 4
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <pb facs="#f1129" n="1111"/>
            <fw place="top" type="header"> <hi rendition="#b"><hi rendition="#aq">II.</hi> Ab&#x017F;chnitt. Der Wille.</hi> </fw><lb/>
            <p>Viele be&#x017F;timmen die&#x017F;en Zu&#x017F;tand des Schmerzens &#x017F;o,<lb/>
daß darinnen die Nerven entweder zerri&#x017F;&#x017F;en <note place="foot" n="(k)"><cb/><hi rendition="#aq"><hi rendition="#g">CARTESIUS</hi> de homine<lb/>
pag.</hi> 63.</note>, oder doch<lb/>
dem Zerrei&#x017F;&#x017F;en <note place="foot" n="(l)"><hi rendition="#aq">HARTLEY p</hi> 36.</note> ganz nahe &#x017F;ind. Es &#x017F;cheinet die&#x017F;e De-<lb/>
finition aus der Tortur hergenommen zu &#x017F;ein, wo die aus-<lb/>
ge&#x017F;pannten Gliedma&#x017F;&#x017F;en <note place="foot" n="(m)">Fa&#x017F;ern &#x017F;chmerzen, wenn vie-<lb/>
le eine Spannung leiden, die zu-<lb/>
vor viele zu&#x017F;ammen aus&#x017F;tanden,<lb/><hi rendition="#aq"><hi rendition="#g">BOERHAAVE</hi> virt. medicam.<lb/>
pag.</hi> 162.</note>, und zugleich die Nerven un-<lb/>
gemeine Schmerzen aus&#x017F;tehen, und kurz darauf zerrei&#x017F;&#x017F;en.<lb/>
Doch es &#x017F;ind am <hi rendition="#fr">Popen,</hi> welcher alle Tage, funfzig Jahre<lb/>
lang, Kopf&#x017F;chmerzen an der halben Kopf&#x017F;eite litte, die&#x017F;elben<lb/>
weder zerri&#x017F;&#x017F;en, noch haben &#x017F;ie den lezzten Tag &#x017F;ta&#x0364;rker oder<lb/>
weniger ge&#x017F;chmerzt, als den er&#x017F;ten Tag: und &#x017F;ie wu&#x0364;rden<lb/>
nun &#x017F;ta&#x0364;rker ge&#x017F;chmerzt haben, wenn die Fa&#x017F;ern mehr ge-<lb/>
&#x017F;pannt, und weniger, wenn &#x017F;ie zerri&#x017F;&#x017F;en gewe&#x017F;en wa&#x0364;ren <note place="foot" n="(n)">Es wider&#x017F;pricht auch <hi rendition="#aq">LOBE<lb/>
on painfuil di&#x017F;ea&#x017F;es p. 16. GOR-<lb/>
TER.</hi></note>.</p><lb/>
            <p>Jn der That zehrt ein gro&#x017F;&#x017F;er und be&#x017F;ta&#x0364;ndiger Schmerz<lb/>
den Ko&#x0364;rper aus <note place="foot" n="(o)">Zu einer Art von Skelet.<lb/><hi rendition="#aq">BLANCAARD. Iaarreg. I. Cent. II.<lb/>
n.</hi> 94.</note>, und wenn der&#x017F;elbe &#x017F;ehr heftig i&#x017F;t, &#x017F;o<lb/>
raubt er plo&#x0364;zzlich die Kra&#x0364;fte <note place="foot" n="(p)"><cb/><hi rendition="#aq">BODRHAAVE morb. nerv.<lb/>
I. p.</hi> 428. z. E. wenn die Hunde<lb/>
dem Bullen die Hoden fa&#x017F;&#x017F;en, die-<lb/>
&#x017F;er fa&#x0364;llt kraftlos hin, wie man &#x017F;chon<lb/>
im alten Gedichte <hi rendition="#aq">der Reinekevos</hi><lb/>
findet; &#x017F;iehe den <hi rendition="#aq">den Reinekevos.</hi></note>, no&#x0364;thigt ge&#x017F;chwinde zum<lb/>
Stuhlgehen <note place="foot" n="(q)"><hi rendition="#aq">LABAT Voyag. d&#x2019;Italia T.<lb/>
VII. p.</hi> 6.</note> und Harnla&#x017F;&#x017F;en, wie ich an den Elenden<lb/>
&#x017F;ehe, bei deren Tortur ich Amtswegen, den Vor&#x017F;izz ha-<lb/>
be; und endlich to&#x0364;dten die Schmerzen, wie <note place="foot" n="(r)"><hi rendition="#aq"><hi rendition="#g">PETIT</hi> Malad. des os II.<lb/>
pag.</hi> 232.</note> bei einer<lb/>
heftigen Beugung des Schienbeins zu ge&#x017F;chehen pflegt.<lb/>
Es &#x017F;tarben die Hunde, denen ich die Nerven unterband,<lb/>
bis auf einen einzigen, alle, ob die&#x017F;es gleich nur Nerven<lb/>
der Haut waren, und die&#x017F;e Thiere ihren heilenden Spei-<lb/>
chel dabei anbringen konnten.</p><lb/>
            <p>Gott hat uns Men&#x017F;chen an dem Schmerz, einen ge-<lb/>
treuen Wa&#x0364;chter <note place="foot" n="(s)"><hi rendition="#aq">RAI Wisdom. of GOD &amp;c.<lb/>
p.</hi> 244.</note> zu gegeben, welcher uns wegen der<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">A a a a 4</fw><fw place="bottom" type="catch">zer-</fw><lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[1111/1129] II. Abſchnitt. Der Wille. Viele beſtimmen dieſen Zuſtand des Schmerzens ſo, daß darinnen die Nerven entweder zerriſſen (k), oder doch dem Zerreiſſen (l) ganz nahe ſind. Es ſcheinet dieſe De- finition aus der Tortur hergenommen zu ſein, wo die aus- geſpannten Gliedmaſſen (m), und zugleich die Nerven un- gemeine Schmerzen ausſtehen, und kurz darauf zerreiſſen. Doch es ſind am Popen, welcher alle Tage, funfzig Jahre lang, Kopfſchmerzen an der halben Kopfſeite litte, dieſelben weder zerriſſen, noch haben ſie den lezzten Tag ſtaͤrker oder weniger geſchmerzt, als den erſten Tag: und ſie wuͤrden nun ſtaͤrker geſchmerzt haben, wenn die Faſern mehr ge- ſpannt, und weniger, wenn ſie zerriſſen geweſen waͤren (n). Jn der That zehrt ein groſſer und beſtaͤndiger Schmerz den Koͤrper aus (o), und wenn derſelbe ſehr heftig iſt, ſo raubt er ploͤzzlich die Kraͤfte (p), noͤthigt geſchwinde zum Stuhlgehen (q) und Harnlaſſen, wie ich an den Elenden ſehe, bei deren Tortur ich Amtswegen, den Vorſizz ha- be; und endlich toͤdten die Schmerzen, wie (r) bei einer heftigen Beugung des Schienbeins zu geſchehen pflegt. Es ſtarben die Hunde, denen ich die Nerven unterband, bis auf einen einzigen, alle, ob dieſes gleich nur Nerven der Haut waren, und dieſe Thiere ihren heilenden Spei- chel dabei anbringen konnten. Gott hat uns Menſchen an dem Schmerz, einen ge- treuen Waͤchter (s) zu gegeben, welcher uns wegen der zer- (k) CARTESIUS de homine pag. 63. (l) HARTLEY p 36. (m) Faſern ſchmerzen, wenn vie- le eine Spannung leiden, die zu- vor viele zuſammen ausſtanden, BOERHAAVE virt. medicam. pag. 162. (n) Es widerſpricht auch LOBE on painfuil diſeaſes p. 16. GOR- TER. (o) Zu einer Art von Skelet. BLANCAARD. Iaarreg. I. Cent. II. n. 94. (p) BODRHAAVE morb. nerv. I. p. 428. z. E. wenn die Hunde dem Bullen die Hoden faſſen, die- ſer faͤllt kraftlos hin, wie man ſchon im alten Gedichte der Reinekevos findet; ſiehe den den Reinekevos. (q) LABAT Voyag. d’Italia T. VII. p. 6. (r) PETIT Malad. des os II. pag. 232. (s) RAI Wisdom. of GOD &c. p. 244. A a a a 4

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/haller_anfangsgruende05_1772
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/haller_anfangsgruende05_1772/1129
Zitationshilfe: Haller, Albrecht von: Anfangsgründe der Phisiologie des menschlichen Körpers. Bd. 5. Berlin, 1772, S. 1111. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/haller_anfangsgruende05_1772/1129>, abgerufen am 16.07.2024.