und dem Guten zu eilen. Doch stimmt dieses keines weges mit den Erscheinungen überein. Wollte man in der Furcht, um einem bevorstehenden Uebel zu entweichen, die Selbster- haltung zum Endzwekke dieser Bewegungen machen, so ist ja nichts ungereimter, als daß sie die Kniee zittern läst, und eine Schwachheit hervorbringt. Was ist beim Zorn an der in Bewegung gebrachten Galle, und dem Bauchflusse vor ein Vortheil, um sich am Feinde zu rä- chen, oder was trägt dazu die Epilepsie bei?
Ueberhaupt bringen mich die Phänomena der Furcht, die auch an Thieren vorkommen, welche sich gemeiniglich ihrem Schikksale nicht entgegen sezzen, wenn sie es mit einem stärkern Feinde zu thun haben, auf den Gedanken, der Schöpfer habe diese Abnahme der Kräfte, die bei der Furcht zugegen ist, nicht zur Selbsterhaltung des fürch- tenden Jndividui, sondern zu dessen leichterer Zerstörung, bestimmt. Dem Gleichgewichte der Kreatur zum Besten, müssen fruchtbare Thiere, von weniger fruchtbaren auf- gerieben werden; folglich müssen sich diejenigen nicht zu leicht wehren können, die ein Opfer des Raubes sein sol- len. Folglich hülft die Furcht derjenigen Arten, die dem Räuber bestimmt sind, den Sieg der fleischfräßigen Arten erleichtern. Dahingegen gehört der Zorn, die Liebe, und auch das Schrekken zur Selbsterhaltung der Kreatur.
Doch dieses ist noch kein Mechanismus. Diesen sezzte ehedem Willis(n) und Vieussens(o) in die Nerven- strikke, welche sich um die Schlagadern (p) oder Blut- adern herumlegen, und welche durch ein Zusammenschnü- ren, das Blut in den Blutadern in einem Theile zurükk- halten, z. E. in der Schaamhaftigkeit (q), und dem Steif- werden in der Begattung; oder durch ein Verschinren
der
(n)[Spaltenumbruch]De cerebro p. 170. ed. 8. ferner VALISNERI de chamaeleon- re pag. 394. STAHL de obstruct. vas. n. 35. durch die Faserflechtun- gen.
(o)[Spaltenumbruch]pag. 182.
(p)VIEUSSENIUS p. 193.
(q)IDEM neurolog. p. 182.
II. Abſchnitt. Der Wille.
und dem Guten zu eilen. Doch ſtimmt dieſes keines weges mit den Erſcheinungen uͤberein. Wollte man in der Furcht, um einem bevorſtehenden Uebel zu entweichen, die Selbſter- haltung zum Endzwekke dieſer Bewegungen machen, ſo iſt ja nichts ungereimter, als daß ſie die Kniee zittern laͤſt, und eine Schwachheit hervorbringt. Was iſt beim Zorn an der in Bewegung gebrachten Galle, und dem Bauchfluſſe vor ein Vortheil, um ſich am Feinde zu raͤ- chen, oder was traͤgt dazu die Epilepſie bei?
Ueberhaupt bringen mich die Phaͤnomena der Furcht, die auch an Thieren vorkommen, welche ſich gemeiniglich ihrem Schikkſale nicht entgegen ſezzen, wenn ſie es mit einem ſtaͤrkern Feinde zu thun haben, auf den Gedanken, der Schoͤpfer habe dieſe Abnahme der Kraͤfte, die bei der Furcht zugegen iſt, nicht zur Selbſterhaltung des fuͤrch- tenden Jndividui, ſondern zu deſſen leichterer Zerſtoͤrung, beſtimmt. Dem Gleichgewichte der Kreatur zum Beſten, muͤſſen fruchtbare Thiere, von weniger fruchtbaren auf- gerieben werden; folglich muͤſſen ſich diejenigen nicht zu leicht wehren koͤnnen, die ein Opfer des Raubes ſein ſol- len. Folglich huͤlft die Furcht derjenigen Arten, die dem Raͤuber beſtimmt ſind, den Sieg der fleiſchfraͤßigen Arten erleichtern. Dahingegen gehoͤrt der Zorn, die Liebe, und auch das Schrekken zur Selbſterhaltung der Kreatur.
Doch dieſes iſt noch kein Mechaniſmus. Dieſen ſezzte ehedem Willis(n) und Vieuſſens(o) in die Nerven- ſtrikke, welche ſich um die Schlagadern (p) oder Blut- adern herumlegen, und welche durch ein Zuſammenſchnuͤ- ren, das Blut in den Blutadern in einem Theile zuruͤkk- halten, z. E. in der Schaamhaftigkeit (q), und dem Steif- werden in der Begattung; oder durch ein Verſchinren
der
(n)[Spaltenumbruch]De cerebro p. 170. ed. 8. ferner VALISNERI de chamæleon- re pag. 394. STAHL de obſtruct. vaſ. n. 35. durch die Faſerflechtun- gen.
(o)[Spaltenumbruch]pag. 182.
(p)VIEUSSENIUS p. 193.
(q)IDEM neurolog. p. 182.
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II. Abſchnitt. Der Wille.
und dem Guten zu eilen. Doch ſtimmt dieſes keines weges
mit den Erſcheinungen uͤberein. Wollte man in der Furcht,
um einem bevorſtehenden Uebel zu entweichen, die Selbſter-
haltung zum Endzwekke dieſer Bewegungen machen, ſo
iſt ja nichts ungereimter, als daß ſie die Kniee zittern
laͤſt, und eine Schwachheit hervorbringt. Was iſt beim
Zorn an der in Bewegung gebrachten Galle, und dem
Bauchfluſſe vor ein Vortheil, um ſich am Feinde zu raͤ-
chen, oder was traͤgt dazu die Epilepſie bei?
Ueberhaupt bringen mich die Phaͤnomena der Furcht,
die auch an Thieren vorkommen, welche ſich gemeiniglich
ihrem Schikkſale nicht entgegen ſezzen, wenn ſie es mit
einem ſtaͤrkern Feinde zu thun haben, auf den Gedanken,
der Schoͤpfer habe dieſe Abnahme der Kraͤfte, die bei der
Furcht zugegen iſt, nicht zur Selbſterhaltung des fuͤrch-
tenden Jndividui, ſondern zu deſſen leichterer Zerſtoͤrung,
beſtimmt. Dem Gleichgewichte der Kreatur zum Beſten,
muͤſſen fruchtbare Thiere, von weniger fruchtbaren auf-
gerieben werden; folglich muͤſſen ſich diejenigen nicht zu
leicht wehren koͤnnen, die ein Opfer des Raubes ſein ſol-
len. Folglich huͤlft die Furcht derjenigen Arten, die dem
Raͤuber beſtimmt ſind, den Sieg der fleiſchfraͤßigen Arten
erleichtern. Dahingegen gehoͤrt der Zorn, die Liebe, und
auch das Schrekken zur Selbſterhaltung der Kreatur.
Doch dieſes iſt noch kein Mechaniſmus. Dieſen ſezzte
ehedem Willis (n) und Vieuſſens (o) in die Nerven-
ſtrikke, welche ſich um die Schlagadern (p) oder Blut-
adern herumlegen, und welche durch ein Zuſammenſchnuͤ-
ren, das Blut in den Blutadern in einem Theile zuruͤkk-
halten, z. E. in der Schaamhaftigkeit (q), und dem Steif-
werden in der Begattung; oder durch ein Verſchinren
der
(n)
De cerebro p. 170. ed. 8.
ferner VALISNERI de chamæleon-
re pag. 394. STAHL de obſtruct.
vaſ. n. 35. durch die Faſerflechtun-
gen.
(o)
pag. 182.
(p) VIEUSSENIUS p. 193.
(q) IDEM neurolog. p. 182.
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Haller, Albrecht von: Anfangsgründe der Phisiologie des menschlichen Körpers. Bd. 5. Berlin, 1772, S. 1131. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/haller_anfangsgruende05_1772/1149>, abgerufen am 23.11.2024.
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