Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Haller, Albrecht von: Anfangsgründe der Phisiologie des menschlichen Körpers. Bd. 5. Berlin, 1772.

Bild:
<< vorherige Seite

Thierische Bewegung. XI. Buch.
die ausdehnende Kraft, das Bestreben des Gewichtes,
und dem Widerstand des Blutes, Wasser des Harns,
der Luft und des Kotes überwältigen. Den Ribbenmus-
keln widersezzt sich selbst die elastische Kraft der Ribben.
Und so widersteht die Schwere des Kopfes und der übri-
gen Gliedmaßen den Hebemuskeln und den Ausdehnern.

Dennoch haben die meisten Muskeln andre Muskeln,
welche gegenseitig wirken, und mit denen sie ihre Gewalt
abwägen. Den Ausstrekkenden stehen andre gegenseitige
Beuger, den Aufhebern stehen die niederziehenden; den
Schliesmuskeln stehen die erweiternden, den rükkwerts zie-
henden die vorwärts ziehende, und so stehen sich die Ge-
genmuskeln in verschiednem Verstande einander entgegen.
Wir nennen aber überhaupt diejenigen Beugemuskeln,
welche machen, daß zween Knochen, an denen sie feste
sind, in der Gegend des wirkenden Muskels, einen
Winkel machen. Dagegen strekken die Ausdehner zween
zusammengefügte Knochen in eine gerade, und in eins
fortgehende Linie aus.

Die Natur hat die Kräfte dieser Muskeln dergestalt
abgewogen, daß alle Vergliederungen in einem gewissen
und merentheils mittelmäßigen Grade ruhen, wenn keine
Kraft von den Nerven in sie wirkt, wie man deutlich an
schlafenden Thieren gewar wird. Dieses hat die Natur
dadurch erhalten, daß sie die Beuger merenteils etwas
stärker, als die Ausstrekker gemacht hat (y). So sind
am Ellbogen die Beuger stärker, als die Ausstrekker, wel-
ches auch an der Hand, den Fingern, am Fusse, und
dessen Zeen zu bemerken ist.

Doch gibt es Fälle, wo das Gewicht eines zu tra-
genden Theiles, wenn sich solches gegen die Beugetheile
zuneigt, stärkere Ausdehner, als am Kopfe, Nakken und
Rükken erforderte. So erforderte auch die Stärke des

Ste-
(y) pag. 447.

Thieriſche Bewegung. XI. Buch.
die ausdehnende Kraft, das Beſtreben des Gewichtes,
und dem Widerſtand des Blutes, Waſſer des Harns,
der Luft und des Kotes uͤberwaͤltigen. Den Ribbenmuſ-
keln widerſezzt ſich ſelbſt die elaſtiſche Kraft der Ribben.
Und ſo widerſteht die Schwere des Kopfes und der uͤbri-
gen Gliedmaßen den Hebemuſkeln und den Ausdehnern.

Dennoch haben die meiſten Muſkeln andre Muſkeln,
welche gegenſeitig wirken, und mit denen ſie ihre Gewalt
abwaͤgen. Den Ausſtrekkenden ſtehen andre gegenſeitige
Beuger, den Aufhebern ſtehen die niederziehenden; den
Schliesmuſkeln ſtehen die erweiternden, den ruͤkkwerts zie-
henden die vorwaͤrts ziehende, und ſo ſtehen ſich die Ge-
genmuſkeln in verſchiednem Verſtande einander entgegen.
Wir nennen aber uͤberhaupt diejenigen Beugemuſkeln,
welche machen, daß zween Knochen, an denen ſie feſte
ſind, in der Gegend des wirkenden Muſkels, einen
Winkel machen. Dagegen ſtrekken die Ausdehner zween
zuſammengefuͤgte Knochen in eine gerade, und in eins
fortgehende Linie aus.

Die Natur hat die Kraͤfte dieſer Muſkeln dergeſtalt
abgewogen, daß alle Vergliederungen in einem gewiſſen
und merentheils mittelmaͤßigen Grade ruhen, wenn keine
Kraft von den Nerven in ſie wirkt, wie man deutlich an
ſchlafenden Thieren gewar wird. Dieſes hat die Natur
dadurch erhalten, daß ſie die Beuger merenteils etwas
ſtaͤrker, als die Ausſtrekker gemacht hat (y). So ſind
am Ellbogen die Beuger ſtaͤrker, als die Ausſtrekker, wel-
ches auch an der Hand, den Fingern, am Fuſſe, und
deſſen Zeen zu bemerken iſt.

Doch gibt es Faͤlle, wo das Gewicht eines zu tra-
genden Theiles, wenn ſich ſolches gegen die Beugetheile
zuneigt, ſtaͤrkere Ausdehner, als am Kopfe, Nakken und
Ruͤkken erforderte. So erforderte auch die Staͤrke des

Ste-
(y) pag. 447.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0126" n="108"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">Thieri&#x017F;che Bewegung. <hi rendition="#aq">XI.</hi> Buch.</hi></fw><lb/>
die ausdehnende Kraft, das Be&#x017F;treben des Gewichtes,<lb/>
und dem Wider&#x017F;tand des Blutes, Wa&#x017F;&#x017F;er des Harns,<lb/>
der Luft und des Kotes u&#x0364;berwa&#x0364;ltigen. Den Ribbenmu&#x017F;-<lb/>
keln wider&#x017F;ezzt &#x017F;ich &#x017F;elb&#x017F;t die ela&#x017F;ti&#x017F;che Kraft der Ribben.<lb/>
Und &#x017F;o wider&#x017F;teht die Schwere des Kopfes und der u&#x0364;bri-<lb/>
gen Gliedmaßen den Hebemu&#x017F;keln und den Ausdehnern.</p><lb/>
          <p>Dennoch haben die mei&#x017F;ten Mu&#x017F;keln andre Mu&#x017F;keln,<lb/>
welche gegen&#x017F;eitig wirken, und mit denen &#x017F;ie ihre Gewalt<lb/>
abwa&#x0364;gen. Den Aus&#x017F;trekkenden &#x017F;tehen andre gegen&#x017F;eitige<lb/>
Beuger, den Aufhebern &#x017F;tehen die niederziehenden; den<lb/>
Schliesmu&#x017F;keln &#x017F;tehen die erweiternden, den ru&#x0364;kkwerts zie-<lb/>
henden die vorwa&#x0364;rts ziehende, und &#x017F;o &#x017F;tehen &#x017F;ich die Ge-<lb/>
genmu&#x017F;keln in ver&#x017F;chiednem Ver&#x017F;tande einander entgegen.<lb/>
Wir nennen aber u&#x0364;berhaupt diejenigen Beugemu&#x017F;keln,<lb/>
welche machen, daß zween Knochen, an denen &#x017F;ie fe&#x017F;te<lb/>
&#x017F;ind, in der Gegend des wirkenden Mu&#x017F;kels, einen<lb/>
Winkel machen. Dagegen &#x017F;trekken die Ausdehner zween<lb/>
zu&#x017F;ammengefu&#x0364;gte Knochen in eine gerade, und in eins<lb/>
fortgehende Linie aus.</p><lb/>
          <p>Die Natur hat die Kra&#x0364;fte die&#x017F;er Mu&#x017F;keln derge&#x017F;talt<lb/>
abgewogen, daß alle Vergliederungen in einem gewi&#x017F;&#x017F;en<lb/>
und merentheils mittelma&#x0364;ßigen Grade ruhen, wenn keine<lb/>
Kraft von den Nerven in &#x017F;ie wirkt, wie man deutlich an<lb/>
&#x017F;chlafenden Thieren gewar wird. Die&#x017F;es hat die Natur<lb/>
dadurch erhalten, daß &#x017F;ie die Beuger merenteils etwas<lb/>
&#x017F;ta&#x0364;rker, als die Aus&#x017F;trekker gemacht hat <note place="foot" n="(y)"><hi rendition="#aq">pag.</hi> 447.</note>. So &#x017F;ind<lb/>
am Ellbogen die Beuger &#x017F;ta&#x0364;rker, als die Aus&#x017F;trekker, wel-<lb/>
ches auch an der Hand, den Fingern, am Fu&#x017F;&#x017F;e, und<lb/>
de&#x017F;&#x017F;en Zeen zu bemerken i&#x017F;t.</p><lb/>
          <p>Doch gibt es Fa&#x0364;lle, wo das Gewicht eines zu tra-<lb/>
genden Theiles, wenn &#x017F;ich &#x017F;olches gegen die Beugetheile<lb/>
zuneigt, &#x017F;ta&#x0364;rkere Ausdehner, als am Kopfe, Nakken und<lb/>
Ru&#x0364;kken erforderte. So erforderte auch die Sta&#x0364;rke des<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">Ste-</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[108/0126] Thieriſche Bewegung. XI. Buch. die ausdehnende Kraft, das Beſtreben des Gewichtes, und dem Widerſtand des Blutes, Waſſer des Harns, der Luft und des Kotes uͤberwaͤltigen. Den Ribbenmuſ- keln widerſezzt ſich ſelbſt die elaſtiſche Kraft der Ribben. Und ſo widerſteht die Schwere des Kopfes und der uͤbri- gen Gliedmaßen den Hebemuſkeln und den Ausdehnern. Dennoch haben die meiſten Muſkeln andre Muſkeln, welche gegenſeitig wirken, und mit denen ſie ihre Gewalt abwaͤgen. Den Ausſtrekkenden ſtehen andre gegenſeitige Beuger, den Aufhebern ſtehen die niederziehenden; den Schliesmuſkeln ſtehen die erweiternden, den ruͤkkwerts zie- henden die vorwaͤrts ziehende, und ſo ſtehen ſich die Ge- genmuſkeln in verſchiednem Verſtande einander entgegen. Wir nennen aber uͤberhaupt diejenigen Beugemuſkeln, welche machen, daß zween Knochen, an denen ſie feſte ſind, in der Gegend des wirkenden Muſkels, einen Winkel machen. Dagegen ſtrekken die Ausdehner zween zuſammengefuͤgte Knochen in eine gerade, und in eins fortgehende Linie aus. Die Natur hat die Kraͤfte dieſer Muſkeln dergeſtalt abgewogen, daß alle Vergliederungen in einem gewiſſen und merentheils mittelmaͤßigen Grade ruhen, wenn keine Kraft von den Nerven in ſie wirkt, wie man deutlich an ſchlafenden Thieren gewar wird. Dieſes hat die Natur dadurch erhalten, daß ſie die Beuger merenteils etwas ſtaͤrker, als die Ausſtrekker gemacht hat (y). So ſind am Ellbogen die Beuger ſtaͤrker, als die Ausſtrekker, wel- ches auch an der Hand, den Fingern, am Fuſſe, und deſſen Zeen zu bemerken iſt. Doch gibt es Faͤlle, wo das Gewicht eines zu tra- genden Theiles, wenn ſich ſolches gegen die Beugetheile zuneigt, ſtaͤrkere Ausdehner, als am Kopfe, Nakken und Ruͤkken erforderte. So erforderte auch die Staͤrke des Ste- (y) pag. 447.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/haller_anfangsgruende05_1772
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/haller_anfangsgruende05_1772/126
Zitationshilfe: Haller, Albrecht von: Anfangsgründe der Phisiologie des menschlichen Körpers. Bd. 5. Berlin, 1772, S. 108. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/haller_anfangsgruende05_1772/126>, abgerufen am 21.11.2024.