Stehens, wozu zurükkgezogne, und ausgestrekkte Hüften gehören, daß die Ausstrekker der Hüfte stärker waren, und dieses gilt auch von der Natur des Schienbeinsge- lenkes, welches ganz und gar nicht nach vorne nachzuge- ben vermag, hingegen sich leicht zurükke beugen lässet.
Demohngeachtet können wir doch überhaupt zugeben, daß die widrigen Muskeln einander das Gleichgewicht halten; und wenn die eine Art hierinnen vor der andern einen Vorzug besizzet, so biegt sich, nach dem Maaße ihrer Kraft, das Glied gegen diese Theile hin.
Nun verstärkt aber die Nervenkraft die dem einen unter den Gegnern angeborne Kraft, wie am Ausdehner geschicht. Folglich wird der Widerstand des Beugemus- kels, als ob man in die eine Wagschale ein neues Gewicht würfe, überwältigt, und das Glied dieser neuen Nerven- kraft gemäs, die der Ausstrekker zum Ueberschusse bekom- men, ausgestrekkt. Solchergestalt entsteht nicht plözzlich eine Kraft, die den Ausstrekker auf bliese, und alle dessen Grundstoffe zum Zusammenziehen vermöchte. Sondern diese Kräfte bekommen nur ein Uebergewicht, und es wird von diesem Uebergewichte kein völliges Zusammen- ziehen des Ausstrekkers, durch alle seine Grundteile, in so kurzer Zeit erfordert, indem diese Kraft vorlängst im Muskel war, sondern es ist nur dazu einiges Uebermaas an Kraft notwendig (z). Dennoch wird auf diese Weise zur Zeit noch keine Kraft erspart, ob die Geschwindigkeit des Muskelspiels gleich dadurch sehr vergrössert wird, und dennoch ist blos die neu erzeugte Nervenkraft wirksam übrig.
Hingegen würden die Kräfte wirklich erspart werden können, wenn man ausserdem zugeben wollte, daß durch die, dem Ausstrekker zugeteilte Kraft, etwas von der zusammenziehenden Kraft des Beugemuskels abgenom-
men
(z)BOERHAAVE praelect. T. III. p. 386. sqq.
II. Abſchnitt. Erſcheinungen.
Stehens, wozu zuruͤkkgezogne, und ausgeſtrekkte Huͤften gehoͤren, daß die Ausſtrekker der Huͤfte ſtaͤrker waren, und dieſes gilt auch von der Natur des Schienbeinsge- lenkes, welches ganz und gar nicht nach vorne nachzuge- ben vermag, hingegen ſich leicht zuruͤkke beugen laͤſſet.
Demohngeachtet koͤnnen wir doch uͤberhaupt zugeben, daß die widrigen Muſkeln einander das Gleichgewicht halten; und wenn die eine Art hierinnen vor der andern einen Vorzug beſizzet, ſo biegt ſich, nach dem Maaße ihrer Kraft, das Glied gegen dieſe Theile hin.
Nun verſtaͤrkt aber die Nervenkraft die dem einen unter den Gegnern angeborne Kraft, wie am Ausdehner geſchicht. Folglich wird der Widerſtand des Beugemuſ- kels, als ob man in die eine Wagſchale ein neues Gewicht wuͤrfe, uͤberwaͤltigt, und das Glied dieſer neuen Nerven- kraft gemaͤs, die der Ausſtrekker zum Ueberſchuſſe bekom- men, ausgeſtrekkt. Solchergeſtalt entſteht nicht ploͤzzlich eine Kraft, die den Ausſtrekker auf blieſe, und alle deſſen Grundſtoffe zum Zuſammenziehen vermoͤchte. Sondern dieſe Kraͤfte bekommen nur ein Uebergewicht, und es wird von dieſem Uebergewichte kein voͤlliges Zuſammen- ziehen des Ausſtrekkers, durch alle ſeine Grundteile, in ſo kurzer Zeit erfordert, indem dieſe Kraft vorlaͤngſt im Muſkel war, ſondern es iſt nur dazu einiges Uebermaas an Kraft notwendig (z). Dennoch wird auf dieſe Weiſe zur Zeit noch keine Kraft erſpart, ob die Geſchwindigkeit des Muſkelſpiels gleich dadurch ſehr vergroͤſſert wird, und dennoch iſt blos die neu erzeugte Nervenkraft wirkſam uͤbrig.
Hingegen wuͤrden die Kraͤfte wirklich erſpart werden koͤnnen, wenn man auſſerdem zugeben wollte, daß durch die, dem Ausſtrekker zugeteilte Kraft, etwas von der zuſammenziehenden Kraft des Beugemuſkels abgenom-
men
(z)BOERHAAVE prælect. T. III. p. 386. ſqq.
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0127"n="109"/><fwplace="top"type="header"><hirendition="#b"><hirendition="#aq">II.</hi> Abſchnitt. Erſcheinungen.</hi></fw><lb/>
Stehens, wozu zuruͤkkgezogne, und ausgeſtrekkte Huͤften<lb/>
gehoͤren, daß die Ausſtrekker der Huͤfte ſtaͤrker waren,<lb/>
und dieſes gilt auch von der Natur des Schienbeinsge-<lb/>
lenkes, welches ganz und gar nicht nach vorne nachzuge-<lb/>
ben vermag, hingegen ſich leicht zuruͤkke beugen laͤſſet.</p><lb/><p>Demohngeachtet koͤnnen wir doch uͤberhaupt zugeben,<lb/>
daß die widrigen Muſkeln einander das Gleichgewicht<lb/>
halten; und wenn die eine Art hierinnen vor der andern<lb/>
einen Vorzug beſizzet, ſo biegt ſich, nach dem Maaße<lb/>
ihrer Kraft, das Glied gegen dieſe Theile hin.</p><lb/><p>Nun verſtaͤrkt aber die Nervenkraft die dem einen<lb/>
unter den Gegnern angeborne Kraft, wie am Ausdehner<lb/>
geſchicht. Folglich wird der Widerſtand des Beugemuſ-<lb/>
kels, als ob man in die eine Wagſchale ein neues Gewicht<lb/>
wuͤrfe, uͤberwaͤltigt, und das Glied dieſer neuen Nerven-<lb/>
kraft gemaͤs, die der Ausſtrekker zum Ueberſchuſſe bekom-<lb/>
men, ausgeſtrekkt. Solchergeſtalt entſteht nicht ploͤzzlich<lb/>
eine Kraft, die den Ausſtrekker auf blieſe, und alle deſſen<lb/>
Grundſtoffe zum Zuſammenziehen vermoͤchte. Sondern<lb/>
dieſe Kraͤfte bekommen nur ein Uebergewicht, und es<lb/>
wird von dieſem Uebergewichte kein voͤlliges Zuſammen-<lb/>
ziehen des Ausſtrekkers, durch alle ſeine Grundteile, in<lb/>ſo kurzer Zeit erfordert, indem dieſe Kraft vorlaͤngſt im<lb/>
Muſkel war, ſondern es iſt nur dazu einiges Uebermaas<lb/>
an Kraft notwendig <noteplace="foot"n="(z)"><hirendition="#aq"><hirendition="#g">BOERHAAVE</hi> prælect. T. III. p. 386. ſqq.</hi></note>. Dennoch wird auf dieſe Weiſe<lb/>
zur Zeit noch keine Kraft erſpart, ob die Geſchwindigkeit<lb/>
des Muſkelſpiels gleich dadurch ſehr vergroͤſſert wird, und<lb/>
dennoch iſt blos die neu erzeugte Nervenkraft wirkſam<lb/>
uͤbrig.</p><lb/><p>Hingegen wuͤrden die Kraͤfte wirklich erſpart werden<lb/>
koͤnnen, wenn man auſſerdem zugeben wollte, daß durch<lb/>
die, dem Ausſtrekker zugeteilte Kraft, etwas von der<lb/>
zuſammenziehenden Kraft des Beugemuſkels abgenom-<lb/><fwplace="bottom"type="catch">men</fw><lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[109/0127]
II. Abſchnitt. Erſcheinungen.
Stehens, wozu zuruͤkkgezogne, und ausgeſtrekkte Huͤften
gehoͤren, daß die Ausſtrekker der Huͤfte ſtaͤrker waren,
und dieſes gilt auch von der Natur des Schienbeinsge-
lenkes, welches ganz und gar nicht nach vorne nachzuge-
ben vermag, hingegen ſich leicht zuruͤkke beugen laͤſſet.
Demohngeachtet koͤnnen wir doch uͤberhaupt zugeben,
daß die widrigen Muſkeln einander das Gleichgewicht
halten; und wenn die eine Art hierinnen vor der andern
einen Vorzug beſizzet, ſo biegt ſich, nach dem Maaße
ihrer Kraft, das Glied gegen dieſe Theile hin.
Nun verſtaͤrkt aber die Nervenkraft die dem einen
unter den Gegnern angeborne Kraft, wie am Ausdehner
geſchicht. Folglich wird der Widerſtand des Beugemuſ-
kels, als ob man in die eine Wagſchale ein neues Gewicht
wuͤrfe, uͤberwaͤltigt, und das Glied dieſer neuen Nerven-
kraft gemaͤs, die der Ausſtrekker zum Ueberſchuſſe bekom-
men, ausgeſtrekkt. Solchergeſtalt entſteht nicht ploͤzzlich
eine Kraft, die den Ausſtrekker auf blieſe, und alle deſſen
Grundſtoffe zum Zuſammenziehen vermoͤchte. Sondern
dieſe Kraͤfte bekommen nur ein Uebergewicht, und es
wird von dieſem Uebergewichte kein voͤlliges Zuſammen-
ziehen des Ausſtrekkers, durch alle ſeine Grundteile, in
ſo kurzer Zeit erfordert, indem dieſe Kraft vorlaͤngſt im
Muſkel war, ſondern es iſt nur dazu einiges Uebermaas
an Kraft notwendig (z). Dennoch wird auf dieſe Weiſe
zur Zeit noch keine Kraft erſpart, ob die Geſchwindigkeit
des Muſkelſpiels gleich dadurch ſehr vergroͤſſert wird, und
dennoch iſt blos die neu erzeugte Nervenkraft wirkſam
uͤbrig.
Hingegen wuͤrden die Kraͤfte wirklich erſpart werden
koͤnnen, wenn man auſſerdem zugeben wollte, daß durch
die, dem Ausſtrekker zugeteilte Kraft, etwas von der
zuſammenziehenden Kraft des Beugemuſkels abgenom-
men
(z) BOERHAAVE prælect. T. III. p. 386. ſqq.
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Haller, Albrecht von: Anfangsgründe der Phisiologie des menschlichen Körpers. Bd. 5. Berlin, 1772, S. 109. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/haller_anfangsgruende05_1772/127>, abgerufen am 21.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.