kannten Felers, wie ich an einer mir bekannten Frau gese- hen, deren Haut bis zum siebzigsten Jahre an den Fingern der Hand ohne Gefühl war (s). Doch auch ein Callus unterdrükkt das Gefühl, und ich habe starke Männer gesehen, welche Dornen und Nesseln abbrachen, die doch die Haut eines zarten Mädchens aller Orten zum schwären gebracht haben würden. Es giebt auch gesunde Menschen, welche kaum einiges Gefühl übrig behalten (s*), und die weder eine Nadel unter dem Nagel, noch das Ver- brennen achten (s**).
Folglich rührt auch von der Dikke der Bekleidung der Eindrukk der Rauhigkeit und der übrigen Beschaffen- heiten an Körpern her, welche wir berühren.
Dahin gehört auch, was ich kurz zuvor gesagt habe. Die Gewonheit macht es, daß uns eben diejenigen Dinge als kalt vorkommen, welche uns bei einer andern Gewon- heit heis scheinen würden. So ist die Hizze in den Glas- hütten unerträglich, da die Glasarbeiter das geflossne Glas mit eisernen Röhren aus dem Ofen herauslangen, es zu Kugeln aufblasen, und wir können daselbst keinen Augen- blikk ausdauren.
Wenn das Fühlen einerlei Körper, mit eben denselben Beschaffenheiten, bald so, bald wieder anders der Seele vorstellt, so kann es folglich in der Seele ebenfalls falsche Urtheile hervorbringen, weil beide gegenseitige Urtheile nicht wahr sein können.
Das
(s)[Spaltenumbruch]
Ein änliches Exempel hat BOYLE util. phil. exper. p. 154. BLANCARD Jahrregister I. c. IV. n 33. und an sich selbst, COLLINS pag. 58. der einen Freund anführt, der am ganzen Körper eine beschwerliche Fühllo- sigkeit leidet. An einer Jungfer, [Spaltenumbruch]BARTHOLIN Cent. IV. hist. 82. Ein ander Exempel hat DIEMER- BROECK p. 502.
(s*)BARTHOLIN. loc. cit. daß er weder den Hunger empfand, noch etwas kostete.
(s**)Ibid.
Das Fuͤhlen XII. Buch.
kannten Felers, wie ich an einer mir bekannten Frau geſe- hen, deren Haut bis zum ſiebzigſten Jahre an den Fingern der Hand ohne Gefuͤhl war (s). Doch auch ein Callus unterdruͤkkt das Gefuͤhl, und ich habe ſtarke Maͤnner geſehen, welche Dornen und Neſſeln abbrachen, die doch die Haut eines zarten Maͤdchens aller Orten zum ſchwaͤren gebracht haben wuͤrden. Es giebt auch geſunde Menſchen, welche kaum einiges Gefuͤhl uͤbrig behalten (s*), und die weder eine Nadel unter dem Nagel, noch das Ver- brennen achten (s**).
Folglich ruͤhrt auch von der Dikke der Bekleidung der Eindrukk der Rauhigkeit und der uͤbrigen Beſchaffen- heiten an Koͤrpern her, welche wir beruͤhren.
Dahin gehoͤrt auch, was ich kurz zuvor geſagt habe. Die Gewonheit macht es, daß uns eben diejenigen Dinge als kalt vorkommen, welche uns bei einer andern Gewon- heit heis ſcheinen wuͤrden. So iſt die Hizze in den Glas- huͤtten unertraͤglich, da die Glasarbeiter das gefloſſne Glas mit eiſernen Roͤhren aus dem Ofen herauslangen, es zu Kugeln aufblaſen, und wir koͤnnen daſelbſt keinen Augen- blikk ausdauren.
Wenn das Fuͤhlen einerlei Koͤrper, mit eben denſelben Beſchaffenheiten, bald ſo, bald wieder anders der Seele vorſtellt, ſo kann es folglich in der Seele ebenfalls falſche Urtheile hervorbringen, weil beide gegenſeitige Urtheile nicht wahr ſein koͤnnen.
Das
(s)[Spaltenumbruch]
Ein aͤnliches Exempel hat BOYLE util. phil. exper. p. 154. BLANCARD Jahrregiſter I. c. IV. n 33. und an ſich ſelbſt, COLLINS pag. 58. der einen Freund anfuͤhrt, der am ganzen Koͤrper eine beſchwerliche Fuͤhllo- ſigkeit leidet. An einer Jungfer, [Spaltenumbruch]BARTHOLIN Cent. IV. hiſt. 82. Ein ander Exempel hat DIEMER- BROECK p. 502.
(s*)BARTHOLIN. loc. cit. daß er weder den Hunger empfand, noch etwas koſtete.
(s**)Ibid.
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><p><pbfacs="#f0398"n="380"/><fwplace="top"type="header"><hirendition="#b">Das Fuͤhlen <hirendition="#aq">XII.</hi> Buch.</hi></fw><lb/>
kannten Felers, wie ich an einer mir bekannten Frau geſe-<lb/>
hen, deren Haut bis zum ſiebzigſten Jahre an den Fingern<lb/>
der Hand ohne Gefuͤhl war <noteplace="foot"n="(s)"><cb/>
Ein aͤnliches Exempel hat<lb/><hirendition="#aq"><hirendition="#g">BOYLE</hi> util. phil. exper. p. 154.<lb/><hirendition="#g">BLANCARD</hi></hi> Jahrregiſter <hirendition="#aq">I.<lb/>
c. IV. n</hi> 33. und an ſich ſelbſt,<lb/><hirendition="#aq"><hirendition="#g">COLLINS</hi> pag.</hi> 58. der einen<lb/>
Freund anfuͤhrt, der am ganzen<lb/>
Koͤrper eine beſchwerliche Fuͤhllo-<lb/>ſigkeit leidet. An einer Jungfer,<lb/><cb/><hirendition="#aq">BARTHOLIN Cent. IV. hiſt.</hi> 82.<lb/>
Ein ander Exempel hat <hirendition="#aq">DIEMER-<lb/>
BROECK p.</hi> 502.</note>. Doch auch ein Callus<lb/>
unterdruͤkkt das Gefuͤhl, und ich habe ſtarke Maͤnner<lb/>
geſehen, welche Dornen und Neſſeln abbrachen, die doch<lb/>
die Haut eines zarten Maͤdchens aller Orten zum ſchwaͤren<lb/>
gebracht haben wuͤrden. Es giebt auch geſunde Menſchen,<lb/>
welche kaum einiges Gefuͤhl uͤbrig behalten <noteplace="foot"n="(s*)"><hirendition="#aq">BARTHOLIN. loc. cit.</hi><lb/>
daß er weder den Hunger empfand,<lb/>
noch etwas koſtete.</note>, und<lb/>
die weder eine Nadel unter dem Nagel, noch das Ver-<lb/>
brennen achten <noteplace="foot"n="(s**)"><hirendition="#aq">Ibid.</hi></note>.</p><lb/><p>Folglich ruͤhrt auch von der Dikke der Bekleidung<lb/>
der Eindrukk der Rauhigkeit und der uͤbrigen Beſchaffen-<lb/>
heiten an Koͤrpern her, welche wir beruͤhren.</p><lb/><p>Dahin gehoͤrt auch, was ich kurz zuvor geſagt habe.<lb/>
Die Gewonheit macht es, daß uns eben diejenigen Dinge<lb/>
als kalt vorkommen, welche uns bei einer andern Gewon-<lb/>
heit heis ſcheinen wuͤrden. So iſt die Hizze in den Glas-<lb/>
huͤtten unertraͤglich, da die Glasarbeiter das gefloſſne Glas<lb/>
mit eiſernen Roͤhren aus dem Ofen herauslangen, es zu<lb/>
Kugeln aufblaſen, und wir koͤnnen daſelbſt keinen Augen-<lb/>
blikk ausdauren.</p><lb/><p>Wenn das Fuͤhlen einerlei Koͤrper, mit eben denſelben<lb/>
Beſchaffenheiten, bald ſo, bald wieder anders der Seele<lb/>
vorſtellt, ſo kann es folglich in der Seele ebenfalls falſche<lb/>
Urtheile hervorbringen, weil beide gegenſeitige Urtheile<lb/>
nicht wahr ſein koͤnnen.</p><lb/><fwplace="bottom"type="catch">Das</fw><lb/></div></div></div></body></text></TEI>
[380/0398]
Das Fuͤhlen XII. Buch.
kannten Felers, wie ich an einer mir bekannten Frau geſe-
hen, deren Haut bis zum ſiebzigſten Jahre an den Fingern
der Hand ohne Gefuͤhl war (s). Doch auch ein Callus
unterdruͤkkt das Gefuͤhl, und ich habe ſtarke Maͤnner
geſehen, welche Dornen und Neſſeln abbrachen, die doch
die Haut eines zarten Maͤdchens aller Orten zum ſchwaͤren
gebracht haben wuͤrden. Es giebt auch geſunde Menſchen,
welche kaum einiges Gefuͤhl uͤbrig behalten (s*), und
die weder eine Nadel unter dem Nagel, noch das Ver-
brennen achten (s**).
Folglich ruͤhrt auch von der Dikke der Bekleidung
der Eindrukk der Rauhigkeit und der uͤbrigen Beſchaffen-
heiten an Koͤrpern her, welche wir beruͤhren.
Dahin gehoͤrt auch, was ich kurz zuvor geſagt habe.
Die Gewonheit macht es, daß uns eben diejenigen Dinge
als kalt vorkommen, welche uns bei einer andern Gewon-
heit heis ſcheinen wuͤrden. So iſt die Hizze in den Glas-
huͤtten unertraͤglich, da die Glasarbeiter das gefloſſne Glas
mit eiſernen Roͤhren aus dem Ofen herauslangen, es zu
Kugeln aufblaſen, und wir koͤnnen daſelbſt keinen Augen-
blikk ausdauren.
Wenn das Fuͤhlen einerlei Koͤrper, mit eben denſelben
Beſchaffenheiten, bald ſo, bald wieder anders der Seele
vorſtellt, ſo kann es folglich in der Seele ebenfalls falſche
Urtheile hervorbringen, weil beide gegenſeitige Urtheile
nicht wahr ſein koͤnnen.
Das
(s)
Ein aͤnliches Exempel hat
BOYLE util. phil. exper. p. 154.
BLANCARD Jahrregiſter I.
c. IV. n 33. und an ſich ſelbſt,
COLLINS pag. 58. der einen
Freund anfuͤhrt, der am ganzen
Koͤrper eine beſchwerliche Fuͤhllo-
ſigkeit leidet. An einer Jungfer,
BARTHOLIN Cent. IV. hiſt. 82.
Ein ander Exempel hat DIEMER-
BROECK p. 502.
(s*) BARTHOLIN. loc. cit.
daß er weder den Hunger empfand,
noch etwas koſtete.
(s**) Ibid.
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Haller, Albrecht von: Anfangsgründe der Phisiologie des menschlichen Körpers. Bd. 5. Berlin, 1772, S. 380. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/haller_anfangsgruende05_1772/398>, abgerufen am 22.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.