übers Kreuz gelegte Finger eine einzige Kugel uns so an- geben, als ob ihrer wirklich zwo da wären. Sondern ich will nur überhaupt sagen, daß wenn wir durch das Fühlen von den Beschaffenheiten der Dinge urtheilen, wir diese bekannte Beschaffenheiten niemals aus dem Fühlen so lernen, wie sie wirklich am Körper sind, sondern nur, wie sie durch die von der Natur zwischengeordnete Mittel- bekleidungen von unsern Wärzchen empfunden werden können, so daß also in diesem Stükke das Fühlen vom Sehen gar nicht verschieden ist.
Man sezze, es sei im Nerven irgend eine solche Be- schaffenheit, daß er keine Anstrengung vertragen will, welches bei der Hipochondrie sehr oft vorkömmt (r), so kann einem solchen die beständige Empfindung von einer kalten Luft beschwerlich fallen, weil auch die allergelindeste Berührung der Luft seine Nervchen mit unangenemen Eindrükken rühren würde. Anna von Oesterreich, Kö- nigin von Frankreich, schlief blos auf dem sehr feinen Zeuge, welches man Batist nennt, und es kamen ihr die Bettlaken von der feinsten holländischen Leinwand ganz rauh vor. Eine andere Person konnte weder die Berüh- rung des Sammets, noch die zarte Wollhaut der Pfersichen ausstehen (r*).
Wer seine Hand in heisses Wasser stekkt, bringt Fin- ger heraus, die von der Kraft der Ausdämpfung fast zu- sammenfallen, und welche so empfindlich sind, daß man sich ohne Beschwerde kaum die Kleider anziehen kann, und ihm alles rauh vorkömmt, was doch bei einem gesunden Menschen keine Empfindung macht. Deren Oberhaut an einer Stelle dünner ist, die empfinden auch sogar eine sanfte Luft auf eine unangeneme Art.
Dahingegen werden die Finger fühllos, wenn die Oberhaut ein wenig dikker ist, oder wegen eines sonst be-
kann-
(r)[Spaltenumbruch]Comm. Nor. 1758. hebd. 49.
(r*)[Spaltenumbruch]POUTEAU obs. p. 172.
III. Abſchnitt. an ſich.
uͤbers Kreuz gelegte Finger eine einzige Kugel uns ſo an- geben, als ob ihrer wirklich zwo da waͤren. Sondern ich will nur uͤberhaupt ſagen, daß wenn wir durch das Fuͤhlen von den Beſchaffenheiten der Dinge urtheilen, wir dieſe bekannte Beſchaffenheiten niemals aus dem Fuͤhlen ſo lernen, wie ſie wirklich am Koͤrper ſind, ſondern nur, wie ſie durch die von der Natur zwiſchengeordnete Mittel- bekleidungen von unſern Waͤrzchen empfunden werden koͤnnen, ſo daß alſo in dieſem Stuͤkke das Fuͤhlen vom Sehen gar nicht verſchieden iſt.
Man ſezze, es ſei im Nerven irgend eine ſolche Be- ſchaffenheit, daß er keine Anſtrengung vertragen will, welches bei der Hipochondrie ſehr oft vorkoͤmmt (r), ſo kann einem ſolchen die beſtaͤndige Empfindung von einer kalten Luft beſchwerlich fallen, weil auch die allergelindeſte Beruͤhrung der Luft ſeine Nervchen mit unangenemen Eindruͤkken ruͤhren wuͤrde. Anna von Oeſterreich, Koͤ- nigin von Frankreich, ſchlief blos auf dem ſehr feinen Zeuge, welches man Batiſt nennt, und es kamen ihr die Bettlaken von der feinſten hollaͤndiſchen Leinwand ganz rauh vor. Eine andere Perſon konnte weder die Beruͤh- rung des Sammets, noch die zarte Wollhaut der Pferſichen ausſtehen (r*).
Wer ſeine Hand in heiſſes Waſſer ſtekkt, bringt Fin- ger heraus, die von der Kraft der Ausdaͤmpfung faſt zu- ſammenfallen, und welche ſo empfindlich ſind, daß man ſich ohne Beſchwerde kaum die Kleider anziehen kann, und ihm alles rauh vorkoͤmmt, was doch bei einem geſunden Menſchen keine Empfindung macht. Deren Oberhaut an einer Stelle duͤnner iſt, die empfinden auch ſogar eine ſanfte Luft auf eine unangeneme Art.
Dahingegen werden die Finger fuͤhllos, wenn die Oberhaut ein wenig dikker iſt, oder wegen eines ſonſt be-
kann-
(r)[Spaltenumbruch]Comm. Nor. 1758. hebd. 49.
(r*)[Spaltenumbruch]POUTEAU obſ. p. 172.
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><p><pbfacs="#f0397"n="379"/><fwplace="top"type="header"><hirendition="#b"><hirendition="#aq">III.</hi> Abſchnitt. an ſich.</hi></fw><lb/>
uͤbers Kreuz gelegte Finger eine einzige Kugel uns ſo an-<lb/>
geben, als ob ihrer wirklich zwo da waͤren. Sondern<lb/>
ich will nur uͤberhaupt ſagen, daß wenn wir durch das<lb/>
Fuͤhlen von den Beſchaffenheiten der Dinge urtheilen, wir<lb/>
dieſe bekannte Beſchaffenheiten niemals aus dem Fuͤhlen<lb/>ſo lernen, wie ſie wirklich am Koͤrper ſind, ſondern nur,<lb/>
wie ſie durch die von der Natur zwiſchengeordnete Mittel-<lb/>
bekleidungen von unſern Waͤrzchen empfunden werden<lb/>
koͤnnen, ſo daß alſo in dieſem Stuͤkke das Fuͤhlen vom<lb/>
Sehen gar nicht verſchieden iſt.</p><lb/><p>Man ſezze, es ſei im Nerven irgend eine ſolche Be-<lb/>ſchaffenheit, daß er keine Anſtrengung vertragen will,<lb/>
welches bei der Hipochondrie ſehr oft vorkoͤmmt <noteplace="foot"n="(r)"><cb/><hirendition="#aq">Comm. Nor. 1758. hebd.</hi> 49.</note>, ſo<lb/>
kann einem ſolchen die beſtaͤndige Empfindung von einer<lb/>
kalten Luft beſchwerlich fallen, weil auch die allergelindeſte<lb/>
Beruͤhrung der Luft ſeine Nervchen mit unangenemen<lb/>
Eindruͤkken ruͤhren wuͤrde. <hirendition="#fr">Anna</hi> von Oeſterreich, Koͤ-<lb/>
nigin von Frankreich, ſchlief blos auf dem ſehr feinen<lb/>
Zeuge, welches man Batiſt nennt, und es kamen ihr die<lb/>
Bettlaken von der feinſten hollaͤndiſchen Leinwand ganz<lb/>
rauh vor. Eine andere Perſon konnte weder die Beruͤh-<lb/>
rung des Sammets, noch die zarte Wollhaut der Pferſichen<lb/>
ausſtehen <noteplace="foot"n="(r*)"><cb/><hirendition="#aq">POUTEAU obſ. p.</hi> 172.</note>.</p><lb/><p>Wer ſeine Hand in heiſſes Waſſer ſtekkt, bringt Fin-<lb/>
ger heraus, die von der Kraft der Ausdaͤmpfung faſt zu-<lb/>ſammenfallen, und welche ſo empfindlich ſind, daß man<lb/>ſich ohne Beſchwerde kaum die Kleider anziehen kann, und<lb/>
ihm alles rauh vorkoͤmmt, was doch bei einem geſunden<lb/>
Menſchen keine Empfindung macht. Deren Oberhaut<lb/>
an einer Stelle duͤnner iſt, die empfinden auch ſogar eine<lb/>ſanfte Luft auf eine unangeneme Art.</p><lb/><p>Dahingegen werden die Finger fuͤhllos, wenn die<lb/>
Oberhaut ein wenig dikker iſt, oder wegen eines ſonſt be-<lb/><fwplace="bottom"type="catch">kann-</fw><lb/></p></div></div></div></body></text></TEI>
[379/0397]
III. Abſchnitt. an ſich.
uͤbers Kreuz gelegte Finger eine einzige Kugel uns ſo an-
geben, als ob ihrer wirklich zwo da waͤren. Sondern
ich will nur uͤberhaupt ſagen, daß wenn wir durch das
Fuͤhlen von den Beſchaffenheiten der Dinge urtheilen, wir
dieſe bekannte Beſchaffenheiten niemals aus dem Fuͤhlen
ſo lernen, wie ſie wirklich am Koͤrper ſind, ſondern nur,
wie ſie durch die von der Natur zwiſchengeordnete Mittel-
bekleidungen von unſern Waͤrzchen empfunden werden
koͤnnen, ſo daß alſo in dieſem Stuͤkke das Fuͤhlen vom
Sehen gar nicht verſchieden iſt.
Man ſezze, es ſei im Nerven irgend eine ſolche Be-
ſchaffenheit, daß er keine Anſtrengung vertragen will,
welches bei der Hipochondrie ſehr oft vorkoͤmmt (r), ſo
kann einem ſolchen die beſtaͤndige Empfindung von einer
kalten Luft beſchwerlich fallen, weil auch die allergelindeſte
Beruͤhrung der Luft ſeine Nervchen mit unangenemen
Eindruͤkken ruͤhren wuͤrde. Anna von Oeſterreich, Koͤ-
nigin von Frankreich, ſchlief blos auf dem ſehr feinen
Zeuge, welches man Batiſt nennt, und es kamen ihr die
Bettlaken von der feinſten hollaͤndiſchen Leinwand ganz
rauh vor. Eine andere Perſon konnte weder die Beruͤh-
rung des Sammets, noch die zarte Wollhaut der Pferſichen
ausſtehen (r*).
Wer ſeine Hand in heiſſes Waſſer ſtekkt, bringt Fin-
ger heraus, die von der Kraft der Ausdaͤmpfung faſt zu-
ſammenfallen, und welche ſo empfindlich ſind, daß man
ſich ohne Beſchwerde kaum die Kleider anziehen kann, und
ihm alles rauh vorkoͤmmt, was doch bei einem geſunden
Menſchen keine Empfindung macht. Deren Oberhaut
an einer Stelle duͤnner iſt, die empfinden auch ſogar eine
ſanfte Luft auf eine unangeneme Art.
Dahingegen werden die Finger fuͤhllos, wenn die
Oberhaut ein wenig dikker iſt, oder wegen eines ſonſt be-
kann-
(r)
Comm. Nor. 1758. hebd. 49.
(r*)
POUTEAU obſ. p. 172.
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Haller, Albrecht von: Anfangsgründe der Phisiologie des menschlichen Körpers. Bd. 5. Berlin, 1772, S. 379. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/haller_anfangsgruende05_1772/397>, abgerufen am 23.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.