Allein man muß diese Sache nicht übertreiben (a). Man hat nämlich Exempel, daß Thiere aus Noth, oder Unwis- senheit betrogen worden, schädliche Speisen zu geniessen (a*). Raupen erwälen sich zwar ihre eigne Bäume, essen aber doch auch, vom Hunger gezwungen, fremde Blätter (b).
Die Schwedische Ziegen essen das ihnen ungewönliche Kraut Napell (c) zu ihrem Schaden, ob es gleich unsre Ziegen, die gleichsam durch Erfahrung klüger geworden, nicht anrühren.
Man glaubt, daß sich hin und wieder Seuchen unter die Heerden verbreiten, wozu der Genuß des Ranunculus lanceolatus, des Wasserschierlings, des phellandrii Anlas geben soll, und doch wachsen zwischen den Alpen einige, welche keiner gewis unter die schwachen Gifte zählen wird.
Die Menschen irren sich darinnen schon leichter. Da man eine Pflanze aus Virginien unter den Salatkräutern mit gebrauchte (d), starben einige Seefahrer. Von ge- wissen Nüssen, welche wie Muskatnüsse aussahen, entstand in Amerika unter den Seeleuten eine Krankheit, und ein Sterben (e). Doch es gehören die Betrügereien mit dem giftigen Safte der Mancenilla, des Bilsenkrauts, der Bel- ladonna, und Oenanthe, des Wasserschierlings, der Stech- äpfel, wovon jedermann weis, nicht hieher.
Wahrscheinlicher Weise schärfet sich der Geschmakk bei den Thieren dadurch, daß sie unter den Kräutern eine auserlesene Wal anstellen, so wie sie auf der Zunge grös- sere Wärzchen dazu haben.
Was die Einsaugung, welche an der Zunge vorgeht, da sich besonders die geistigen Säfte in dieselbe hinein bege- ben, und den Nuzzen der Zunge zum Hinabschlagen betrift; dieses soll an anderm Orte bequemer untersucht werden (f).
An-
(a)[Spaltenumbruch]
Dieses erinnerte schon WAL- LERIUS in disput. de hist. natur. usu medico. p. 23.
(a*)Idem. ibid.
(b)De GEER memoir. pour servir a l'histoire des Infectes pag. 319.
(c)[Spaltenumbruch]Acta Acad. Suecicae.
(d)Phil. Trans. n. 454
(e)Voyage de la florte de Nas- sau p. 18.
(f)GREW Cosmolog. sacr. pag. 26.
Der Geſchmak. XIII. Buch.
Allein man muß dieſe Sache nicht uͤbertreiben (a). Man hat naͤmlich Exempel, daß Thiere aus Noth, oder Unwiſ- ſenheit betrogen worden, ſchaͤdliche Speiſen zu genieſſen (a*). Raupen erwaͤlen ſich zwar ihre eigne Baͤume, eſſen aber doch auch, vom Hunger gezwungen, fremde Blaͤtter (b).
Die Schwediſche Ziegen eſſen das ihnen ungewoͤnliche Kraut Napell (c) zu ihrem Schaden, ob es gleich unſre Ziegen, die gleichſam durch Erfahrung kluͤger geworden, nicht anruͤhren.
Man glaubt, daß ſich hin und wieder Seuchen unter die Heerden verbreiten, wozu der Genuß des Ranunculus lanceolatus, des Waſſerſchierlings, des phellandrii Anlas geben ſoll, und doch wachſen zwiſchen den Alpen einige, welche keiner gewis unter die ſchwachen Gifte zaͤhlen wird.
Die Menſchen irren ſich darinnen ſchon leichter. Da man eine Pflanze aus Virginien unter den Salatkraͤutern mit gebrauchte (d), ſtarben einige Seefahrer. Von ge- wiſſen Nuͤſſen, welche wie Muſkatnuͤſſe ausſahen, entſtand in Amerika unter den Seeleuten eine Krankheit, und ein Sterben (e). Doch es gehoͤren die Betruͤgereien mit dem giftigen Safte der Mancenilla, des Bilſenkrauts, der Bel- ladonna, und Oenanthe, des Waſſerſchierlings, der Stech- aͤpfel, wovon jedermann weis, nicht hieher.
Wahrſcheinlicher Weiſe ſchaͤrfet ſich der Geſchmakk bei den Thieren dadurch, daß ſie unter den Kraͤutern eine auserleſene Wal anſtellen, ſo wie ſie auf der Zunge groͤſ- ſere Waͤrzchen dazu haben.
Was die Einſaugung, welche an der Zunge vorgeht, da ſich beſonders die geiſtigen Saͤfte in dieſelbe hinein bege- ben, und den Nuzzen der Zunge zum Hinabſchlagen betrift; dieſes ſoll an anderm Orte bequemer unterſucht werden (f).
An-
(a)[Spaltenumbruch]
Dieſes erinnerte ſchon WAL- LERIUS in diſput. de hiſt. natur. uſu medico. p. 23.
(a*)Idem. ibid.
(b)De GEER memoir. pour ſervir a l’hiſtoire des Infectes pag. 319.
(c)[Spaltenumbruch]Acta Acad. Suecicae.
(d)Phil. Tranſ. n. 454
(e)Voyage de la florte de Naſ- ſau p. 18.
(f)GREW Coſmolog. ſacr. pag. 26.
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(a*). Raupen erwaͤlen ſich zwar ihre eigne Baͤume, eſſen
aber doch auch, vom Hunger gezwungen, fremde Blaͤtter (b).
Die Schwediſche Ziegen eſſen das ihnen ungewoͤnliche
Kraut Napell (c) zu ihrem Schaden, ob es gleich unſre
Ziegen, die gleichſam durch Erfahrung kluͤger geworden,
nicht anruͤhren.
Man glaubt, daß ſich hin und wieder Seuchen unter
die Heerden verbreiten, wozu der Genuß des Ranunculus
lanceolatus, des Waſſerſchierlings, des phellandrii Anlas
geben ſoll, und doch wachſen zwiſchen den Alpen einige,
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man eine Pflanze aus Virginien unter den Salatkraͤutern
mit gebrauchte (d), ſtarben einige Seefahrer. Von ge-
wiſſen Nuͤſſen, welche wie Muſkatnuͤſſe ausſahen, entſtand
in Amerika unter den Seeleuten eine Krankheit, und ein
Sterben (e). Doch es gehoͤren die Betruͤgereien mit dem
giftigen Safte der Mancenilla, des Bilſenkrauts, der Bel-
ladonna, und Oenanthe, des Waſſerſchierlings, der Stech-
aͤpfel, wovon jedermann weis, nicht hieher.
Wahrſcheinlicher Weiſe ſchaͤrfet ſich der Geſchmakk bei
den Thieren dadurch, daß ſie unter den Kraͤutern eine
auserleſene Wal anſtellen, ſo wie ſie auf der Zunge groͤſ-
ſere Waͤrzchen dazu haben.
Was die Einſaugung, welche an der Zunge vorgeht,
da ſich beſonders die geiſtigen Saͤfte in dieſelbe hinein bege-
ben, und den Nuzzen der Zunge zum Hinabſchlagen betrift;
dieſes ſoll an anderm Orte bequemer unterſucht werden (f).
An-
(a)
Dieſes erinnerte ſchon WAL-
LERIUS in diſput. de hiſt. natur.
uſu medico. p. 23.
(a*) Idem. ibid.
(b) De GEER memoir. pour ſervir
a l’hiſtoire des Infectes pag. 319.
(c)
Acta Acad. Suecicae.
(d) Phil. Tranſ. n. 454
(e) Voyage de la florte de Naſ-
ſau p. 18.
(f) GREW Coſmolog. ſacr.
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Haller, Albrecht von: Anfangsgründe der Phisiologie des menschlichen Körpers. Bd. 5. Berlin, 1772, S. 426. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/haller_anfangsgruende05_1772/444>, abgerufen am 22.11.2024.
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