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Haller, Albrecht von: Anfangsgründe der Phisiologie des menschlichen Körpers. Bd. 5. Berlin, 1772.

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III. Abschnitt. Werkzeug.

Die gröbsten Thöne besizzen einen ungemeinen Nach-
drukk, aber nur sehr wenig Annehmlichkeit. Es rüh-
ret der Knall naher Stükke die Ohren dergestalt, daß
davon die Umstehenden oft taub werden, und Zeitlebens
taub bleiben (u).

Man kennt die mechanische Ursache davon nicht; in-
dessen ist doch gewiß, daß unsere Nerven keine zu heftige
Eindrükke vertragen, sondern von selbigen zernichtet
werden, wie das Nezzhäutchen vom Glanze der Sonne,
und die Zunge von sehr sauren Säften.

Bisher war alles begreiflich, allein nun kömmt eine
schwerere Frage zu beantworten vor, warum die in der
Musik auf einander folgende Thöne entweder gefallen,
oder Ohren, besonders geübten, mißfallen. Man hat
angemerkt, daß häufige Consonanzen, wobei die Be-
bungen gleich groß sind, oder doch proportionirte Thö-
ne, deren Bebungen gegen einander einfache Verhält-
nisse haben, die sich mit kleinen Zahlen aussprechen lassen,
angenehm sind (x), als fast doppelte doppelt, oder wie 2
zu 3, und wie 3 zu 4 (y), so daß endlich das Vergnü-
gen abnimmt, wenn das Verhältniß in grossen Zahlen
zu groß, als 6 gegen 7 ist.

Man hat ferner gefunden, daß die Bebungen in ein-
fachen Verhältnissen öfters mit einander zusammen tref-
fen, als in der gleichstimmigen Stimme allezeit, in der
Oktav funfzigmal in hundert Bebungen, in der Quinte
über drei und dreißig mal, seltener aber je weiter die
Zahlen von der Gleichheit der Bebungen entfernt sind.

Diese häufigen Uebereinstimmungen der Bebungen
machen Vergnügen (z).

Man
(u) [Spaltenumbruch] pag. 387.
(x) PARTOLI tract. IV. c. 2.
&c. EULER p. 37. ROGER de
effectu music. p.
63.
(y) [Spaltenumbruch] Daß die Quart keine Dis-
sonanz sei. BARTOLUS p. 229.
(z) MERSENNUS L. 1. prop.
5. ESTEVE p.
47.
III. Abſchnitt. Werkzeug.

Die groͤbſten Thoͤne beſizzen einen ungemeinen Nach-
drukk, aber nur ſehr wenig Annehmlichkeit. Es ruͤh-
ret der Knall naher Stuͤkke die Ohren dergeſtalt, daß
davon die Umſtehenden oft taub werden, und Zeitlebens
taub bleiben (u).

Man kennt die mechaniſche Urſache davon nicht; in-
deſſen iſt doch gewiß, daß unſere Nerven keine zu heftige
Eindruͤkke vertragen, ſondern von ſelbigen zernichtet
werden, wie das Nezzhaͤutchen vom Glanze der Sonne,
und die Zunge von ſehr ſauren Saͤften.

Bisher war alles begreiflich, allein nun koͤmmt eine
ſchwerere Frage zu beantworten vor, warum die in der
Muſik auf einander folgende Thoͤne entweder gefallen,
oder Ohren, beſonders geuͤbten, mißfallen. Man hat
angemerkt, daß haͤufige Conſonanzen, wobei die Be-
bungen gleich groß ſind, oder doch proportionirte Thoͤ-
ne, deren Bebungen gegen einander einfache Verhaͤlt-
niſſe haben, die ſich mit kleinen Zahlen ausſprechen laſſen,
angenehm ſind (x), als faſt doppelte doppelt, oder wie 2
zu 3, und wie 3 zu 4 (y), ſo daß endlich das Vergnuͤ-
gen abnimmt, wenn das Verhaͤltniß in groſſen Zahlen
zu groß, als 6 gegen 7 iſt.

Man hat ferner gefunden, daß die Bebungen in ein-
fachen Verhaͤltniſſen oͤfters mit einander zuſammen tref-
fen, als in der gleichſtimmigen Stimme allezeit, in der
Oktav funfzigmal in hundert Bebungen, in der Quinte
uͤber drei und dreißig mal, ſeltener aber je weiter die
Zahlen von der Gleichheit der Bebungen entfernt ſind.

Dieſe haͤufigen Uebereinſtimmungen der Bebungen
machen Vergnuͤgen (z).

Man
(u) [Spaltenumbruch] pag. 387.
(x) PARTOLI tract. IV. c. 2.
&c. EULER p. 37. ROGER de
effectu muſic. p.
63.
(y) [Spaltenumbruch] Daß die Quart keine Diſ-
ſonanz ſei. BARTOLUS p. 229.
(z) MERSENNUS L. 1. prop.
5. ESTEVE p.
47.
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[703/0721] III. Abſchnitt. Werkzeug. Die groͤbſten Thoͤne beſizzen einen ungemeinen Nach- drukk, aber nur ſehr wenig Annehmlichkeit. Es ruͤh- ret der Knall naher Stuͤkke die Ohren dergeſtalt, daß davon die Umſtehenden oft taub werden, und Zeitlebens taub bleiben (u). Man kennt die mechaniſche Urſache davon nicht; in- deſſen iſt doch gewiß, daß unſere Nerven keine zu heftige Eindruͤkke vertragen, ſondern von ſelbigen zernichtet werden, wie das Nezzhaͤutchen vom Glanze der Sonne, und die Zunge von ſehr ſauren Saͤften. Bisher war alles begreiflich, allein nun koͤmmt eine ſchwerere Frage zu beantworten vor, warum die in der Muſik auf einander folgende Thoͤne entweder gefallen, oder Ohren, beſonders geuͤbten, mißfallen. Man hat angemerkt, daß haͤufige Conſonanzen, wobei die Be- bungen gleich groß ſind, oder doch proportionirte Thoͤ- ne, deren Bebungen gegen einander einfache Verhaͤlt- niſſe haben, die ſich mit kleinen Zahlen ausſprechen laſſen, angenehm ſind (x), als faſt doppelte doppelt, oder wie 2 zu 3, und wie 3 zu 4 (y), ſo daß endlich das Vergnuͤ- gen abnimmt, wenn das Verhaͤltniß in groſſen Zahlen zu groß, als 6 gegen 7 iſt. Man hat ferner gefunden, daß die Bebungen in ein- fachen Verhaͤltniſſen oͤfters mit einander zuſammen tref- fen, als in der gleichſtimmigen Stimme allezeit, in der Oktav funfzigmal in hundert Bebungen, in der Quinte uͤber drei und dreißig mal, ſeltener aber je weiter die Zahlen von der Gleichheit der Bebungen entfernt ſind. Dieſe haͤufigen Uebereinſtimmungen der Bebungen machen Vergnuͤgen (z). Man (u) pag. 387. (x) PARTOLI tract. IV. c. 2. &c. EULER p. 37. ROGER de effectu muſic. p. 63. (y) Daß die Quart keine Diſ- ſonanz ſei. BARTOLUS p. 229. (z) MERSENNUS L. 1. prop. 5. ESTEVE p. 47.

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Zitationshilfe: Haller, Albrecht von: Anfangsgründe der Phisiologie des menschlichen Körpers. Bd. 5. Berlin, 1772, S. 703. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/haller_anfangsgruende05_1772/721>, abgerufen am 22.11.2024.