Man fügte dieser Anmerkung noch bei, daß uns die Consonanzen, und leichte Proportionen darum gefielen, daß die Seele, ob sie gleich ihrer eigenen Arbeit unkun- dig ist, die Bebungen wirklich zähle, und sich an der Begreiflichkeit der einfachen Verhältnisse belustige (a): und dieses Arguments bedienen sich einige Stahlische Schüler, um uns dunkele Empfindungen zu demon- striren (b).
Nun scheint es allerdings wider unser Bewußtseyn, und die allereinfältigste Erfahrung zu streiten, daß un- sere Seele zählen, und in einer Sekunde 7000 Be- bungen zählen, und doch davon nichts wissen soll, was sie gethan hat. Schwerlich wird ein Arzt, welcher noch so aufmerksam ist, 140 Pulsschläge, oder gar funf- zigmal mehr Bebungen zählen, ohne zu wissen, daß er gezählet habe.
Ausserdem ist die ganze Sache an sich falsch. Jch habe erfahrne Thonkünstler gefragt (c*), ob überhaupt diese leichte Consonanzen eine gefällige Melodie geben würden? sie sagten, nein, und antworteten, es würde kindisch und läppisch herauskommen, auf einerlei Sai- te zu verbleiben.
Doch es bezeugt auch der in diesen Dingen erfahrne Bartolus, daß nicht nur beide Terzen, sondern die Sexten überhaupt, deren Verhältnisse wie 5 zu 3, und 8 zu 5 sind (d), in den Melodeien am angenehm- sten sind.
(c)
Auf
(a)[Spaltenumbruch]
Nach der Vermuthung des MERSENNI Harm. pag. 265. HARTSOECKER Physique pag. 139. TAGLINI de aere pag. 227. KRüGER, Grundriß, pag. 39. physiolog. n. 334. KRATZEN- STEIN Beweiß p. 55. NICO- LAI von der Schönheit, p. 40. [Spaltenumbruch]
von der Musik, p. 17. BUFFON T. III. 340. seqq.
(b)KRUGER, KRATZEN- STEIN, NICOLAI.
(c*)add. HALLE von Thieren p. 111.
(d)pag. 231.
(c)pag. 271.
Das Gehoͤr. XV. Buch.
Man fuͤgte dieſer Anmerkung noch bei, daß uns die Conſonanzen, und leichte Proportionen darum gefielen, daß die Seele, ob ſie gleich ihrer eigenen Arbeit unkun- dig iſt, die Bebungen wirklich zaͤhle, und ſich an der Begreiflichkeit der einfachen Verhaͤltniſſe beluſtige (a): und dieſes Arguments bedienen ſich einige Stahliſche Schuͤler, um uns dunkele Empfindungen zu demon- ſtriren (b).
Nun ſcheint es allerdings wider unſer Bewußtſeyn, und die allereinfaͤltigſte Erfahrung zu ſtreiten, daß un- ſere Seele zaͤhlen, und in einer Sekunde 7000 Be- bungen zaͤhlen, und doch davon nichts wiſſen ſoll, was ſie gethan hat. Schwerlich wird ein Arzt, welcher noch ſo aufmerkſam iſt, 140 Pulsſchlaͤge, oder gar funf- zigmal mehr Bebungen zaͤhlen, ohne zu wiſſen, daß er gezaͤhlet habe.
Auſſerdem iſt die ganze Sache an ſich falſch. Jch habe erfahrne Thonkuͤnſtler gefragt (c*), ob uͤberhaupt dieſe leichte Conſonanzen eine gefaͤllige Melodie geben wuͤrden? ſie ſagten, nein, und antworteten, es wuͤrde kindiſch und laͤppiſch herauskommen, auf einerlei Sai- te zu verbleiben.
Doch es bezeugt auch der in dieſen Dingen erfahrne Bartolus, daß nicht nur beide Terzen, ſondern die Sexten uͤberhaupt, deren Verhaͤltniſſe wie 5 zu 3, und 8 zu 5 ſind (d), in den Melodeien am angenehm- ſten ſind.
(c)
Auf
(a)[Spaltenumbruch]
Nach der Vermuthung des MERSENNI Harm. pag. 265. HARTSOECKER Phyſique pag. 139. TAGLINI de aëre pag. 227. KRüGER, Grundriß, pag. 39. phyſiolog. n. 334. KRATZEN- STEIN Beweiß p. 55. NICO- LAI von der Schoͤnheit, p. 40. [Spaltenumbruch]
von der Muſik, p. 17. BUFFON T. III. 340. ſeqq.
(b)KRUGER, KRATZEN- STEIN, NICOLAI.
(c*)add. HALLE von Thieren p. 111.
(d)pag. 231.
(c)pag. 271.
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Das Gehoͤr. XV. Buch.
Man fuͤgte dieſer Anmerkung noch bei, daß uns die
Conſonanzen, und leichte Proportionen darum gefielen,
daß die Seele, ob ſie gleich ihrer eigenen Arbeit unkun-
dig iſt, die Bebungen wirklich zaͤhle, und ſich an der
Begreiflichkeit der einfachen Verhaͤltniſſe beluſtige (a):
und dieſes Arguments bedienen ſich einige Stahliſche
Schuͤler, um uns dunkele Empfindungen zu demon-
ſtriren (b).
Nun ſcheint es allerdings wider unſer Bewußtſeyn,
und die allereinfaͤltigſte Erfahrung zu ſtreiten, daß un-
ſere Seele zaͤhlen, und in einer Sekunde 7000 Be-
bungen zaͤhlen, und doch davon nichts wiſſen ſoll, was
ſie gethan hat. Schwerlich wird ein Arzt, welcher noch
ſo aufmerkſam iſt, 140 Pulsſchlaͤge, oder gar funf-
zigmal mehr Bebungen zaͤhlen, ohne zu wiſſen, daß
er gezaͤhlet habe.
Auſſerdem iſt die ganze Sache an ſich falſch. Jch
habe erfahrne Thonkuͤnſtler gefragt (c*), ob uͤberhaupt
dieſe leichte Conſonanzen eine gefaͤllige Melodie geben
wuͤrden? ſie ſagten, nein, und antworteten, es wuͤrde
kindiſch und laͤppiſch herauskommen, auf einerlei Sai-
te zu verbleiben.
Doch es bezeugt auch der in dieſen Dingen erfahrne
Bartolus, daß nicht nur beide Terzen, ſondern die
Sexten uͤberhaupt, deren Verhaͤltniſſe wie 5 zu 3, und
8 zu 5 ſind (d), in den Melodeien am angenehm-
ſten ſind.
Auf
(c)
(a)
Nach der Vermuthung des
MERSENNI Harm. pag. 265.
HARTSOECKER Phyſique pag.
139. TAGLINI de aëre pag. 227.
KRüGER, Grundriß, pag. 39.
phyſiolog. n. 334. KRATZEN-
STEIN Beweiß p. 55. NICO-
LAI von der Schoͤnheit, p. 40.
von der Muſik, p. 17. BUFFON
T. III. 340. ſeqq.
(b) KRUGER, KRATZEN-
STEIN, NICOLAI.
(c*) add. HALLE von Thieren
p. 111.
(d) pag. 231.
(c) pag. 271.
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Haller, Albrecht von: Anfangsgründe der Phisiologie des menschlichen Körpers. Bd. 5. Berlin, 1772, S. 704. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/haller_anfangsgruende05_1772/722>, abgerufen am 22.11.2024.
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