Man weis nicht, zu welcher Zeit der Gebrauch des Fleisches unter den Menschen zur Mode geworden: und man könnte glauben, daß man die ersten Schritte zu die- ser Aenderung nach der Sündflut (a) gethan habe, da die fruchttragende Bäume noch nicht wieder so zugenom- men hatten, daß man Speise genung von ihnen erhalten konnte: doch auch dieses hat eben keinen unmittelbaren Einfluß in die Aenderung der Lebensart machen können.
Man könnte glauben, die Not habe diese blutige und ungewönliche Speisen eingeführt, nachdem erst die Hausthiere von den Menschen genüzzt worden, wie es sich aus den Opferungen vermuten läst (b), indessen ist doch auch diese Vermutung noch nicht gründlich genung. Oder es mag eine Art von Rache gewesen sein, wenn die wil- den Thiere, die uns Schaden zufügten, und überwältigt wurden, zu den Füssen des Ueberwinders im Blute ge- strekkt, seinen Zorn mit ihrem todten Körper stillen mu- sten, wie noch die Wut im Kriege Menschen zu Men- schenfresser macht, nicht, weil sie sich von Menschenfleische, als einer gewönlichen Speise sättigen, sondern weil sie sich an ihren Feinden nicht genung gerochen achten, wenn sie solche nicht auch nach dem Tode noch zerfleischen (c).
Aus beiderlei Ursachen nahm die Gewonheit des Fleischessens von ihrem Anfange geschwinde und mit ein- mal zu, ohngeachtet einige Gesezze, von denen man noch alte Urkunden hat (d), dieser Mode widersprachen, und Pithagoras die ehemalige Einfalt vergebens wieder ein-
zufüh-
(a)[Spaltenumbruch]Genes. IX. v. 3.
(b) Des Abels Genes. IV. v 4.
(c) Daß wirklich Menschenfres- ser in Brasilien gewesen, sagt PISO de re natur. L. I. p. 14. doch nach [Spaltenumbruch]
so vielen Reisen will DAMPIER kein Menschenfresservolk gefunden haben I. p. 485.
(d)PORPHYRIUS I. c.
Der Magen. XIX. Buch.
§. 6. Das Fleiſcheſſen.
Man weis nicht, zu welcher Zeit der Gebrauch des Fleiſches unter den Menſchen zur Mode geworden: und man koͤnnte glauben, daß man die erſten Schritte zu die- ſer Aenderung nach der Suͤndflut (a) gethan habe, da die fruchttragende Baͤume noch nicht wieder ſo zugenom- men hatten, daß man Speiſe genung von ihnen erhalten konnte: doch auch dieſes hat eben keinen unmittelbaren Einfluß in die Aenderung der Lebensart machen koͤnnen.
Man koͤnnte glauben, die Not habe dieſe blutige und ungewoͤnliche Speiſen eingefuͤhrt, nachdem erſt die Hausthiere von den Menſchen genuͤzzt worden, wie es ſich aus den Opferungen vermuten laͤſt (b), indeſſen iſt doch auch dieſe Vermutung noch nicht gruͤndlich genung. Oder es mag eine Art von Rache geweſen ſein, wenn die wil- den Thiere, die uns Schaden zufuͤgten, und uͤberwaͤltigt wurden, zu den Fuͤſſen des Ueberwinders im Blute ge- ſtrekkt, ſeinen Zorn mit ihrem todten Koͤrper ſtillen mu- ſten, wie noch die Wut im Kriege Menſchen zu Men- ſchenfreſſer macht, nicht, weil ſie ſich von Menſchenfleiſche, als einer gewoͤnlichen Speiſe ſaͤttigen, ſondern weil ſie ſich an ihren Feinden nicht genung gerochen achten, wenn ſie ſolche nicht auch nach dem Tode noch zerfleiſchen (c).
Aus beiderlei Urſachen nahm die Gewonheit des Fleiſcheſſens von ihrem Anfange geſchwinde und mit ein- mal zu, ohngeachtet einige Geſezze, von denen man noch alte Urkunden hat (d), dieſer Mode widerſprachen, und Pithagoras die ehemalige Einfalt vergebens wieder ein-
zufuͤh-
(a)[Spaltenumbruch]Geneſ. IX. v. 3.
(b) Des Abels Geneſ. IV. v 4.
(c) Daß wirklich Menſchenfreſ- ſer in Braſilien geweſen, ſagt PISO de re natur. L. I. p. 14. doch nach [Spaltenumbruch]
ſo vielen Reiſen will DAMPIER kein Menſchenfreſſervolk gefunden haben I. p. 485.
(d)PORPHYRIUS I. c.
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[296[312]/0332]
Der Magen. XIX. Buch.
§. 6.
Das Fleiſcheſſen.
Man weis nicht, zu welcher Zeit der Gebrauch des
Fleiſches unter den Menſchen zur Mode geworden: und
man koͤnnte glauben, daß man die erſten Schritte zu die-
ſer Aenderung nach der Suͤndflut (a) gethan habe, da
die fruchttragende Baͤume noch nicht wieder ſo zugenom-
men hatten, daß man Speiſe genung von ihnen erhalten
konnte: doch auch dieſes hat eben keinen unmittelbaren
Einfluß in die Aenderung der Lebensart machen koͤnnen.
Man koͤnnte glauben, die Not habe dieſe blutige
und ungewoͤnliche Speiſen eingefuͤhrt, nachdem erſt die
Hausthiere von den Menſchen genuͤzzt worden, wie es ſich
aus den Opferungen vermuten laͤſt (b), indeſſen iſt doch
auch dieſe Vermutung noch nicht gruͤndlich genung. Oder
es mag eine Art von Rache geweſen ſein, wenn die wil-
den Thiere, die uns Schaden zufuͤgten, und uͤberwaͤltigt
wurden, zu den Fuͤſſen des Ueberwinders im Blute ge-
ſtrekkt, ſeinen Zorn mit ihrem todten Koͤrper ſtillen mu-
ſten, wie noch die Wut im Kriege Menſchen zu Men-
ſchenfreſſer macht, nicht, weil ſie ſich von Menſchenfleiſche,
als einer gewoͤnlichen Speiſe ſaͤttigen, ſondern weil ſie
ſich an ihren Feinden nicht genung gerochen achten, wenn
ſie ſolche nicht auch nach dem Tode noch zerfleiſchen (c).
Aus beiderlei Urſachen nahm die Gewonheit des
Fleiſcheſſens von ihrem Anfange geſchwinde und mit ein-
mal zu, ohngeachtet einige Geſezze, von denen man noch
alte Urkunden hat (d), dieſer Mode widerſprachen, und
Pithagoras die ehemalige Einfalt vergebens wieder ein-
zufuͤh-
(a)
Geneſ. IX. v. 3.
(b) Des Abels Geneſ. IV. v 4.
(c) Daß wirklich Menſchenfreſ-
ſer in Braſilien geweſen, ſagt PISO
de re natur. L. I. p. 14. doch nach
ſo vielen Reiſen will DAMPIER
kein Menſchenfreſſervolk gefunden
haben I. p. 485.
(d) PORPHYRIUS I. c.
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Haller, Albrecht von: Anfangsgründe der Phisiologie des menschlichen Körpers. Bd. 6. Berlin, 1774, S. 296[312]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/haller_anfangsgruende06_1774/332>, abgerufen am 24.11.2024.
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