Falke verdaut weder gekochte Gerstenkörner (c), noch Brodt (d): hingegen verdaut der Mensch beide Ar- ten von Speise. Denn es hat die Natur den Men- schen zu einer grossen Mannigfaltigkeit von Speisen be- stimmt, und demselben zu allen diesen proportionirli- che Kräfte gegeben. Man wird aber leicht glauben, daß ein Europäer einen schwächern Magen hat, als er ihn nach der Anlage der Natur haben könnte. Wir haben gezeigt, daß Völker, die sich selbst überlassen sind und die von keinen Künsten was wissen, eine grössere Menge Speisen vertragen, und (e) so gar rohe Spei- sen verdauen können (f).
Diejenigen haben klüglich gehandelt, welche die Kräfte des Reibens, die man nach der Hipotese übermäßig gros machte, auf ihre Mittelmäßigkeit herabgesezzt (f*).
Unrecht ist es, wenn man von der Verdauung alles Reiben trennt, weil der Magen der Fische (g) ohne das- selbe die Speise verdaute: weil in einigen Exempeln Thie- re ohne Reiben gelebt haben. z. E. der Straus, an dem ein durchgeschlagner Nagel die gegen überliegende Wän- de des Magens hinderte, sich einander zu berühren (h): weil Menschen mit verschlukkten Messern, die im Magen staken, noch lange leben können (i) und sie ihre völlige Gesundheit wieder erlangt haben, wenn man sie ihnen heraus geschnitten: weil Wassersüchtige ohne Hülfe von den Bauchmuskeln guten Appetit haben (k): und weil man noch andere Gründe von der Art hat.
Denn,
(c)[Spaltenumbruch]REAUMUR Mem. de 1752. p. 477. 478. 479. 301. Journ. des Savans 1753. Juill.
(d)p. 477. 478.
(e)p. 121. 122.
(f)ibid.
(f*)ASTRUC, HARTSOEKE [Spaltenumbruch]
extr. crit. p. 11. wie die Beeren beweisen.
(g)LISTER conchyl. p. 150. seq.
(h)VALISNER notom d'un struzzo p. 242. 243.
(i)p. 318.
(k)VIEUSSENS tr. des liq. p. 267.
Der Magen. XIX. Buch.
Falke verdaut weder gekochte Gerſtenkoͤrner (c), noch Brodt (d): hingegen verdaut der Menſch beide Ar- ten von Speiſe. Denn es hat die Natur den Men- ſchen zu einer groſſen Mannigfaltigkeit von Speiſen be- ſtimmt, und demſelben zu allen dieſen proportionirli- che Kraͤfte gegeben. Man wird aber leicht glauben, daß ein Europaͤer einen ſchwaͤchern Magen hat, als er ihn nach der Anlage der Natur haben koͤnnte. Wir haben gezeigt, daß Voͤlker, die ſich ſelbſt uͤberlaſſen ſind und die von keinen Kuͤnſten was wiſſen, eine groͤſſere Menge Speiſen vertragen, und (e) ſo gar rohe Spei- ſen verdauen koͤnnen (f).
Diejenigen haben kluͤglich gehandelt, welche die Kraͤfte des Reibens, die man nach der Hipoteſe uͤbermaͤßig gros machte, auf ihre Mittelmaͤßigkeit herabgeſezzt (f*).
Unrecht iſt es, wenn man von der Verdauung alles Reiben trennt, weil der Magen der Fiſche (g) ohne daſ- ſelbe die Speiſe verdaute: weil in einigen Exempeln Thie- re ohne Reiben gelebt haben. z. E. der Straus, an dem ein durchgeſchlagner Nagel die gegen uͤberliegende Waͤn- de des Magens hinderte, ſich einander zu beruͤhren (h): weil Menſchen mit verſchlukkten Meſſern, die im Magen ſtaken, noch lange leben koͤnnen (i) und ſie ihre voͤllige Geſundheit wieder erlangt haben, wenn man ſie ihnen heraus geſchnitten: weil Waſſerſuͤchtige ohne Huͤlfe von den Bauchmuſkeln guten Appetit haben (k): und weil man noch andere Gruͤnde von der Art hat.
Denn,
(c)[Spaltenumbruch]REAUMUR Mém. de 1752. p. 477. 478. 479. 301. Journ. des Savans 1753. Juill.
(d)p. 477. 478.
(e)p. 121. 122.
(f)ibid.
(f*)ASTRUC, HARTSOEKE [Spaltenumbruch]
extr. crit. p. 11. wie die Beeren beweiſen.
(g)LISTER conchyl. p. 150. ſeq.
(h)VALISNER notom d’un ſtruzzo p. 242. 243.
(i)p. 318.
(k)VIEUSSENS tr. des liq. p. 267.
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[484[500]/0520]
Der Magen. XIX. Buch.
Falke verdaut weder gekochte Gerſtenkoͤrner (c), noch
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ten von Speiſe. Denn es hat die Natur den Men-
ſchen zu einer groſſen Mannigfaltigkeit von Speiſen be-
ſtimmt, und demſelben zu allen dieſen proportionirli-
che Kraͤfte gegeben. Man wird aber leicht glauben,
daß ein Europaͤer einen ſchwaͤchern Magen hat, als
er ihn nach der Anlage der Natur haben koͤnnte. Wir
haben gezeigt, daß Voͤlker, die ſich ſelbſt uͤberlaſſen ſind
und die von keinen Kuͤnſten was wiſſen, eine groͤſſere
Menge Speiſen vertragen, und (e) ſo gar rohe Spei-
ſen verdauen koͤnnen (f).
Diejenigen haben kluͤglich gehandelt, welche die Kraͤfte
des Reibens, die man nach der Hipoteſe uͤbermaͤßig gros
machte, auf ihre Mittelmaͤßigkeit herabgeſezzt (f*).
Unrecht iſt es, wenn man von der Verdauung alles
Reiben trennt, weil der Magen der Fiſche (g) ohne daſ-
ſelbe die Speiſe verdaute: weil in einigen Exempeln Thie-
re ohne Reiben gelebt haben. z. E. der Straus, an dem
ein durchgeſchlagner Nagel die gegen uͤberliegende Waͤn-
de des Magens hinderte, ſich einander zu beruͤhren (h):
weil Menſchen mit verſchlukkten Meſſern, die im Magen
ſtaken, noch lange leben koͤnnen (i) und ſie ihre voͤllige
Geſundheit wieder erlangt haben, wenn man ſie ihnen
heraus geſchnitten: weil Waſſerſuͤchtige ohne Huͤlfe von
den Bauchmuſkeln guten Appetit haben (k): und weil
man noch andere Gruͤnde von der Art hat.
Denn,
(c)
REAUMUR Mém. de 1752.
p. 477. 478. 479. 301. Journ. des
Savans 1753. Juill.
(d) p. 477. 478.
(e) p. 121. 122.
(f) ibid.
(f*) ASTRUC, HARTSOEKE
extr. crit. p. 11. wie die Beeren
beweiſen.
(g) LISTER conchyl. p. 150. ſeq.
(h) VALISNER notom d’un
ſtruzzo p. 242. 243.
(i) p. 318.
(k) VIEUSSENS tr. des liq.
p. 267.
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Haller, Albrecht von: Anfangsgründe der Phisiologie des menschlichen Körpers. Bd. 6. Berlin, 1774, S. 484[500]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/haller_anfangsgruende06_1774/520>, abgerufen am 22.11.2024.
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