theils mit einem Laute von sich zu stossen, vermögend sei. Da sich ausserdem bei den meisten Geburten der Kopf in der Scheide nur eine sehr kurze Weile aufhält, so hält man es fast für ein gebornes Kind, so bald nur der ganze Kopf den Mund der Gebärmutter verläst. Man er- innere sich, daß man eine Frucht, deren Arm zuerst zum Vorschein kam, und lange Zeit, wie es zu geschehen pflegt, in der Geburt stand, wahrgenommen, und daß ihre Lunge dennoch im Wasser niedergesunken (t). Der berühmte Röderer(v), welcher in der Hebammenkunst so grosse Erfahrung hatte, glaubet, daß die Kinder in der Scheide nicht Athem holen.
Und dennoch habe ich, da ich öfters bei Entbindun- gen zugegen gewesen, nur gar zu oft gehört, und ich glaube, daß es gemeiniglich so zu geschehen pflegt, und der Menschengeburt wesentlich sei, nämlich daß die Frucht winsele, so bald der Kopf ausser der Scheide, unter den Rökken der Mutter, und unter den Händen der ergrei- fenden Wehemutter ist: daß es folglich den Augenblikk, und zwar stark zu schreien pflege. Es scheinet also nicht viel Zeit erfordert zu werden, daß eine gesunde und starke Frucht ihre Lunge zum Athemholen, und einen Laut zu machen, in den Stand sezzen könne.
Hier müssen wir auch die Zeugen anhören. So soll in der Geburt eine Frucht die Brust erweitert haben (x), da ihr Kopf noch feste war.
Folglich könne man nicht gänzlich in Abrede seyn, daß eine dergleichen Frucht, so durch einige Schwierig- keiten, als von breiten Schultern, zurükke gehalten wird, mit ihrem, abwärts gegen die Mündung gekehrten Kopfe zum atmen und schreien geschikkt sey (y).
Jch
(t)[Spaltenumbruch]BLANCAARD Jaarreg. Cent. V.
(v)Satur. p. 32. 33.
(x)IDEMA vervoly.
(y)[Spaltenumbruch]
Eine dreimonatliche Geburt habe keine Stimme, doch nicht eine von fünf Monaten LEVRET p. 417.
Die Frucht. XXIX. B.
theils mit einem Laute von ſich zu ſtoſſen, vermoͤgend ſei. Da ſich auſſerdem bei den meiſten Geburten der Kopf in der Scheide nur eine ſehr kurze Weile aufhaͤlt, ſo haͤlt man es faſt fuͤr ein gebornes Kind, ſo bald nur der ganze Kopf den Mund der Gebaͤrmutter verlaͤſt. Man er- innere ſich, daß man eine Frucht, deren Arm zuerſt zum Vorſchein kam, und lange Zeit, wie es zu geſchehen pflegt, in der Geburt ſtand, wahrgenommen, und daß ihre Lunge dennoch im Waſſer niedergeſunken (t). Der beruͤhmte Roͤderer(v), welcher in der Hebammenkunſt ſo groſſe Erfahrung hatte, glaubet, daß die Kinder in der Scheide nicht Athem holen.
Und dennoch habe ich, da ich oͤfters bei Entbindun- gen zugegen geweſen, nur gar zu oft gehoͤrt, und ich glaube, daß es gemeiniglich ſo zu geſchehen pflegt, und der Menſchengeburt weſentlich ſei, naͤmlich daß die Frucht winſele, ſo bald der Kopf auſſer der Scheide, unter den Roͤkken der Mutter, und unter den Haͤnden der ergrei- fenden Wehemutter iſt: daß es folglich den Augenblikk, und zwar ſtark zu ſchreien pflege. Es ſcheinet alſo nicht viel Zeit erfordert zu werden, daß eine geſunde und ſtarke Frucht ihre Lunge zum Athemholen, und einen Laut zu machen, in den Stand ſezzen koͤnne.
Hier muͤſſen wir auch die Zeugen anhoͤren. So ſoll in der Geburt eine Frucht die Bruſt erweitert haben (x), da ihr Kopf noch feſte war.
Folglich koͤnne man nicht gaͤnzlich in Abrede ſeyn, daß eine dergleichen Frucht, ſo durch einige Schwierig- keiten, als von breiten Schultern, zuruͤkke gehalten wird, mit ihrem, abwaͤrts gegen die Muͤndung gekehrten Kopfe zum atmen und ſchreien geſchikkt ſey (y).
Jch
(t)[Spaltenumbruch]BLANCAARD Jaarreg. Cent. V.
(v)Satur. p. 32. 33.
(x)IDEMA vervoly.
(y)[Spaltenumbruch]
Eine dreimonatliche Geburt habe keine Stimme, doch nicht eine von fuͤnf Monaten LEVRET p. 417.
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[666[668]/0720]
Die Frucht. XXIX. B.
theils mit einem Laute von ſich zu ſtoſſen, vermoͤgend ſei.
Da ſich auſſerdem bei den meiſten Geburten der Kopf in
der Scheide nur eine ſehr kurze Weile aufhaͤlt, ſo haͤlt
man es faſt fuͤr ein gebornes Kind, ſo bald nur der ganze
Kopf den Mund der Gebaͤrmutter verlaͤſt. Man er-
innere ſich, daß man eine Frucht, deren Arm zuerſt
zum Vorſchein kam, und lange Zeit, wie es zu geſchehen
pflegt, in der Geburt ſtand, wahrgenommen, und daß
ihre Lunge dennoch im Waſſer niedergeſunken (t). Der
beruͤhmte Roͤderer (v), welcher in der Hebammenkunſt
ſo groſſe Erfahrung hatte, glaubet, daß die Kinder in
der Scheide nicht Athem holen.
Und dennoch habe ich, da ich oͤfters bei Entbindun-
gen zugegen geweſen, nur gar zu oft gehoͤrt, und ich
glaube, daß es gemeiniglich ſo zu geſchehen pflegt, und
der Menſchengeburt weſentlich ſei, naͤmlich daß die Frucht
winſele, ſo bald der Kopf auſſer der Scheide, unter den
Roͤkken der Mutter, und unter den Haͤnden der ergrei-
fenden Wehemutter iſt: daß es folglich den Augenblikk,
und zwar ſtark zu ſchreien pflege. Es ſcheinet alſo nicht
viel Zeit erfordert zu werden, daß eine geſunde und ſtarke
Frucht ihre Lunge zum Athemholen, und einen Laut zu
machen, in den Stand ſezzen koͤnne.
Hier muͤſſen wir auch die Zeugen anhoͤren. So ſoll
in der Geburt eine Frucht die Bruſt erweitert haben (x),
da ihr Kopf noch feſte war.
Folglich koͤnne man nicht gaͤnzlich in Abrede ſeyn,
daß eine dergleichen Frucht, ſo durch einige Schwierig-
keiten, als von breiten Schultern, zuruͤkke gehalten wird,
mit ihrem, abwaͤrts gegen die Muͤndung gekehrten Kopfe
zum atmen und ſchreien geſchikkt ſey (y).
Jch
(t)
BLANCAARD Jaarreg.
Cent. V.
(v) Satur. p. 32. 33.
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(y)
Eine dreimonatliche Geburt
habe keine Stimme, doch nicht
eine von fuͤnf Monaten LEVRET
p. 417.
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Haller, Albrecht von: Anfangsgründe der Phisiologie des menschlichen Körpers. Bd. 8. Berlin, 1776, S. 666[668]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/haller_anfangsgruende08_1776/720>, abgerufen am 22.11.2024.
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