Halm, Friedrich [d. i. Eligius Franz Joseph von Münch Bellinghausen]: Die Marzipan-Lise. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 21. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–70. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.Geschäfte gleichsam spielend bewältigte, ohne daß seine Arbeiten dabei an Gehalt und Genauigkeit auch nur im Mindesten verloren hätten, machten ihn seinem Dienstgeber bald ganz unentbehrlich. Schon nach Verlauf eines Monats schlug Horvath dem neuen Hausgenossen vor, die Stelle seines Vorgängers mit allen damit verbundenen Ehren und Genüssen bleibend einzunehmen, und legte ihm die Annahme seines Antrags so nahe, daß es dem jungen Manne ein Leichtes gewesen wäre, durch scheinbare Weigerung auch noch höheren Ansprüchen Geltung und Gewährung zu verschaffen. Allein Franz war zu klug, um für einen kargen Gewinn in der Gegenwart vielleicht für alle Zukunft an Gunst und Vertrauen verlieren zu wollen. Er nahm Horvath's Antrag als unverdiente Huld und Ehre demüthig-dankbar an und pries sich hochbeglückt, fortan dauernd einem Hause angehören zu dürfen, dessen Mitglieder ihm insgesammt mit so freundlichem Wohlwollen, so herzlicher Theilnahme entgegenkämen. Der Schreiber Ferencz, wie er nun nach seiner Beförderung genannt wurde, war wirklich in kürzester Zeit der Liebling aller Hausgenossen geworden. Schon in den ersten Tagen nach seiner Ankunft hatte er allmählich den menschenscheuen, argwöhnisch-finstern Trotz, mit dem er zuerst aufgetreten war, gegen ein sanftes, leidendes Wesen, gegen eine stille, schüchterne Freundlichkeit und das rührende Bestreben vertauscht, Jedermann in jedem Wunsche zuvorzukommen und Allen Dienste Geschäfte gleichsam spielend bewältigte, ohne daß seine Arbeiten dabei an Gehalt und Genauigkeit auch nur im Mindesten verloren hätten, machten ihn seinem Dienstgeber bald ganz unentbehrlich. Schon nach Verlauf eines Monats schlug Horváth dem neuen Hausgenossen vor, die Stelle seines Vorgängers mit allen damit verbundenen Ehren und Genüssen bleibend einzunehmen, und legte ihm die Annahme seines Antrags so nahe, daß es dem jungen Manne ein Leichtes gewesen wäre, durch scheinbare Weigerung auch noch höheren Ansprüchen Geltung und Gewährung zu verschaffen. Allein Franz war zu klug, um für einen kargen Gewinn in der Gegenwart vielleicht für alle Zukunft an Gunst und Vertrauen verlieren zu wollen. Er nahm Horváth's Antrag als unverdiente Huld und Ehre demüthig-dankbar an und pries sich hochbeglückt, fortan dauernd einem Hause angehören zu dürfen, dessen Mitglieder ihm insgesammt mit so freundlichem Wohlwollen, so herzlicher Theilnahme entgegenkämen. Der Schreiber Ferencz, wie er nun nach seiner Beförderung genannt wurde, war wirklich in kürzester Zeit der Liebling aller Hausgenossen geworden. Schon in den ersten Tagen nach seiner Ankunft hatte er allmählich den menschenscheuen, argwöhnisch-finstern Trotz, mit dem er zuerst aufgetreten war, gegen ein sanftes, leidendes Wesen, gegen eine stille, schüchterne Freundlichkeit und das rührende Bestreben vertauscht, Jedermann in jedem Wunsche zuvorzukommen und Allen Dienste <TEI> <text> <body> <div type="chapter" n="0"> <p><pb facs="#f0014"/> Geschäfte gleichsam spielend bewältigte, ohne daß seine Arbeiten dabei an Gehalt und Genauigkeit auch nur im Mindesten verloren hätten, machten ihn seinem Dienstgeber bald ganz unentbehrlich.</p><lb/> <p>Schon nach Verlauf eines Monats schlug Horváth dem neuen Hausgenossen vor, die Stelle seines Vorgängers mit allen damit verbundenen Ehren und Genüssen bleibend einzunehmen, und legte ihm die Annahme seines Antrags so nahe, daß es dem jungen Manne ein Leichtes gewesen wäre, durch scheinbare Weigerung auch noch höheren Ansprüchen Geltung und Gewährung zu verschaffen. Allein Franz war zu klug, um für einen kargen Gewinn in der Gegenwart vielleicht für alle Zukunft an Gunst und Vertrauen verlieren zu wollen. Er nahm Horváth's Antrag als unverdiente Huld und Ehre demüthig-dankbar an und pries sich hochbeglückt, fortan dauernd einem Hause angehören zu dürfen, dessen Mitglieder ihm insgesammt mit so freundlichem Wohlwollen, so herzlicher Theilnahme entgegenkämen.</p><lb/> <p>Der Schreiber Ferencz, wie er nun nach seiner Beförderung genannt wurde, war wirklich in kürzester Zeit der Liebling aller Hausgenossen geworden. Schon in den ersten Tagen nach seiner Ankunft hatte er allmählich den menschenscheuen, argwöhnisch-finstern Trotz, mit dem er zuerst aufgetreten war, gegen ein sanftes, leidendes Wesen, gegen eine stille, schüchterne Freundlichkeit und das rührende Bestreben vertauscht, Jedermann in jedem Wunsche zuvorzukommen und Allen Dienste<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [0014]
Geschäfte gleichsam spielend bewältigte, ohne daß seine Arbeiten dabei an Gehalt und Genauigkeit auch nur im Mindesten verloren hätten, machten ihn seinem Dienstgeber bald ganz unentbehrlich.
Schon nach Verlauf eines Monats schlug Horváth dem neuen Hausgenossen vor, die Stelle seines Vorgängers mit allen damit verbundenen Ehren und Genüssen bleibend einzunehmen, und legte ihm die Annahme seines Antrags so nahe, daß es dem jungen Manne ein Leichtes gewesen wäre, durch scheinbare Weigerung auch noch höheren Ansprüchen Geltung und Gewährung zu verschaffen. Allein Franz war zu klug, um für einen kargen Gewinn in der Gegenwart vielleicht für alle Zukunft an Gunst und Vertrauen verlieren zu wollen. Er nahm Horváth's Antrag als unverdiente Huld und Ehre demüthig-dankbar an und pries sich hochbeglückt, fortan dauernd einem Hause angehören zu dürfen, dessen Mitglieder ihm insgesammt mit so freundlichem Wohlwollen, so herzlicher Theilnahme entgegenkämen.
Der Schreiber Ferencz, wie er nun nach seiner Beförderung genannt wurde, war wirklich in kürzester Zeit der Liebling aller Hausgenossen geworden. Schon in den ersten Tagen nach seiner Ankunft hatte er allmählich den menschenscheuen, argwöhnisch-finstern Trotz, mit dem er zuerst aufgetreten war, gegen ein sanftes, leidendes Wesen, gegen eine stille, schüchterne Freundlichkeit und das rührende Bestreben vertauscht, Jedermann in jedem Wunsche zuvorzukommen und Allen Dienste
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Zitationshilfe: | Halm, Friedrich [d. i. Eligius Franz Joseph von Münch Bellinghausen]: Die Marzipan-Lise. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 21. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–70. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/halm_lise_1910/14>, abgerufen am 16.07.2024. |