Halm, Friedrich [d. i. Eligius Franz Joseph von Münch Bellinghausen]: Die Marzipan-Lise. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 21. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–70. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.zu leisten, ohne je welche für sich in Anspruch zu nehmen. Die Regentin des Hauses, die alte Margit, wußte er durch seine ungewöhnliche Frömmigkeit, durch die laute Anerkennung der Vortrefflichkeit ihrer Haushaltung, vor Allem aber durch die dankbare Bereitwilligkeit einzunehmen, mit der er bei seinen häufig wiederkehrenden Augenleiden die unerschöpfliche Fülle ihrer Heilmittel über sich ergehen ließ; die Knechte des Hauses machte er sich theils durch kleine Geschenke, theils durch die Wärme geneigt, mit der er ihre Bitten um Urlaub oder Zulage bei ihrem Dienstherrn befürwortete; die Mägde aber bestach er durch freundliches Grüßen, bescheidenes Lobpreisen ihrer Reize und durch die schwermüthig klagenden Töne, die er in schönen Mondnächten, am Brunnenrande hingelehnt, seiner Flöte zu entlocken wußte. Czenczi, die Tochter des Hauses, war es, der er sich von Allen zuletzt, aber nicht minder erfolgreich, näherte. Das erste Auftreten Ferenez's hatte einen abstoßenden Eindruck auf das siebzehnjährige, einfach schlichte Mädchen gemacht; es war ihr unheimlich in seiner Nähe, sie fürchtete sich vor dem starren Blicke seines hellblauen Auges, aber die Lobeserhebungen des Vaters, das gefällige Aeußere, das feine Wesen des jungen Mannes verwischten bald diesen ersten Eindruck; die Berichte der Mägde und der Base Margit von der Niedergeschlagenheit, dem sichtlichen Kummer des armen Schreibers gewannen ihm allmählich in demselben Maße ihre Theilnahme, als die von allen Seiten gepriesene Fülle seiner Kennt- zu leisten, ohne je welche für sich in Anspruch zu nehmen. Die Regentin des Hauses, die alte Margit, wußte er durch seine ungewöhnliche Frömmigkeit, durch die laute Anerkennung der Vortrefflichkeit ihrer Haushaltung, vor Allem aber durch die dankbare Bereitwilligkeit einzunehmen, mit der er bei seinen häufig wiederkehrenden Augenleiden die unerschöpfliche Fülle ihrer Heilmittel über sich ergehen ließ; die Knechte des Hauses machte er sich theils durch kleine Geschenke, theils durch die Wärme geneigt, mit der er ihre Bitten um Urlaub oder Zulage bei ihrem Dienstherrn befürwortete; die Mägde aber bestach er durch freundliches Grüßen, bescheidenes Lobpreisen ihrer Reize und durch die schwermüthig klagenden Töne, die er in schönen Mondnächten, am Brunnenrande hingelehnt, seiner Flöte zu entlocken wußte. Czenczi, die Tochter des Hauses, war es, der er sich von Allen zuletzt, aber nicht minder erfolgreich, näherte. Das erste Auftreten Ferenez's hatte einen abstoßenden Eindruck auf das siebzehnjährige, einfach schlichte Mädchen gemacht; es war ihr unheimlich in seiner Nähe, sie fürchtete sich vor dem starren Blicke seines hellblauen Auges, aber die Lobeserhebungen des Vaters, das gefällige Aeußere, das feine Wesen des jungen Mannes verwischten bald diesen ersten Eindruck; die Berichte der Mägde und der Base Margit von der Niedergeschlagenheit, dem sichtlichen Kummer des armen Schreibers gewannen ihm allmählich in demselben Maße ihre Theilnahme, als die von allen Seiten gepriesene Fülle seiner Kennt- <TEI> <text> <body> <div type="chapter" n="0"> <p><pb facs="#f0015"/> zu leisten, ohne je welche für sich in Anspruch zu nehmen. Die Regentin des Hauses, die alte Margit, wußte er durch seine ungewöhnliche Frömmigkeit, durch die laute Anerkennung der Vortrefflichkeit ihrer Haushaltung, vor Allem aber durch die dankbare Bereitwilligkeit einzunehmen, mit der er bei seinen häufig wiederkehrenden Augenleiden die unerschöpfliche Fülle ihrer Heilmittel über sich ergehen ließ; die Knechte des Hauses machte er sich theils durch kleine Geschenke, theils durch die Wärme geneigt, mit der er ihre Bitten um Urlaub oder Zulage bei ihrem Dienstherrn befürwortete; die Mägde aber bestach er durch freundliches Grüßen, bescheidenes Lobpreisen ihrer Reize und durch die schwermüthig klagenden Töne, die er in schönen Mondnächten, am Brunnenrande hingelehnt, seiner Flöte zu entlocken wußte. Czenczi, die Tochter des Hauses, war es, der er sich von Allen zuletzt, aber nicht minder erfolgreich, näherte.</p><lb/> <p>Das erste Auftreten Ferenez's hatte einen abstoßenden Eindruck auf das siebzehnjährige, einfach schlichte Mädchen gemacht; es war ihr unheimlich in seiner Nähe, sie fürchtete sich vor dem starren Blicke seines hellblauen Auges, aber die Lobeserhebungen des Vaters, das gefällige Aeußere, das feine Wesen des jungen Mannes verwischten bald diesen ersten Eindruck; die Berichte der Mägde und der Base Margit von der Niedergeschlagenheit, dem sichtlichen Kummer des armen Schreibers gewannen ihm allmählich in demselben Maße ihre Theilnahme, als die von allen Seiten gepriesene Fülle seiner Kennt-<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [0015]
zu leisten, ohne je welche für sich in Anspruch zu nehmen. Die Regentin des Hauses, die alte Margit, wußte er durch seine ungewöhnliche Frömmigkeit, durch die laute Anerkennung der Vortrefflichkeit ihrer Haushaltung, vor Allem aber durch die dankbare Bereitwilligkeit einzunehmen, mit der er bei seinen häufig wiederkehrenden Augenleiden die unerschöpfliche Fülle ihrer Heilmittel über sich ergehen ließ; die Knechte des Hauses machte er sich theils durch kleine Geschenke, theils durch die Wärme geneigt, mit der er ihre Bitten um Urlaub oder Zulage bei ihrem Dienstherrn befürwortete; die Mägde aber bestach er durch freundliches Grüßen, bescheidenes Lobpreisen ihrer Reize und durch die schwermüthig klagenden Töne, die er in schönen Mondnächten, am Brunnenrande hingelehnt, seiner Flöte zu entlocken wußte. Czenczi, die Tochter des Hauses, war es, der er sich von Allen zuletzt, aber nicht minder erfolgreich, näherte.
Das erste Auftreten Ferenez's hatte einen abstoßenden Eindruck auf das siebzehnjährige, einfach schlichte Mädchen gemacht; es war ihr unheimlich in seiner Nähe, sie fürchtete sich vor dem starren Blicke seines hellblauen Auges, aber die Lobeserhebungen des Vaters, das gefällige Aeußere, das feine Wesen des jungen Mannes verwischten bald diesen ersten Eindruck; die Berichte der Mägde und der Base Margit von der Niedergeschlagenheit, dem sichtlichen Kummer des armen Schreibers gewannen ihm allmählich in demselben Maße ihre Theilnahme, als die von allen Seiten gepriesene Fülle seiner Kennt-
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Zitationshilfe: | Halm, Friedrich [d. i. Eligius Franz Joseph von Münch Bellinghausen]: Die Marzipan-Lise. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 21. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–70. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/halm_lise_1910/15>, abgerufen am 16.07.2024. |