Halm, Friedrich [d. i. Eligius Franz Joseph von Münch Bellinghausen]: Die Marzipan-Lise. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 21. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–70. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.Benehmen über alles Maß hinaus verletzt und aufgebracht, stellte sich mit höchster Entschiedenheit auf die Seite des verdächtigten Ferencz und wies laut und öffentlich alle gegen ihn gerichteten Beschuldigungen als schändliche Verleumdungen von sich. Ferencz hatte seinem Dienstherrn in der Gegenwart zu schlagende Beweise seiner Uneigennützigkeit und Redlichkeit gegeben, als daß dieser an dessen Rechtlichkeit in der Vergangenheit hätte zweifeln können. Ebenso widersinnig erschien dem leichtsinnig gutmüthigen, in das Wesen der Dinge selten tief eindringenden Manne die Annahme, seine Tochter könne sich mit einem solchen hergelaufenen, wildfremden Menschen in einen Liebeshandel einlassen. Weit entfernt, durch Entlassung des Schreibers jede Möglichkeit der Fortdauer eines solchen Verhältnisses abzuschneiden, besorgte er vielmehr, eben dadurch einestheils den von Antal verbreiteten Gerüchten einen Anschein von Begründung zu geben, anderntheils sich selbst ohne Noth eines vortrefflichen, nicht leicht zu ersetzenden Arbeitsgehülfen zu berauben. Um Czenczi's Ruf vor Verleumdung sicherzustellen, erschien es ihm genügend, den jungen Leuten die Fortsetzung des wechselseitigen Unterrichts zu untersagen, und so unterbrach er eines Tags die Lehrstunde, wies den Schreiber dahin zurück, wohin er gehöre, nämlich in die Schreibstube zu seinen Büchern, verbot seiner Tochter allen ferneren Verkehr mit dem flötenspielenden Betteljungen, legte dem mit Entlassung bedrohten, in tiefster Zerknirschung um Gnade Benehmen über alles Maß hinaus verletzt und aufgebracht, stellte sich mit höchster Entschiedenheit auf die Seite des verdächtigten Ferencz und wies laut und öffentlich alle gegen ihn gerichteten Beschuldigungen als schändliche Verleumdungen von sich. Ferencz hatte seinem Dienstherrn in der Gegenwart zu schlagende Beweise seiner Uneigennützigkeit und Redlichkeit gegeben, als daß dieser an dessen Rechtlichkeit in der Vergangenheit hätte zweifeln können. Ebenso widersinnig erschien dem leichtsinnig gutmüthigen, in das Wesen der Dinge selten tief eindringenden Manne die Annahme, seine Tochter könne sich mit einem solchen hergelaufenen, wildfremden Menschen in einen Liebeshandel einlassen. Weit entfernt, durch Entlassung des Schreibers jede Möglichkeit der Fortdauer eines solchen Verhältnisses abzuschneiden, besorgte er vielmehr, eben dadurch einestheils den von Antal verbreiteten Gerüchten einen Anschein von Begründung zu geben, anderntheils sich selbst ohne Noth eines vortrefflichen, nicht leicht zu ersetzenden Arbeitsgehülfen zu berauben. Um Czenczi's Ruf vor Verleumdung sicherzustellen, erschien es ihm genügend, den jungen Leuten die Fortsetzung des wechselseitigen Unterrichts zu untersagen, und so unterbrach er eines Tags die Lehrstunde, wies den Schreiber dahin zurück, wohin er gehöre, nämlich in die Schreibstube zu seinen Büchern, verbot seiner Tochter allen ferneren Verkehr mit dem flötenspielenden Betteljungen, legte dem mit Entlassung bedrohten, in tiefster Zerknirschung um Gnade <TEI> <text> <body> <div type="chapter" n="0"> <p><pb facs="#f0019"/> Benehmen über alles Maß hinaus verletzt und aufgebracht, stellte sich mit höchster Entschiedenheit auf die Seite des verdächtigten Ferencz und wies laut und öffentlich alle gegen ihn gerichteten Beschuldigungen als schändliche Verleumdungen von sich. Ferencz hatte seinem Dienstherrn in der Gegenwart zu schlagende Beweise seiner Uneigennützigkeit und Redlichkeit gegeben, als daß dieser an dessen Rechtlichkeit in der Vergangenheit hätte zweifeln können. Ebenso widersinnig erschien dem leichtsinnig gutmüthigen, in das Wesen der Dinge selten tief eindringenden Manne die Annahme, seine Tochter könne sich mit einem solchen hergelaufenen, wildfremden Menschen in einen Liebeshandel einlassen.</p><lb/> <p>Weit entfernt, durch Entlassung des Schreibers jede Möglichkeit der Fortdauer eines solchen Verhältnisses abzuschneiden, besorgte er vielmehr, eben dadurch einestheils den von Antal verbreiteten Gerüchten einen Anschein von Begründung zu geben, anderntheils sich selbst ohne Noth eines vortrefflichen, nicht leicht zu ersetzenden Arbeitsgehülfen zu berauben. Um Czenczi's Ruf vor Verleumdung sicherzustellen, erschien es ihm genügend, den jungen Leuten die Fortsetzung des wechselseitigen Unterrichts zu untersagen, und so unterbrach er eines Tags die Lehrstunde, wies den Schreiber dahin zurück, wohin er gehöre, nämlich in die Schreibstube zu seinen Büchern, verbot seiner Tochter allen ferneren Verkehr mit dem flötenspielenden Betteljungen, legte dem mit Entlassung bedrohten, in tiefster Zerknirschung um Gnade<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [0019]
Benehmen über alles Maß hinaus verletzt und aufgebracht, stellte sich mit höchster Entschiedenheit auf die Seite des verdächtigten Ferencz und wies laut und öffentlich alle gegen ihn gerichteten Beschuldigungen als schändliche Verleumdungen von sich. Ferencz hatte seinem Dienstherrn in der Gegenwart zu schlagende Beweise seiner Uneigennützigkeit und Redlichkeit gegeben, als daß dieser an dessen Rechtlichkeit in der Vergangenheit hätte zweifeln können. Ebenso widersinnig erschien dem leichtsinnig gutmüthigen, in das Wesen der Dinge selten tief eindringenden Manne die Annahme, seine Tochter könne sich mit einem solchen hergelaufenen, wildfremden Menschen in einen Liebeshandel einlassen.
Weit entfernt, durch Entlassung des Schreibers jede Möglichkeit der Fortdauer eines solchen Verhältnisses abzuschneiden, besorgte er vielmehr, eben dadurch einestheils den von Antal verbreiteten Gerüchten einen Anschein von Begründung zu geben, anderntheils sich selbst ohne Noth eines vortrefflichen, nicht leicht zu ersetzenden Arbeitsgehülfen zu berauben. Um Czenczi's Ruf vor Verleumdung sicherzustellen, erschien es ihm genügend, den jungen Leuten die Fortsetzung des wechselseitigen Unterrichts zu untersagen, und so unterbrach er eines Tags die Lehrstunde, wies den Schreiber dahin zurück, wohin er gehöre, nämlich in die Schreibstube zu seinen Büchern, verbot seiner Tochter allen ferneren Verkehr mit dem flötenspielenden Betteljungen, legte dem mit Entlassung bedrohten, in tiefster Zerknirschung um Gnade
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Zitationshilfe: | Halm, Friedrich [d. i. Eligius Franz Joseph von Münch Bellinghausen]: Die Marzipan-Lise. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 21. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–70. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/halm_lise_1910/19>, abgerufen am 16.07.2024. |