Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

[Hamann, Johann Georg]: Sokratische Denkwürdigkeiten. Amsterdam [i. e. Königsberg], 1759.

Bild:
<< vorherige Seite

terdessen glaube ich zuverläßiger, daß unsere
Philosophie eine andere Gestalt nothwendig
haben müste, wenn man die Schicksale dieses
Namens oder Wortes: Philosophie, nach
den Schattierungen der Zeiten, Köpfe, Ge-
schlechter und Völker, nicht wie ein Gelehr-
ter oder Weltweiser selbst, sondern als ein
müßiger *) Zuschauer ihrer olympischen Spie-
le studiert hätte oder zu studieren wüste.

Ein Phrygier, wie Aesop, der sich nach
den Gesetzen seines Klima, wie man jetzt
redt, Zeit nehmen muste, klug zu werden,
und ein so natürlicher Tropf, als ein La
Fontaine,
der sich besser in die Denkungs-
art der Thiere als der Menschen zu schicken
und zu verwandeln wuste, würden uns an
statt gemalter Philosophen oder ihrer zierlich
verstümmelter Brustbilder, ganz andere Ge-

schöpfe
*) Ein Mensch ohne Geschäfte heißt auf grie-
chisch Argus.
B 3

terdeſſen glaube ich zuverlaͤßiger, daß unſere
Philoſophie eine andere Geſtalt nothwendig
haben muͤſte, wenn man die Schickſale dieſes
Namens oder Wortes: Philoſophie, nach
den Schattierungen der Zeiten, Koͤpfe, Ge-
ſchlechter und Voͤlker, nicht wie ein Gelehr-
ter oder Weltweiſer ſelbſt, ſondern als ein
muͤßiger *) Zuſchauer ihrer olympiſchen Spie-
le ſtudiert haͤtte oder zu ſtudieren wuͤſte.

Ein Phrygier, wie Aeſop, der ſich nach
den Geſetzen ſeines Klima, wie man jetzt
redt, Zeit nehmen muſte, klug zu werden,
und ein ſo natuͤrlicher Tropf, als ein La
Fontaine,
der ſich beſſer in die Denkungs-
art der Thiere als der Menſchen zu ſchicken
und zu verwandeln wuſte, wuͤrden uns an
ſtatt gemalter Philoſophen oder ihrer zierlich
verſtuͤmmelter Bruſtbilder, ganz andere Ge-

ſchoͤpfe
*) Ein Menſch ohne Geſchaͤfte heißt auf grie-
chiſch Argus.
B 3
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0025" n="21"/>
terde&#x017F;&#x017F;en glaube ich zuverla&#x0364;ßiger, daß un&#x017F;ere<lb/>
Philo&#x017F;ophie eine andere Ge&#x017F;talt nothwendig<lb/>
haben mu&#x0364;&#x017F;te, wenn man die Schick&#x017F;ale die&#x017F;es<lb/>
Namens oder Wortes: <hi rendition="#fr">Philo&#x017F;ophie,</hi> nach<lb/>
den Schattierungen der Zeiten, Ko&#x0364;pfe, Ge-<lb/>
&#x017F;chlechter und Vo&#x0364;lker, nicht wie ein Gelehr-<lb/>
ter oder Weltwei&#x017F;er &#x017F;elb&#x017F;t, &#x017F;ondern als ein<lb/>
mu&#x0364;ßiger <note place="foot" n="*)">Ein Men&#x017F;ch <hi rendition="#fr">ohne Ge&#x017F;cha&#x0364;fte</hi> heißt auf grie-<lb/>
chi&#x017F;ch <hi rendition="#fr">Argus.</hi></note> Zu&#x017F;chauer ihrer olympi&#x017F;chen Spie-<lb/>
le &#x017F;tudiert ha&#x0364;tte oder zu &#x017F;tudieren wu&#x0364;&#x017F;te.</p><lb/>
            <p>Ein <hi rendition="#fr">Phrygier,</hi> wie Ae&#x017F;op, der &#x017F;ich nach<lb/>
den Ge&#x017F;etzen &#x017F;eines <hi rendition="#fr">Klima,</hi> wie man jetzt<lb/>
redt, Zeit nehmen mu&#x017F;te, klug zu werden,<lb/>
und ein &#x017F;o natu&#x0364;rlicher Tropf, als ein <hi rendition="#aq">La<lb/>
Fontaine,</hi> der &#x017F;ich be&#x017F;&#x017F;er in die Denkungs-<lb/>
art der Thiere als der Men&#x017F;chen zu &#x017F;chicken<lb/>
und zu verwandeln wu&#x017F;te, wu&#x0364;rden uns an<lb/>
&#x017F;tatt gemalter Philo&#x017F;ophen oder ihrer zierlich<lb/>
ver&#x017F;tu&#x0364;mmelter Bru&#x017F;tbilder, ganz andere Ge-<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">B 3</fw><fw place="bottom" type="catch">&#x017F;cho&#x0364;pfe</fw><lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[21/0025] terdeſſen glaube ich zuverlaͤßiger, daß unſere Philoſophie eine andere Geſtalt nothwendig haben muͤſte, wenn man die Schickſale dieſes Namens oder Wortes: Philoſophie, nach den Schattierungen der Zeiten, Koͤpfe, Ge- ſchlechter und Voͤlker, nicht wie ein Gelehr- ter oder Weltweiſer ſelbſt, ſondern als ein muͤßiger *) Zuſchauer ihrer olympiſchen Spie- le ſtudiert haͤtte oder zu ſtudieren wuͤſte. Ein Phrygier, wie Aeſop, der ſich nach den Geſetzen ſeines Klima, wie man jetzt redt, Zeit nehmen muſte, klug zu werden, und ein ſo natuͤrlicher Tropf, als ein La Fontaine, der ſich beſſer in die Denkungs- art der Thiere als der Menſchen zu ſchicken und zu verwandeln wuſte, wuͤrden uns an ſtatt gemalter Philoſophen oder ihrer zierlich verſtuͤmmelter Bruſtbilder, ganz andere Ge- ſchoͤpfe *) Ein Menſch ohne Geſchaͤfte heißt auf grie- chiſch Argus. B 3

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/hamann_denkwuerdigkeiten_1759
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/hamann_denkwuerdigkeiten_1759/25
Zitationshilfe: [Hamann, Johann Georg]: Sokratische Denkwürdigkeiten. Amsterdam [i. e. Königsberg], 1759, S. 21. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hamann_denkwuerdigkeiten_1759/25>, abgerufen am 21.11.2024.