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[Hamann, Johann Georg]: Sokratische Denkwürdigkeiten. Amsterdam [i. e. Königsberg], 1759.

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gewesen diese Göttinnen zu kleiden; den alt-
väterischen Gebrauch hatte Sokrates nach-
geahmt, und seine Gratien wiedersprachen
der Custome des damaligen Göttersystems
und der sich darauf gründenden schönen Kün-
ste. Wie Sokrates auf diese Neuerung ge-
kommen; ob es eine Eingebung seines Ge-
nius, oder eine Eitelkeit seine Arbeiten zu un-
terscheiden, oder die Einfalt einer natürli-
chen Schaamhaftigkeit gewesen, die einem
andächtigen Athenienser wunderlich vorkom-
men muste; weiß ich nicht. Es ist aber
nur gar zu wahrscheinlich, daß diese neuge-
kleideten Gratien so wenig ohne Anfechtung
werden geblieben seyn als die neugekleideten
Gratien unserer heutigen Dichtkunst.

Hier ist der Ort die Uebersichtigkeit einiger
gegen das menschliche Geschlecht und dessen
Aufkommen gar zu witzig gesinnter Patrioten
zu ahnden, die sich die Verdienste des Bild-

hauers

geweſen dieſe Goͤttinnen zu kleiden; den alt-
vaͤteriſchen Gebrauch hatte Sokrates nach-
geahmt, und ſeine Gratien wiederſprachen
der Cuſtome des damaligen Goͤtterſyſtems
und der ſich darauf gruͤndenden ſchoͤnen Kuͤn-
ſte. Wie Sokrates auf dieſe Neuerung ge-
kommen; ob es eine Eingebung ſeines Ge-
nius, oder eine Eitelkeit ſeine Arbeiten zu un-
terſcheiden, oder die Einfalt einer natuͤrli-
chen Schaamhaftigkeit geweſen, die einem
andaͤchtigen Athenienſer wunderlich vorkom-
men muſte; weiß ich nicht. Es iſt aber
nur gar zu wahrſcheinlich, daß dieſe neuge-
kleideten Gratien ſo wenig ohne Anfechtung
werden geblieben ſeyn als die neugekleideten
Gratien unſerer heutigen Dichtkunſt.

Hier iſt der Ort die Ueberſichtigkeit einiger
gegen das menſchliche Geſchlecht und deſſen
Aufkommen gar zu witzig geſinnter Patrioten
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[31/0035] geweſen dieſe Goͤttinnen zu kleiden; den alt- vaͤteriſchen Gebrauch hatte Sokrates nach- geahmt, und ſeine Gratien wiederſprachen der Cuſtome des damaligen Goͤtterſyſtems und der ſich darauf gruͤndenden ſchoͤnen Kuͤn- ſte. Wie Sokrates auf dieſe Neuerung ge- kommen; ob es eine Eingebung ſeines Ge- nius, oder eine Eitelkeit ſeine Arbeiten zu un- terſcheiden, oder die Einfalt einer natuͤrli- chen Schaamhaftigkeit geweſen, die einem andaͤchtigen Athenienſer wunderlich vorkom- men muſte; weiß ich nicht. Es iſt aber nur gar zu wahrſcheinlich, daß dieſe neuge- kleideten Gratien ſo wenig ohne Anfechtung werden geblieben ſeyn als die neugekleideten Gratien unſerer heutigen Dichtkunſt. Hier iſt der Ort die Ueberſichtigkeit einiger gegen das menſchliche Geſchlecht und deſſen Aufkommen gar zu witzig geſinnter Patrioten zu ahnden, die ſich die Verdienſte des Bild- hauers

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Zitationshilfe: [Hamann, Johann Georg]: Sokratische Denkwürdigkeiten. Amsterdam [i. e. Königsberg], 1759, S. 31. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hamann_denkwuerdigkeiten_1759/35>, abgerufen am 21.11.2024.