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[Hamann, Johann Georg]: Sokratische Denkwürdigkeiten. Amsterdam [i. e. Königsberg], 1759.

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Gestalt eines ziegenfüßigen Satyrs zu se-
hen war.

Hier ist ein Beyspiel davon. Sokrates
verglich sich mit einem Arzte, der in einem ge-
meinen Wesen von Kindern die Kuchen- und
Zuckernäschereyen verbiethen wollte. Wenn
diese Kunstverwandten, sagte er, den Arzt
vor einem Gerichte verklagen möchten, das
aus lauter Kindern bestünde: so wäre sein
Schicksal entschieden. Man machte zu Athen
so viel Anschläge an dem Glück der Götter
Theil zu nehmen, und gleich ihnen weise und
glücklich zu werden, als man heut zu Tage
macht nach Brodt- und Ehren-Stellen. Je-
der neue Götzendienst war eine Finanzgrube
der Priester, welche das öffentliche Wohl
vermehren sollte; jede neue Secte der So-
phisten versprach eine Encyclopedie der gesun-
den Vernunft und Erfahrung. Diese Pro-
jecte waren die Näschereyen, welche Sokra-
tes seinen Mitbürgern zu vereckeln suchte.

Athen, das den Homer als einen Rasen-
den
zu einer Geldbusse verdammt haben soll,
verurtheilte den Sokrates als einen Misse-
thäter
zum Tode.

Sein erstes Verbrechen war, daß er die
Götter nicht geehrt und neue hätte einführen
wollen. Plato läßt ihn gleichwol in seinen
Gesprächen öfterer bey den Göttern schwören

als

Geſtalt eines ziegenfuͤßigen Satyrs zu ſe-
hen war.

Hier iſt ein Beyſpiel davon. Sokrates
verglich ſich mit einem Arzte, der in einem ge-
meinen Weſen von Kindern die Kuchen- und
Zuckernaͤſchereyen verbiethen wollte. Wenn
dieſe Kunſtverwandten, ſagte er, den Arzt
vor einem Gerichte verklagen moͤchten, das
aus lauter Kindern beſtuͤnde: ſo waͤre ſein
Schickſal entſchieden. Man machte zu Athen
ſo viel Anſchlaͤge an dem Gluͤck der Goͤtter
Theil zu nehmen, und gleich ihnen weiſe und
gluͤcklich zu werden, als man heut zu Tage
macht nach Brodt- und Ehren-Stellen. Je-
der neue Goͤtzendienſt war eine Finanzgrube
der Prieſter, welche das oͤffentliche Wohl
vermehren ſollte; jede neue Secte der So-
phiſten verſprach eine Encyclopedie der geſun-
den Vernunft und Erfahrung. Dieſe Pro-
jecte waren die Naͤſchereyen, welche Sokra-
tes ſeinen Mitbuͤrgern zu vereckeln ſuchte.

Athen, das den Homer als einen Raſen-
den
zu einer Geldbuſſe verdammt haben ſoll,
verurtheilte den Sokrates als einen Miſſe-
thaͤter
zum Tode.

Sein erſtes Verbrechen war, daß er die
Goͤtter nicht geehrt und neue haͤtte einfuͤhren
wollen. Plato laͤßt ihn gleichwol in ſeinen
Geſpraͤchen oͤfterer bey den Goͤttern ſchwoͤren

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[61/0065] Geſtalt eines ziegenfuͤßigen Satyrs zu ſe- hen war. Hier iſt ein Beyſpiel davon. Sokrates verglich ſich mit einem Arzte, der in einem ge- meinen Weſen von Kindern die Kuchen- und Zuckernaͤſchereyen verbiethen wollte. Wenn dieſe Kunſtverwandten, ſagte er, den Arzt vor einem Gerichte verklagen moͤchten, das aus lauter Kindern beſtuͤnde: ſo waͤre ſein Schickſal entſchieden. Man machte zu Athen ſo viel Anſchlaͤge an dem Gluͤck der Goͤtter Theil zu nehmen, und gleich ihnen weiſe und gluͤcklich zu werden, als man heut zu Tage macht nach Brodt- und Ehren-Stellen. Je- der neue Goͤtzendienſt war eine Finanzgrube der Prieſter, welche das oͤffentliche Wohl vermehren ſollte; jede neue Secte der So- phiſten verſprach eine Encyclopedie der geſun- den Vernunft und Erfahrung. Dieſe Pro- jecte waren die Naͤſchereyen, welche Sokra- tes ſeinen Mitbuͤrgern zu vereckeln ſuchte. Athen, das den Homer als einen Raſen- den zu einer Geldbuſſe verdammt haben ſoll, verurtheilte den Sokrates als einen Miſſe- thaͤter zum Tode. Sein erſtes Verbrechen war, daß er die Goͤtter nicht geehrt und neue haͤtte einfuͤhren wollen. Plato laͤßt ihn gleichwol in ſeinen Geſpraͤchen oͤfterer bey den Goͤttern ſchwoͤren als

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Zitationshilfe: [Hamann, Johann Georg]: Sokratische Denkwürdigkeiten. Amsterdam [i. e. Königsberg], 1759, S. 61. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hamann_denkwuerdigkeiten_1759/65>, abgerufen am 22.11.2024.