Hampe, Karl: Deutsche Kaisergeschichte in der Zeit der Salier und Staufer. Leipzig, 1909.II. Die Zeit der Staufer. Lothar, nachdem er sich eine ganze Nacht hindurch aus den vor-gelegten Urkunden von seinem Rechte überzeugt hatte, durch die nachdrückliche Androhung eines Bruches seinen Willen durch. Und überhaupt gewinnt man aus dieser letzten Zeit den bestimmten Eindruck, daß die Linien der kaiserlichen und päpstlichen Politik auseinanderzuweichen begannen. Der Kaiser, der bei dem An- schwellen seiner Macht in den letzten Jahren auch der deutschen Kirche gegenüber seinen konkordatmäßigen Einfluß stärker als früher zur Geltung gebracht hatte, mußte bei aller Milde durch die stete rechtsverletzende Begehrlichkeit der Kurie verstimmt werden; der Papst andererseits begann zu fürchten, daß jene Macht bald in den rücksichtsloseren Händen Heinrichs des Stolzen, mit dem er letzthin schon mehrfach schroff zusammengestoßen war, erdrückt werden möchte. Überdies waren dort auch diesmal seine Wünsche keines- wegs befriedigt, als Lothar sich mit seinem Heere nordwärts wandte. Innozenz sah sich fast ausschließlich auf das Ansehen und die Redekunst Bernhards angewiesen und war gezwungen, dem wieder vordringenden Roger, der damit in Lothars Rolle einrückte, das Amt eines Schiedsrichters zwischen ihm und seinem Gegner an- zutragen. Erst der Tod Anaklets (1138) verschaffte ihm end- gültig Luft. Damals weilte Lothar schon nicht mehr unter den Lebenden. II. Die Zeit der Staufer. Lothar, nachdem er sich eine ganze Nacht hindurch aus den vor-gelegten Urkunden von seinem Rechte überzeugt hatte, durch die nachdrückliche Androhung eines Bruches seinen Willen durch. Und überhaupt gewinnt man aus dieser letzten Zeit den bestimmten Eindruck, daß die Linien der kaiserlichen und päpstlichen Politik auseinanderzuweichen begannen. Der Kaiser, der bei dem An- schwellen seiner Macht in den letzten Jahren auch der deutschen Kirche gegenüber seinen konkordatmäßigen Einfluß stärker als früher zur Geltung gebracht hatte, mußte bei aller Milde durch die stete rechtsverletzende Begehrlichkeit der Kurie verstimmt werden; der Papst andererseits begann zu fürchten, daß jene Macht bald in den rücksichtsloseren Händen Heinrichs des Stolzen, mit dem er letzthin schon mehrfach schroff zusammengestoßen war, erdrückt werden möchte. Überdies waren dort auch diesmal seine Wünsche keines- wegs befriedigt, als Lothar sich mit seinem Heere nordwärts wandte. Innozenz sah sich fast ausschließlich auf das Ansehen und die Redekunst Bernhards angewiesen und war gezwungen, dem wieder vordringenden Roger, der damit in Lothars Rolle einrückte, das Amt eines Schiedsrichters zwischen ihm und seinem Gegner an- zutragen. Erst der Tod Anaklets (1138) verschaffte ihm end- gültig Luft. Damals weilte Lothar schon nicht mehr unter den Lebenden. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0110" n="102"/><fw place="top" type="header">II. Die Zeit der Staufer.</fw><lb/> Lothar, nachdem er sich eine ganze Nacht hindurch aus den vor-<lb/> gelegten Urkunden von seinem Rechte überzeugt hatte, durch die<lb/> nachdrückliche Androhung eines Bruches seinen Willen durch. Und<lb/> überhaupt gewinnt man aus dieser letzten Zeit den bestimmten<lb/> Eindruck, daß die Linien der kaiserlichen und päpstlichen Politik<lb/> auseinanderzuweichen begannen. 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Wie würde die Geschichtschreibung Lothar als vorbereitenden<lb/> Gründer der Dynastie preisen, wenn statt der Staufer die Welfen<lb/> sich auf dem Throne behauptet hätten! Daß dies Ziel durch listige<lb/> Machenschaft und bösen Zufall vereitelt wurde, vernichtete, wenigstens<lb/> zum guten Teil, Lothars Lebenswerk und stürzte das Reich in Ver-<lb/> wirrung und Ohnmacht.</p> </div><lb/> </div> </body> </text> </TEI> [102/0110]
II. Die Zeit der Staufer.
Lothar, nachdem er sich eine ganze Nacht hindurch aus den vor-
gelegten Urkunden von seinem Rechte überzeugt hatte, durch die
nachdrückliche Androhung eines Bruches seinen Willen durch. Und
überhaupt gewinnt man aus dieser letzten Zeit den bestimmten
Eindruck, daß die Linien der kaiserlichen und päpstlichen Politik
auseinanderzuweichen begannen. Der Kaiser, der bei dem An-
schwellen seiner Macht in den letzten Jahren auch der deutschen
Kirche gegenüber seinen konkordatmäßigen Einfluß stärker als früher
zur Geltung gebracht hatte, mußte bei aller Milde durch die stete
rechtsverletzende Begehrlichkeit der Kurie verstimmt werden; der
Papst andererseits begann zu fürchten, daß jene Macht bald in den
rücksichtsloseren Händen Heinrichs des Stolzen, mit dem er letzthin
schon mehrfach schroff zusammengestoßen war, erdrückt werden
möchte. Überdies waren dort auch diesmal seine Wünsche keines-
wegs befriedigt, als Lothar sich mit seinem Heere nordwärts wandte.
Innozenz sah sich fast ausschließlich auf das Ansehen und die
Redekunst Bernhards angewiesen und war gezwungen, dem wieder
vordringenden Roger, der damit in Lothars Rolle einrückte, das
Amt eines Schiedsrichters zwischen ihm und seinem Gegner an-
zutragen. Erst der Tod Anaklets (1138) verschaffte ihm end-
gültig Luft.
Damals weilte Lothar schon nicht mehr unter den Lebenden.
Im Gefühl seines nahenden Todes hatte der mehr als Siebzigjährige
den Rückmarsch beschleunigt; er starb, kurz nachdem er den deut-
schen Boden betreten hatte. Wenn eine aufsteigende Machtent-
wicklung das Kennzeichen politischer Erfolge ist, so war Lothars
Regierung — wenn nicht glänzend — so doch keinesfalls ganz
unglücklich. Aber sie war wesentlich vorbereitender Art. Noch
vor kurzem hatte er Heinrich den Stolzen mit der Markgrafschaft
Tuszien belehnt; jetzt bestimmte er ihm Sachsen und bezeichnete
ihn sterbend durch Übergabe der Reichsinsignien als den erwünschten
Thronfolger. Welch' gewaltigen Gebietsumfang „von Meer zu Meer,
von Dänemark bis Sizilien“ vereinigte dieser damit unmittelbar unter
sich! Wie würde die Geschichtschreibung Lothar als vorbereitenden
Gründer der Dynastie preisen, wenn statt der Staufer die Welfen
sich auf dem Throne behauptet hätten! Daß dies Ziel durch listige
Machenschaft und bösen Zufall vereitelt wurde, vernichtete, wenigstens
zum guten Teil, Lothars Lebenswerk und stürzte das Reich in Ver-
wirrung und Ohnmacht.
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