Hampe, Karl: Deutsche Kaisergeschichte in der Zeit der Salier und Staufer. Leipzig, 1909.§ 3. Das Reich während der Minderjährigkeit Heinrichs IV. (1056-1065). beider Kreise aussichtslos erschien, so führte eine wahre Befreiung der Kirchezu ihrer Überordnung über die weltlichen Gewalten. Das Priestertum ward der leitenden Seele, das Königtum dem gehorchenden Körper verglichen. So gelangte man gleich im Anfange in der Verfolgung der kirchlichen Freiheit zur kirchlichen Herrschaft. Noch mochten sich die maßvolleren Reformer, wie der zum Gleich die Lateransynode von 1059 zeigte in ihren Reform- 1) Seine Schriften und Briefe gehören zu den wichtigsten Quellen für die kirchliche Reformbewegung vor dem Investiturstreit, vgl. Opera ed. Caje- tanus 1743 u. Libelli de lite I. 2) Die Verfälschungen des ursprünglichen Textes während des folgenden Kampfes in beiden Lagern haben der Forschung über das Papstwahldekret Nikolaus II. schwierige Aufgaben gestellt und eine reiche Kontroversliteratur hervorgerufen. Die älteren Abhandlungen finden sich aufgezählt und beurteilt in der Schrift von Scheffer-Boichorst, Die Neuordnung der Papstwahl durch Nikolaus II. (1879), die einen vorläufigen Abschluß brachte und noch jetzt die sicherste Grundlage für weitere Arbeit bleibt. Die sog. "päpst- liche" Fassung des Dekrets mit dem allgemeinen Vorbehalt des kaiserlichen Rechts wurde von ihm mit hoher Wahrscheinlichkeit als die dem ursprüng- lichen Text im wesentlichen entsprechende nachgewiesen, während die sog. "kaiserliche" Fassung, die dem Kaiser einen Anteil an der Wahl selbst zu- gesteht, als eine spätere Fälschung aus dem Kreise der Anhänger des Gegen- papstes Wibert um 1080 erscheint, andererseits freilich auch eine Verfälschung aus dem Lager Gregors VII. nicht fehlt. Über einzelne Streitpunkte, wie die von Panzer, v. Heinemann, K. Müller u. a. angenommene Abänderung des Dekrets im Jahre 1060, setzen sich die Meinungsverschiedenheiten bis in die Gegenwart fort; vgl. darüber Meyer v. Knonau I, 678 ff., Hauck III 3. 4 S. 683. Neuerdings sucht v. Pflugk-Harttung (Mitt. des Inst. f. öst. Gesch. 27, 1906) auch die weitgehende Verunechtung der sog. "päpstlichen" Fassung nachzu- weisen und meint aus den zeitgenössischen Berichten schließen zu können, daß in dem ursprünglichen Texte das kaiserliche Recht als Gegengewicht gegen den Einfluß des römischen Adels stark betont gewesen sei; doch dürfte er mit seinen Ausführungen schwerlich allgemeinere Zustimmung finden. Hampe, Deutsche Kaisergeschichte. 3
§ 3. Das Reich während der Minderjährigkeit Heinrichs IV. (1056‒1065). beider Kreise aussichtslos erschien, so führte eine wahre Befreiung der Kirchezu ihrer Überordnung über die weltlichen Gewalten. Das Priestertum ward der leitenden Seele, das Königtum dem gehorchenden Körper verglichen. So gelangte man gleich im Anfange in der Verfolgung der kirchlichen Freiheit zur kirchlichen Herrschaft. Noch mochten sich die maßvolleren Reformer, wie der zum Gleich die Lateransynode von 1059 zeigte in ihren Reform- 1) Seine Schriften und Briefe gehören zu den wichtigsten Quellen für die kirchliche Reformbewegung vor dem Investiturstreit, vgl. Opera ed. Caje- tanus 1743 u. Libelli de lite I. 2) Die Verfälschungen des ursprünglichen Textes während des folgenden Kampfes in beiden Lagern haben der Forschung über das Papstwahldekret Nikolaus II. schwierige Aufgaben gestellt und eine reiche Kontroversliteratur hervorgerufen. Die älteren Abhandlungen finden sich aufgezählt und beurteilt in der Schrift von Scheffer-Boichorst, Die Neuordnung der Papstwahl durch Nikolaus II. (1879), die einen vorläufigen Abschluß brachte und noch jetzt die sicherste Grundlage für weitere Arbeit bleibt. Die sog. „päpst- liche“ Fassung des Dekrets mit dem allgemeinen Vorbehalt des kaiserlichen Rechts wurde von ihm mit hoher Wahrscheinlichkeit als die dem ursprüng- lichen Text im wesentlichen entsprechende nachgewiesen, während die sog. „kaiserliche“ Fassung, die dem Kaiser einen Anteil an der Wahl selbst zu- gesteht, als eine spätere Fälschung aus dem Kreise der Anhänger des Gegen- papstes Wibert um 1080 erscheint, andererseits freilich auch eine Verfälschung aus dem Lager Gregors VII. nicht fehlt. Über einzelne Streitpunkte, wie die von Panzer, v. Heinemann, K. Müller u. a. angenommene Abänderung des Dekrets im Jahre 1060, setzen sich die Meinungsverschiedenheiten bis in die Gegenwart fort; vgl. darüber Meyer v. Knonau I, 678 ff., Hauck III 3. 4 S. 683. Neuerdings sucht v. Pflugk-Harttung (Mitt. des Inst. f. öst. Gesch. 27, 1906) auch die weitgehende Verunechtung der sog. „päpstlichen“ Fassung nachzu- weisen und meint aus den zeitgenössischen Berichten schließen zu können, daß in dem ursprünglichen Texte das kaiserliche Recht als Gegengewicht gegen den Einfluß des römischen Adels stark betont gewesen sei; doch dürfte er mit seinen Ausführungen schwerlich allgemeinere Zustimmung finden. Hampe, Deutsche Kaisergeschichte. 3
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§ 3. Das Reich während der Minderjährigkeit Heinrichs IV. (1056‒1065).
beider Kreise aussichtslos erschien, so führte eine wahre Befreiung der Kirche
zu ihrer Überordnung über die weltlichen Gewalten. Das Priestertum ward
der leitenden Seele, das Königtum dem gehorchenden Körper verglichen. So
gelangte man gleich im Anfange in der Verfolgung der kirchlichen Freiheit
zur kirchlichen Herrschaft.
Noch mochten sich die maßvolleren Reformer, wie der zum
Kardinal erhobene Petrus Damiani 1), keineswegs zu so weitgehenden,
den Frieden der Welt bedrohenden Schlußfolgerungen bekennen;
aber die radikalere Gruppe, die sich nun ganz auf den Boden
dieses mit eindringlicher Schärfe entwickelten Programms stellte, ge-
wann die Führung, allen voran der vom Subdiakon zum Archidiakon
der römischen Kirche emporsteigende Hildebrand. Das „scharf-
sichtige Auge“ des Papstes nannten ihn wohl die Freunde; „er
fütterte seinen Nikolaus im Lateran wie einen Esel im Stalle“
meinte ein Gegner. Von nun ab hielt er ununterbrochen das
Regiment der Kurie in Händen bis zu seinem eignen Pontifikat.
Gleich die Lateransynode von 1059 zeigte in ihren Reform-
beschlüssen den Einfluß von Humberts Schrift; vor allem aber
suchte sie das Papsttum vor weiteren Störungen zu sichern und der
Reformpartei dauernd zu erhalten durch eine Neuordnung der
Papstwahl. 2) Denn indem der Kandidatenvorschlag künftig den
Kardinalbischöfen, Annahme oder Verwerfung dem gesamten Kardinals-
1) Seine Schriften und Briefe gehören zu den wichtigsten Quellen für
die kirchliche Reformbewegung vor dem Investiturstreit, vgl. Opera ed. Caje-
tanus 1743 u. Libelli de lite I.
2) Die Verfälschungen des ursprünglichen Textes während des folgenden
Kampfes in beiden Lagern haben der Forschung über das Papstwahldekret
Nikolaus II. schwierige Aufgaben gestellt und eine reiche Kontroversliteratur
hervorgerufen. Die älteren Abhandlungen finden sich aufgezählt und beurteilt
in der Schrift von Scheffer-Boichorst, Die Neuordnung der Papstwahl durch
Nikolaus II. (1879), die einen vorläufigen Abschluß brachte und noch
jetzt die sicherste Grundlage für weitere Arbeit bleibt. Die sog. „päpst-
liche“ Fassung des Dekrets mit dem allgemeinen Vorbehalt des kaiserlichen
Rechts wurde von ihm mit hoher Wahrscheinlichkeit als die dem ursprüng-
lichen Text im wesentlichen entsprechende nachgewiesen, während die sog.
„kaiserliche“ Fassung, die dem Kaiser einen Anteil an der Wahl selbst zu-
gesteht, als eine spätere Fälschung aus dem Kreise der Anhänger des Gegen-
papstes Wibert um 1080 erscheint, andererseits freilich auch eine Verfälschung
aus dem Lager Gregors VII. nicht fehlt. Über einzelne Streitpunkte, wie die
von Panzer, v. Heinemann, K. Müller u. a. angenommene Abänderung des
Dekrets im Jahre 1060, setzen sich die Meinungsverschiedenheiten bis in die
Gegenwart fort; vgl. darüber Meyer v. Knonau I, 678 ff., Hauck III 3. 4 S. 683.
Neuerdings sucht v. Pflugk-Harttung (Mitt. des Inst. f. öst. Gesch. 27, 1906)
auch die weitgehende Verunechtung der sog. „päpstlichen“ Fassung nachzu-
weisen und meint aus den zeitgenössischen Berichten schließen zu können,
daß in dem ursprünglichen Texte das kaiserliche Recht als Gegengewicht
gegen den Einfluß des römischen Adels stark betont gewesen sei; doch dürfte
er mit seinen Ausführungen schwerlich allgemeinere Zustimmung finden.
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