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Hampe, Karl: Deutsche Kaisergeschichte in der Zeit der Salier und Staufer. Leipzig, 1909.

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I. Die Zeit der Salier.
kolleg zustehen sollte, während dem übrigen Klerus und Volk von
Rom nur ein rein formelles Zustimmungsrecht blieb, sollte der Ein-
fluß des römischen Adels auf die Wahl ein für allemal beseitigt
werden. Das war neben der Legalisierung gewisser Unregelmäßig-
keiten bei der Erhebung des gegenwärtigen Papstes offenbar der
Hauptzweck der neuen Ordnung. Aber daneben war sie doch eine
einseitige Abänderung des noch von Heinrich III. energisch betonten
und geübten kaiserlichen Rechtes bei der Papstwahl, das in der
vorliegenden Fassung des Dekrets nur in ganz unbestimmter Form
als persönliches Vorrecht Heinrichs IV. vorbehalten wurde. Noch
suchte man den offenen Bruch mit der Reichsregierung zu ver-
meiden, wenn sie sich mit einer wenig greifbaren Phrase abspeisen
ließ. Darüber freilich konnte man sich einer Täuschung nicht
hingeben, daß die erstrebte Befreiung der Kirche sich ohne einen
Kampf mit dieser Macht nicht verwirklichen ließ. So sah man sich
frühzeitig nach Bundesgenossen um.

In Mittelitalien bot die Machtstellung des Herzogs Gottfried
von Lothringen, dem Nikolaus II. nicht zum wenigsten seine Er-
hebung verdankte, den natürlichen Rückhalt. Süditalien gegenüber
aber vollzog sich nun auf Antrieb Hildebrands eine bedeutsame
Schwenkung der päpstlichen Politik. Noch der letzte der deutschen
Päpste Stefan IX. hatte wie Leo IX. an eine Machtstärkung der
Kurie durch feindliche Niederwerfung der Normannen gedacht.
Jetzt sah man die Unmöglichkeit ein und erreichte Ähnliches durch
friedliches Übereinkommen. Beide Normannenführer wurden in
ihren teilweise auf Kosten der Kirche erweiterten Gebieten aner-
kannt, Richard von Aversa als Fürst von Capua, Robert Guiskard,
der rücksichtslose Eroberer und listenreiche Unterhändler, als Herzog
von Apulien, Kalabrien und dem noch erst zu gewinnenden
Sizilien; aber zugleich wurde die durch keinen Rechtstitel zu
stützende, vielmehr wohlbegründete Reichsansprüche verletzende
Lehenshoheit des Papsttums über diesen ganzen Kreis von Land-
schaften errichtet, Zinszahlung und Waffenhilfe ihm zugesichert
(1059). Diente das normannische Schwert vorderhand gegen den
römischen Adel, so konnte es dereinst auch Schutz gegen das Reich
bieten. Und schon hatte die Kurie auch in Oberitalien wertvolle
Bundesgenossenschaft gefunden. In Mailand hatten sich seit den
Tagen Konrads II. die sozialen Parteien gewandelt; damals Spal-
tungen zwischen den Adelsklassen und noch ein Zusammengehen
zwischen Erzbischof und Bürgertum, jetzt die unteren Volksschichten
emporstrebend und in feindlichem Gegensatz zu den durch Inter-
essengleichheit, Verwandtschaft und Lebenshaltung eng verbundenen
beiden Ständen des hohen Klerus und Gesamtadels. Mit dieser

I. Die Zeit der Salier.
kolleg zustehen sollte, während dem übrigen Klerus und Volk von
Rom nur ein rein formelles Zustimmungsrecht blieb, sollte der Ein-
fluß des römischen Adels auf die Wahl ein für allemal beseitigt
werden. Das war neben der Legalisierung gewisser Unregelmäßig-
keiten bei der Erhebung des gegenwärtigen Papstes offenbar der
Hauptzweck der neuen Ordnung. Aber daneben war sie doch eine
einseitige Abänderung des noch von Heinrich III. energisch betonten
und geübten kaiserlichen Rechtes bei der Papstwahl, das in der
vorliegenden Fassung des Dekrets nur in ganz unbestimmter Form
als persönliches Vorrecht Heinrichs IV. vorbehalten wurde. Noch
suchte man den offenen Bruch mit der Reichsregierung zu ver-
meiden, wenn sie sich mit einer wenig greifbaren Phrase abspeisen
ließ. Darüber freilich konnte man sich einer Täuschung nicht
hingeben, daß die erstrebte Befreiung der Kirche sich ohne einen
Kampf mit dieser Macht nicht verwirklichen ließ. So sah man sich
frühzeitig nach Bundesgenossen um.

In Mittelitalien bot die Machtstellung des Herzogs Gottfried
von Lothringen, dem Nikolaus II. nicht zum wenigsten seine Er-
hebung verdankte, den natürlichen Rückhalt. Süditalien gegenüber
aber vollzog sich nun auf Antrieb Hildebrands eine bedeutsame
Schwenkung der päpstlichen Politik. Noch der letzte der deutschen
Päpste Stefan IX. hatte wie Leo IX. an eine Machtstärkung der
Kurie durch feindliche Niederwerfung der Normannen gedacht.
Jetzt sah man die Unmöglichkeit ein und erreichte Ähnliches durch
friedliches Übereinkommen. Beide Normannenführer wurden in
ihren teilweise auf Kosten der Kirche erweiterten Gebieten aner-
kannt, Richard von Aversa als Fürst von Capua, Robert Guiskard,
der rücksichtslose Eroberer und listenreiche Unterhändler, als Herzog
von Apulien, Kalabrien und dem noch erst zu gewinnenden
Sizilien; aber zugleich wurde die durch keinen Rechtstitel zu
stützende, vielmehr wohlbegründete Reichsansprüche verletzende
Lehenshoheit des Papsttums über diesen ganzen Kreis von Land-
schaften errichtet, Zinszahlung und Waffenhilfe ihm zugesichert
(1059). Diente das normannische Schwert vorderhand gegen den
römischen Adel, so konnte es dereinst auch Schutz gegen das Reich
bieten. Und schon hatte die Kurie auch in Oberitalien wertvolle
Bundesgenossenschaft gefunden. In Mailand hatten sich seit den
Tagen Konrads II. die sozialen Parteien gewandelt; damals Spal-
tungen zwischen den Adelsklassen und noch ein Zusammengehen
zwischen Erzbischof und Bürgertum, jetzt die unteren Volksschichten
emporstrebend und in feindlichem Gegensatz zu den durch Inter-
essengleichheit, Verwandtschaft und Lebenshaltung eng verbundenen
beiden Ständen des hohen Klerus und Gesamtadels. Mit dieser

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[34/0042] I. Die Zeit der Salier. kolleg zustehen sollte, während dem übrigen Klerus und Volk von Rom nur ein rein formelles Zustimmungsrecht blieb, sollte der Ein- fluß des römischen Adels auf die Wahl ein für allemal beseitigt werden. Das war neben der Legalisierung gewisser Unregelmäßig- keiten bei der Erhebung des gegenwärtigen Papstes offenbar der Hauptzweck der neuen Ordnung. Aber daneben war sie doch eine einseitige Abänderung des noch von Heinrich III. energisch betonten und geübten kaiserlichen Rechtes bei der Papstwahl, das in der vorliegenden Fassung des Dekrets nur in ganz unbestimmter Form als persönliches Vorrecht Heinrichs IV. vorbehalten wurde. Noch suchte man den offenen Bruch mit der Reichsregierung zu ver- meiden, wenn sie sich mit einer wenig greifbaren Phrase abspeisen ließ. Darüber freilich konnte man sich einer Täuschung nicht hingeben, daß die erstrebte Befreiung der Kirche sich ohne einen Kampf mit dieser Macht nicht verwirklichen ließ. So sah man sich frühzeitig nach Bundesgenossen um. In Mittelitalien bot die Machtstellung des Herzogs Gottfried von Lothringen, dem Nikolaus II. nicht zum wenigsten seine Er- hebung verdankte, den natürlichen Rückhalt. Süditalien gegenüber aber vollzog sich nun auf Antrieb Hildebrands eine bedeutsame Schwenkung der päpstlichen Politik. Noch der letzte der deutschen Päpste Stefan IX. hatte wie Leo IX. an eine Machtstärkung der Kurie durch feindliche Niederwerfung der Normannen gedacht. Jetzt sah man die Unmöglichkeit ein und erreichte Ähnliches durch friedliches Übereinkommen. Beide Normannenführer wurden in ihren teilweise auf Kosten der Kirche erweiterten Gebieten aner- kannt, Richard von Aversa als Fürst von Capua, Robert Guiskard, der rücksichtslose Eroberer und listenreiche Unterhändler, als Herzog von Apulien, Kalabrien und dem noch erst zu gewinnenden Sizilien; aber zugleich wurde die durch keinen Rechtstitel zu stützende, vielmehr wohlbegründete Reichsansprüche verletzende Lehenshoheit des Papsttums über diesen ganzen Kreis von Land- schaften errichtet, Zinszahlung und Waffenhilfe ihm zugesichert (1059). Diente das normannische Schwert vorderhand gegen den römischen Adel, so konnte es dereinst auch Schutz gegen das Reich bieten. Und schon hatte die Kurie auch in Oberitalien wertvolle Bundesgenossenschaft gefunden. In Mailand hatten sich seit den Tagen Konrads II. die sozialen Parteien gewandelt; damals Spal- tungen zwischen den Adelsklassen und noch ein Zusammengehen zwischen Erzbischof und Bürgertum, jetzt die unteren Volksschichten emporstrebend und in feindlichem Gegensatz zu den durch Inter- essengleichheit, Verwandtschaft und Lebenshaltung eng verbundenen beiden Ständen des hohen Klerus und Gesamtadels. Mit dieser

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Zitationshilfe: Hampe, Karl: Deutsche Kaisergeschichte in der Zeit der Salier und Staufer. Leipzig, 1909, S. 34. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hampe_kaisergeschichte_1909/42>, abgerufen am 03.12.2024.