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Hampe, Karl: Deutsche Kaisergeschichte in der Zeit der Salier und Staufer. Leipzig, 1909.

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§ 5. Der Kampf zwischen Heinrich IV. und Gregor VII. (1075-1085).
seine Sache noch nicht als verzweifelt ansah, so hat er sich ganz
gewiß nicht, wie man früher annahm, auf die noch weitergehenden
Beschlüsse verpflichtet, welche die ihm feindlichen Fürsten vielmehr
einseitig und vertraulich faßten, ehe sie in Tribur auseinander-
gingen: nämlich die Bestimmung, daß Heinrich seiner Krone ver-
lustig gehen solle, wenn er sich binnen Jahr und Tag nicht vom
Banne gelöst habe, und die Einladung an den Papst, zu einem
großen Reichstage in Augsburg im Anfang des nächsten Jahres1)
persönlich zu erscheinen, um über den Streit zwischen König und
Fürsten das Urteil zu sprechen. Eine Zustimmung zu diesen Be-
schlüssen wäre einem Verzicht Heinrichs auf seine königliche
Würde gleichgekommen. Vielmehr hoffte er damals noch, in
direkten Verhandlungen mit dem Papste zu einer Verständigung
zu gelangen. Indes Gregor glaubte jetzt den Sieg in der Hand
zu haben. Als Schiedsrichter über die deutschen Parteien und in
der Lage, beide gegeneinander auszuspielen, hätte er sich schwer-
lich mehr mit dem Investiturverzicht begnügt, sondern hätte die
Lehensabhängigkeit des Reiches gefordert. In der gehobensten
Stimmung brach er von Rom nach Norden auf. Aus der Er-
kenntnis, daß seine Vereinigung mit der deutschen Opposition den
Zusammenbruch des salischen Königtums bedeutet haben würde,
entsprang dann der plötzliche und alle Welt überraschende Entschluß
Heinrichs, persönlich dem Papste nach Italien entgegenzueilen.

Diese Winterfahrt über den Mont Cenis mit seiner Gemahlin
und dem zweijährigen Söhnchen, mit einem beschränkten Gefolge
von Räten und Bediensteten ist schon von den Zeitgenossen, nament-
lich wieder Lambert von Hersfeld, romanhaft ausgeschmückt, und
auch die weiteren Vorgänge sind in ihrem historischen Kern unter
der Fülle phantasievoller und tendenziöser Entstellungen nicht leicht
herauszuerkennen. Der Papst, dem die über die unerwartete
Wendung der Dinge bestürzten deutschen Fürsten das versprochene
Geleit nicht gesandt hatten, zog sich auf die Kunde von der An-
kunft des Königs in der Lombardei erschreckt auf die im Besitze
der Gräfin Mathilde befindliche Feste Canossa zurück. Heinrich
aber enttäuschte die kriegerischen Hoffnungen seiner lombardischen
Anhänger und erschien friedlich vor der Burg. 2)

der Äußerung v. D. Schäfer (Hist. Zeitschr. 96) kann ich mich nicht anschließen.
R. Friedrich, D. Wirkungen der Wormser Synode usw. (Hamb. Progr. 1908)
hält gleich mir den ganzen Text für echt. Seine sonstige Auffassung teile
ich nicht.
1) Der Termin war anfangs der 6. Jan., dann der 2. Feb. 1077.
2) Die weltberühmte Canossaszene ist sowohl ihrem Verlaufe, als ihrer
Beurteilung nach in neuerer Zeit bedeutsamen Wandlungen der Auffassung.
4*

§ 5. Der Kampf zwischen Heinrich IV. und Gregor VII. (1075‒1085).
seine Sache noch nicht als verzweifelt ansah, so hat er sich ganz
gewiß nicht, wie man früher annahm, auf die noch weitergehenden
Beschlüsse verpflichtet, welche die ihm feindlichen Fürsten vielmehr
einseitig und vertraulich faßten, ehe sie in Tribur auseinander-
gingen: nämlich die Bestimmung, daß Heinrich seiner Krone ver-
lustig gehen solle, wenn er sich binnen Jahr und Tag nicht vom
Banne gelöst habe, und die Einladung an den Papst, zu einem
großen Reichstage in Augsburg im Anfang des nächsten Jahres1)
persönlich zu erscheinen, um über den Streit zwischen König und
Fürsten das Urteil zu sprechen. Eine Zustimmung zu diesen Be-
schlüssen wäre einem Verzicht Heinrichs auf seine königliche
Würde gleichgekommen. Vielmehr hoffte er damals noch, in
direkten Verhandlungen mit dem Papste zu einer Verständigung
zu gelangen. Indes Gregor glaubte jetzt den Sieg in der Hand
zu haben. Als Schiedsrichter über die deutschen Parteien und in
der Lage, beide gegeneinander auszuspielen, hätte er sich schwer-
lich mehr mit dem Investiturverzicht begnügt, sondern hätte die
Lehensabhängigkeit des Reiches gefordert. In der gehobensten
Stimmung brach er von Rom nach Norden auf. Aus der Er-
kenntnis, daß seine Vereinigung mit der deutschen Opposition den
Zusammenbruch des salischen Königtums bedeutet haben würde,
entsprang dann der plötzliche und alle Welt überraschende Entschluß
Heinrichs, persönlich dem Papste nach Italien entgegenzueilen.

Diese Winterfahrt über den Mont Cenis mit seiner Gemahlin
und dem zweijährigen Söhnchen, mit einem beschränkten Gefolge
von Räten und Bediensteten ist schon von den Zeitgenossen, nament-
lich wieder Lambert von Hersfeld, romanhaft ausgeschmückt, und
auch die weiteren Vorgänge sind in ihrem historischen Kern unter
der Fülle phantasievoller und tendenziöser Entstellungen nicht leicht
herauszuerkennen. Der Papst, dem die über die unerwartete
Wendung der Dinge bestürzten deutschen Fürsten das versprochene
Geleit nicht gesandt hatten, zog sich auf die Kunde von der An-
kunft des Königs in der Lombardei erschreckt auf die im Besitze
der Gräfin Mathilde befindliche Feste Canossa zurück. Heinrich
aber enttäuschte die kriegerischen Hoffnungen seiner lombardischen
Anhänger und erschien friedlich vor der Burg. 2)

der Äußerung v. D. Schäfer (Hist. Zeitschr. 96) kann ich mich nicht anschließen.
R. Friedrich, D. Wirkungen der Wormser Synode usw. (Hamb. Progr. 1908)
hält gleich mir den ganzen Text für echt. Seine sonstige Auffassung teile
ich nicht.
1) Der Termin war anfangs der 6. Jan., dann der 2. Feb. 1077.
2) Die weltberühmte Canossaszene ist sowohl ihrem Verlaufe, als ihrer
Beurteilung nach in neuerer Zeit bedeutsamen Wandlungen der Auffassung.
4*
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[51/0059] § 5. Der Kampf zwischen Heinrich IV. und Gregor VII. (1075‒1085). seine Sache noch nicht als verzweifelt ansah, so hat er sich ganz gewiß nicht, wie man früher annahm, auf die noch weitergehenden Beschlüsse verpflichtet, welche die ihm feindlichen Fürsten vielmehr einseitig und vertraulich faßten, ehe sie in Tribur auseinander- gingen: nämlich die Bestimmung, daß Heinrich seiner Krone ver- lustig gehen solle, wenn er sich binnen Jahr und Tag nicht vom Banne gelöst habe, und die Einladung an den Papst, zu einem großen Reichstage in Augsburg im Anfang des nächsten Jahres 1) persönlich zu erscheinen, um über den Streit zwischen König und Fürsten das Urteil zu sprechen. Eine Zustimmung zu diesen Be- schlüssen wäre einem Verzicht Heinrichs auf seine königliche Würde gleichgekommen. Vielmehr hoffte er damals noch, in direkten Verhandlungen mit dem Papste zu einer Verständigung zu gelangen. Indes Gregor glaubte jetzt den Sieg in der Hand zu haben. Als Schiedsrichter über die deutschen Parteien und in der Lage, beide gegeneinander auszuspielen, hätte er sich schwer- lich mehr mit dem Investiturverzicht begnügt, sondern hätte die Lehensabhängigkeit des Reiches gefordert. In der gehobensten Stimmung brach er von Rom nach Norden auf. Aus der Er- kenntnis, daß seine Vereinigung mit der deutschen Opposition den Zusammenbruch des salischen Königtums bedeutet haben würde, entsprang dann der plötzliche und alle Welt überraschende Entschluß Heinrichs, persönlich dem Papste nach Italien entgegenzueilen. Diese Winterfahrt über den Mont Cenis mit seiner Gemahlin und dem zweijährigen Söhnchen, mit einem beschränkten Gefolge von Räten und Bediensteten ist schon von den Zeitgenossen, nament- lich wieder Lambert von Hersfeld, romanhaft ausgeschmückt, und auch die weiteren Vorgänge sind in ihrem historischen Kern unter der Fülle phantasievoller und tendenziöser Entstellungen nicht leicht herauszuerkennen. Der Papst, dem die über die unerwartete Wendung der Dinge bestürzten deutschen Fürsten das versprochene Geleit nicht gesandt hatten, zog sich auf die Kunde von der An- kunft des Königs in der Lombardei erschreckt auf die im Besitze der Gräfin Mathilde befindliche Feste Canossa zurück. Heinrich aber enttäuschte die kriegerischen Hoffnungen seiner lombardischen Anhänger und erschien friedlich vor der Burg. 2) 1) 1) Der Termin war anfangs der 6. Jan., dann der 2. Feb. 1077. 2) Die weltberühmte Canossaszene ist sowohl ihrem Verlaufe, als ihrer Beurteilung nach in neuerer Zeit bedeutsamen Wandlungen der Auffassung. 1) der Äußerung v. D. Schäfer (Hist. Zeitschr. 96) kann ich mich nicht anschließen. R. Friedrich, D. Wirkungen der Wormser Synode usw. (Hamb. Progr. 1908) hält gleich mir den ganzen Text für echt. Seine sonstige Auffassung teile ich nicht. 4*

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Zitationshilfe: Hampe, Karl: Deutsche Kaisergeschichte in der Zeit der Salier und Staufer. Leipzig, 1909, S. 51. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hampe_kaisergeschichte_1909/59>, abgerufen am 18.12.2024.