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Hanssen, Petrus: Achtzig erläuterte Grund-Fragen. Lübeck u. a., 1731.

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fälle hat/ indem die notiones morales mit dem Be-
griff von der Gottheit gar genau verwand/ aber
daher folget nicht/ daß er eine Verbindlichkeit
fühle/ das Gute für dem Bösen zu erwehlen. Ein
Atheist richtet in der Wahl der freyen Handlun-
gen freylich sein Augenmerck auf die Beforderung
seines Glückstandes: er nimmt aber/ wenn das/
worinn sein Glückstand bestehe/ soll beurtheilet
werden/ allemahl sein Fleisch und Blut mit zu
raht. Und dieß muß in den meisten Fällen mehr
als die Vernunft bey ihm zu sagen haben. Die
Vernunft wird keinen Grund fürbringen/ welchen
die Leidenschaft von Fleisch und Blut nicht leicht-
lich wird übern Hauffen werffen/ und dieß wird
bey allen Vorfällen den Sieg behalten. Man
weiß ja/ was die Haupt-Neigungen vor Gewalt
in dem menschlichen Gemüht haben; welche ge-
wiß/ wenn nicht Furcht und Ehrerbietung für
dem höchsten Wesen solche im Zaum halten/ nach
dem Einwenden der Vernunft nicht viel fragen
werden/ welches Hr. Wolf auch selbst wohl ein-
gesehen. Moral. P. III. c. I. §. 656. Ein rechtes
Gefühl der Verbindlichkeit muß in Ansehung der
guten Thaten von Freude und Zufriedenheit;
in Ansehung der Bösen von Unruh/ Schmertz
und Mißvergnügen begleitet werden/ welches sich
bey einem Atheisten/ in sofern er ein solcher ist/
nicht wohl finden kan. Uberdem ist es unstreitig
wahr/ daß die Empfindungen von der Gottheit/
und die derselben zu erweisende | Pflichte zu denen

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faͤlle hat/ indem die notiones morales mit dem Be-
griff von der Gottheit gar genau verwand/ aber
daher folget nicht/ daß er eine Verbindlichkeit
fuͤhle/ das Gute fuͤr dem Boͤſen zu erwehlen. Ein
Atheiſt richtet in der Wahl der freyen Handlun-
gen freylich ſein Augenmerck auf die Beforderung
ſeines Gluͤckſtandes: er nimmt aber/ wenn das/
worinn ſein Gluͤckſtand beſtehe/ ſoll beurtheilet
werden/ allemahl ſein Fleiſch und Blut mit zu
raht. Und dieß muß in den meiſten Faͤllen mehr
als die Vernunft bey ihm zu ſagen haben. Die
Vernunft wird keinen Grund fuͤrbringen/ welchen
die Leidenſchaft von Fleiſch und Blut nicht leicht-
lich wird uͤbern Hauffen werffen/ und dieß wird
bey allen Vorfaͤllen den Sieg behalten. Man
weiß ja/ was die Haupt-Neigungen vor Gewalt
in dem menſchlichen Gemuͤht haben; welche ge-
wiß/ wenn nicht Furcht und Ehrerbietung fuͤr
dem hoͤchſten Weſen ſolche im Zaum halten/ nach
dem Einwenden der Vernunft nicht viel fragen
werden/ welches Hr. Wolf auch ſelbſt wohl ein-
geſehen. Moral. P. III. c. I. §. 656. Ein rechtes
Gefuͤhl der Verbindlichkeit muß in Anſehung der
guten Thaten von Freude und Zufriedenheit;
in Anſehung der Boͤſen von Unruh/ Schmertz
und Mißvergnuͤgen begleitet werden/ welches ſich
bey einem Atheiſten/ in ſofern er ein ſolcher iſt/
nicht wohl finden kan. Uberdem iſt es unſtreitig
wahr/ daß die Empfindungen von der Gottheit/
und die derſelben zu erweiſende | Pflichte zu denen

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[37/0089] faͤlle hat/ indem die notiones morales mit dem Be- griff von der Gottheit gar genau verwand/ aber daher folget nicht/ daß er eine Verbindlichkeit fuͤhle/ das Gute fuͤr dem Boͤſen zu erwehlen. Ein Atheiſt richtet in der Wahl der freyen Handlun- gen freylich ſein Augenmerck auf die Beforderung ſeines Gluͤckſtandes: er nimmt aber/ wenn das/ worinn ſein Gluͤckſtand beſtehe/ ſoll beurtheilet werden/ allemahl ſein Fleiſch und Blut mit zu raht. Und dieß muß in den meiſten Faͤllen mehr als die Vernunft bey ihm zu ſagen haben. Die Vernunft wird keinen Grund fuͤrbringen/ welchen die Leidenſchaft von Fleiſch und Blut nicht leicht- lich wird uͤbern Hauffen werffen/ und dieß wird bey allen Vorfaͤllen den Sieg behalten. Man weiß ja/ was die Haupt-Neigungen vor Gewalt in dem menſchlichen Gemuͤht haben; welche ge- wiß/ wenn nicht Furcht und Ehrerbietung fuͤr dem hoͤchſten Weſen ſolche im Zaum halten/ nach dem Einwenden der Vernunft nicht viel fragen werden/ welches Hr. Wolf auch ſelbſt wohl ein- geſehen. Moral. P. III. c. I. §. 656. Ein rechtes Gefuͤhl der Verbindlichkeit muß in Anſehung der guten Thaten von Freude und Zufriedenheit; in Anſehung der Boͤſen von Unruh/ Schmertz und Mißvergnuͤgen begleitet werden/ welches ſich bey einem Atheiſten/ in ſofern er ein ſolcher iſt/ nicht wohl finden kan. Uberdem iſt es unſtreitig wahr/ daß die Empfindungen von der Gottheit/ und die derſelben zu erweiſende | Pflichte zu denen ewi- C 3

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Zitationshilfe: Hanssen, Petrus: Achtzig erläuterte Grund-Fragen. Lübeck u. a., 1731, S. 37. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hanssen_grundfragen_1731/89>, abgerufen am 27.11.2024.