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Harsdörffer, Georg Philipp: Poetischer Trichter. Bd. 1. 2. Aufl. Nürnberg, 1650.

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Die sechste Stund.
vernünftigen Lesers Urtheil gerichtet und ge-
schätzet werden. Jch sage von dem vernünftigen/
und nicht ungelehrten Leser/ dann sonsten die
Sonne nicht achtet/ daß sie die Fledermäuse
nicht sehen können.

7. Zierlich ist/ wann man hohe Dinge mit ho-
hen prächtigen Machtworten/ mittelmässige mit
feinen verständigen/ und nidrige mit schlechten
Reden vorträget. * Hier ist/ benebens fleissiger
Lesung/ ein wolerkennendes Urtheil der beste
Lehrmeister.

8. Wie das Edelgesteine einen Ring zieret/
also zieren die Bey-oder Ansatzwort die Re-
de: und sind derselben vielerley Arten. Etliche
haben in sich eine kurtze Beschreibung; als wann
man den Tod nennet den Menschenwürger/ deß
Lebens Feind/ der Sünden Sold/ die Schuld der
Natur. Den Lentzen den Blumenvatter/ deß
Winters Sohn/ den Freudenbringer. Den Wein
den Sorgenvertreiber/ Freudenwecker/ Trau-
renzwinger/ Schlafreitzer/ Poetensaft/ deß Lebens
Threnen/ das Kälterblut/ etc. Den Wind den
Wolkentreiber/ Felsenstürmer/ Wellenführer/
Würbelheger/ Blütenfeind/ Feldzerschleiffer etc.

9. Hieraus erkennet man etlicher massen den
Poeten/ wie den Löwen aus den Klauen/ dann
nicht das geringste Meisterstück hierinnen ver-

bor-
* Scal. l. 4. c. 1. & seqq.

Die ſechſte Stund.
vernuͤnftigen Leſers Urtheil gerichtet und ge-
ſchaͤtzet werden. Jch ſage von dem vernuͤnftigen/
und nicht ungelehrten Leſer/ dann ſonſten die
Sonne nicht achtet/ daß ſie die Fledermaͤuſe
nicht ſehen koͤnnen.

7. Zierlich iſt/ wann man hohe Dinge mit ho-
hen praͤchtigen Machtworten/ mittelmaͤſſige mit
feinen verſtaͤndigen/ und nidrige mit ſchlechten
Reden vortraͤget. * Hier iſt/ benebens fleiſſiger
Leſung/ ein wolerkennendes Urtheil der beſte
Lehrmeiſter.

8. Wie das Edelgeſteine einen Ring zieret/
alſo zieren die Bey-oder Anſatzwort die Re-
de: und ſind derſelben vielerley Arten. Etliche
haben in ſich eine kurtze Beſchreibung; als wann
man den Tod nennet den Menſchenwuͤrger/ deß
Lebens Feind/ der Suͤnden Sold/ die Schuld der
Natur. Den Lentzen den Blumenvatter/ deß
Winters Sohn/ den Freudenbringer. Dẽ Wein
den Sorgenvertreiber/ Freudenwecker/ Trau-
renzwinger/ Schlafreitzer/ Poetenſaft/ deß Lebẽs
Threnen/ das Kaͤlterblut/ ꝛc. Den Wind den
Wolkentreiber/ Felſenſtuͤrmer/ Wellenfuͤhrer/
Wuͤrbelheger/ Bluͤtenfeind/ Feldzerſchleiffer ꝛc.

9. Hieraus erkennet man etlicher maſſen den
Poeten/ wie den Loͤwen aus den Klauen/ dann
nicht das geringſte Meiſterſtuͤck hierinnen ver-

bor-
* Scal. l. 4. c. 1. & ſeqq.
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[106[102]/0120] Die ſechſte Stund. vernuͤnftigen Leſers Urtheil gerichtet und ge- ſchaͤtzet werden. Jch ſage von dem vernuͤnftigen/ und nicht ungelehrten Leſer/ dann ſonſten die Sonne nicht achtet/ daß ſie die Fledermaͤuſe nicht ſehen koͤnnen. 7. Zierlich iſt/ wann man hohe Dinge mit ho- hen praͤchtigen Machtworten/ mittelmaͤſſige mit feinen verſtaͤndigen/ und nidrige mit ſchlechten Reden vortraͤget. * Hier iſt/ benebens fleiſſiger Leſung/ ein wolerkennendes Urtheil der beſte Lehrmeiſter. 8. Wie das Edelgeſteine einen Ring zieret/ alſo zieren die Bey-oder Anſatzwort die Re- de: und ſind derſelben vielerley Arten. Etliche haben in ſich eine kurtze Beſchreibung; als wann man den Tod nennet den Menſchenwuͤrger/ deß Lebens Feind/ der Suͤnden Sold/ die Schuld der Natur. Den Lentzen den Blumenvatter/ deß Winters Sohn/ den Freudenbringer. Dẽ Wein den Sorgenvertreiber/ Freudenwecker/ Trau- renzwinger/ Schlafreitzer/ Poetenſaft/ deß Lebẽs Threnen/ das Kaͤlterblut/ ꝛc. Den Wind den Wolkentreiber/ Felſenſtuͤrmer/ Wellenfuͤhrer/ Wuͤrbelheger/ Bluͤtenfeind/ Feldzerſchleiffer ꝛc. 9. Hieraus erkennet man etlicher maſſen den Poeten/ wie den Loͤwen aus den Klauen/ dann nicht das geringſte Meiſterſtuͤck hierinnen ver- bor- * Scal. l. 4. c. 1. & ſeqq.

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Zitationshilfe: Harsdörffer, Georg Philipp: Poetischer Trichter. Bd. 1. 2. Aufl. Nürnberg, 1650, S. 106[102]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/harsdoerffer_trichter01_1650/120>, abgerufen am 23.11.2024.