Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Harsdörffer, Georg Philipp: Poetischer Trichter. Bd. 2. Nürnberg, 1648.

Bild:
<< vorherige Seite

Die zehende Stund.
gen Odem begabt/ als sie: sie haben Lun-
gen/ Leber/ Magen/ Jngebäu/ Hertz und
Nieren; Jch gleichsfals. Sie erzeugen ih-
res gleichen/ und lieben ihre Zucht: beedes
unterlasse ich auch nicht. Wie aber? sie
sind vernünfftig/ und verfassen ihre Ge-
danken/ in eine vernemliche Rede: Woher
wissen sie dann/ daß auch das/ was ich thue/
ohne Verstand und Ursach beschehe/ und
daß meine Stimme von meinem Geschlech-
te nicht verstanden werde?

4. Es sind ferners dreyerley Arten Gleich-
nissen/ von welchen absonderlich zu reden seyn
wird. Die I. Art ist das Lehrgedicht/ wann
in vielen Stücken das Gleichniß fortgesetzet wird:
wie dort in dem Evangelio/ das Gleichniß von
dem Seemann/ von dem Weinberg/ von dem
guten Hirten. Diese Gleichnissen werden Lehr-
gedichte genennet/ weil sie gute Lehren auszubilden
und vorzustellen pflegen/ wiewol sie auch zu an-
dern Händeln mißbrauchet werden. Dem Poe-
ten dienen sie auf mancherley Weise/ und sol er
sich in solchen Erfindungen sinnreich erweisen/
uud seine Sachen auf nicht gemeine Weise vor-
zutragen wissen. Jn den Andachts-Gemählen
sind unterschiedliche Exempel der Lehrgedichte/
wollen aber auch eines hieher setzen. Der Jnhalt

ist
E

Die zehende Stund.
gen Odem begabt/ als ſie: ſie haben Lun-
gen/ Leber/ Magen/ Jngebaͤu/ Hertz und
Nieren; Jch gleichsfals. Sie erzeugen ih-
res gleichen/ und lieben ihre Zucht: beedes
unterlaſſe ich auch nicht. Wie aber? ſie
ſind vernuͤnfftig/ und verfaſſen ihre Ge-
danken/ in eine vernemliche Rede: Woher
wiſſen ſie dañ/ daß auch das/ was ich thue/
ohne Verſtand und Urſach beſchehe/ und
daß meine Stim̃e von meinem Geſchlech-
te nicht verſtanden werde?

4. Es ſind ferners dreyerley Arten Gleich-
niſſen/ von welchen abſonderlich zu reden ſeyn
wird. Die I. Art iſt das Lehrgedicht/ wann
in vielen Stuͤcken das Gleichniß fortgeſetzet wird:
wie dort in dem Evangelio/ das Gleichniß von
dem Seemann/ von dem Weinberg/ von dem
guten Hirten. Dieſe Gleichniſſen werden Lehr-
gedichte genennet/ weil ſie gute Lehren auszubilden
und vorzuſtellen pflegen/ wiewol ſie auch zu an-
dern Haͤndeln mißbrauchet werden. Dem Poe-
ten dienen ſie auf mancherley Weiſe/ und ſol er
ſich in ſolchen Erfindungen ſinnreich erweiſen/
uud ſeine Sachen auf nicht gemeine Weiſe vor-
zutragen wiſſen. Jn den Andachts-Gemaͤhlen
ſind unterſchiedliche Exempel der Lehrgedichte/
wollen aber auch eines hieher ſetzen. Der Jnhalt

iſt
E
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p>
          <pb facs="#f0065" n="51"/>
          <fw place="top" type="header"> <hi rendition="#b">Die zehende Stund.</hi> </fw><lb/> <hi rendition="#fr">gen Odem begabt/ als &#x017F;ie: &#x017F;ie haben Lun-<lb/>
gen/ Leber/ Magen/ Jngeba&#x0364;u/ Hertz und<lb/>
Nieren; Jch gleichsfals. Sie erzeugen ih-<lb/>
res gleichen/ und lieben ihre Zucht: beedes<lb/>
unterla&#x017F;&#x017F;e ich auch nicht. Wie aber? &#x017F;ie<lb/>
&#x017F;ind vernu&#x0364;nfftig/ und verfa&#x017F;&#x017F;en ihre Ge-<lb/>
danken/ in eine vernemliche Rede: Woher<lb/>
wi&#x017F;&#x017F;en &#x017F;ie dan&#x0303;/ daß auch das/ was ich thue/<lb/>
ohne Ver&#x017F;tand und Ur&#x017F;ach be&#x017F;chehe/ und<lb/>
daß meine Stim&#x0303;e von meinem Ge&#x017F;chlech-<lb/>
te nicht ver&#x017F;tanden werde?</hi> </p><lb/>
        <p>4. Es &#x017F;ind ferners dreyerley Arten Gleich-<lb/>
ni&#x017F;&#x017F;en/ von welchen ab&#x017F;onderlich zu reden &#x017F;eyn<lb/>
wird. Die <hi rendition="#aq">I.</hi> Art i&#x017F;t das <hi rendition="#fr">Lehrgedicht/</hi> wann<lb/>
in vielen Stu&#x0364;cken das Gleichniß fortge&#x017F;etzet wird:<lb/>
wie dort in dem Evangelio/ das Gleichniß von<lb/>
dem Seemann/ von dem Weinberg/ von dem<lb/>
guten Hirten. Die&#x017F;e Gleichni&#x017F;&#x017F;en werden Lehr-<lb/>
gedichte genennet/ weil &#x017F;ie gute Lehren auszubilden<lb/>
und vorzu&#x017F;tellen pflegen/ wiewol &#x017F;ie auch zu an-<lb/>
dern Ha&#x0364;ndeln mißbrauchet werden. Dem Poe-<lb/>
ten dienen &#x017F;ie auf mancherley Wei&#x017F;e/ und &#x017F;ol er<lb/>
&#x017F;ich in &#x017F;olchen Erfindungen &#x017F;innreich erwei&#x017F;en/<lb/>
uud &#x017F;eine Sachen auf nicht gemeine Wei&#x017F;e vor-<lb/>
zutragen wi&#x017F;&#x017F;en. Jn den Andachts-Gema&#x0364;hlen<lb/>
&#x017F;ind unter&#x017F;chiedliche Exempel der Lehrgedichte/<lb/>
wollen aber auch eines hieher &#x017F;etzen. Der Jnhalt<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">E</fw><fw place="bottom" type="catch">i&#x017F;t</fw><lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[51/0065] Die zehende Stund. gen Odem begabt/ als ſie: ſie haben Lun- gen/ Leber/ Magen/ Jngebaͤu/ Hertz und Nieren; Jch gleichsfals. Sie erzeugen ih- res gleichen/ und lieben ihre Zucht: beedes unterlaſſe ich auch nicht. Wie aber? ſie ſind vernuͤnfftig/ und verfaſſen ihre Ge- danken/ in eine vernemliche Rede: Woher wiſſen ſie dañ/ daß auch das/ was ich thue/ ohne Verſtand und Urſach beſchehe/ und daß meine Stim̃e von meinem Geſchlech- te nicht verſtanden werde? 4. Es ſind ferners dreyerley Arten Gleich- niſſen/ von welchen abſonderlich zu reden ſeyn wird. Die I. Art iſt das Lehrgedicht/ wann in vielen Stuͤcken das Gleichniß fortgeſetzet wird: wie dort in dem Evangelio/ das Gleichniß von dem Seemann/ von dem Weinberg/ von dem guten Hirten. Dieſe Gleichniſſen werden Lehr- gedichte genennet/ weil ſie gute Lehren auszubilden und vorzuſtellen pflegen/ wiewol ſie auch zu an- dern Haͤndeln mißbrauchet werden. Dem Poe- ten dienen ſie auf mancherley Weiſe/ und ſol er ſich in ſolchen Erfindungen ſinnreich erweiſen/ uud ſeine Sachen auf nicht gemeine Weiſe vor- zutragen wiſſen. Jn den Andachts-Gemaͤhlen ſind unterſchiedliche Exempel der Lehrgedichte/ wollen aber auch eines hieher ſetzen. Der Jnhalt iſt E

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/harsdoerffer_trichter02_1648
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/harsdoerffer_trichter02_1648/65
Zitationshilfe: Harsdörffer, Georg Philipp: Poetischer Trichter. Bd. 2. Nürnberg, 1648, S. 51. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/harsdoerffer_trichter02_1648/65>, abgerufen am 21.11.2024.