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Harsdörffer, Georg Philipp: Poetischer Trichter. Bd. 2. Nürnberg, 1648.

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Die eilffte Stund.
zeiten auch eine wahre Begebenheit/ mit vielen
schicklichen ümständen ausgezieret. Wie nun
ein jedes Volk seine eigene Sprache und Sitten
hat/ also ist auch thunlichst zu dergleichen| Vorstel-
lung eine derselben eigene Geschicht zu erwehlen.
Scaliger * sagt dorten/ daß Terentius gefehlt/
wann er die Griechin Glycerium/ die Römische
Geburtsgöttin Lucinam anruffen machen. Der-
gleichen Fehler werden sich fast bey allen Vberse-
tzungen befinden/ obwol dem Dolmetscher frey-
stehet/ solche Spiele nach seinem Zweck/ Land und
Sprache zu richten. Wir Teutsche sollen Teut-
sche Geschichte ausdichten/ und den Jtaliänern/
Spaniern/ Engeländern/ und Frantzosen/ ihre
Historien lassen/ oder doch durch selber Erfindun-
gen durch zimliche Veränderung uns eigen ma-
chen.

4. II. Haben diese Spiele ins gemein das Ab-
sehen/ zu nutzen und zu belustigen. Obwol zu
Nachfolge der Ebreischen Poeterey alle Gedichte
zu GOTTes Ehre billich gerichtet werden sollen/
so ist doch verantwortlich/ daß man sich des Nech-
sten Neigung nach bequemen/ und denen/ welche
theils nicht lesen wollen/ theils nicht lesen können/
die Liebe zur Tugend/ durch ein lebendiges Ge-

mähl
* In Hypercrit f. 768.

Die eilffte Stund.
zeiten auch eine wahre Begebenheit/ mit vielen
ſchicklichen uͤmſtaͤnden ausgezieret. Wie nun
ein jedes Volk ſeine eigene Sprache und Sitten
hat/ alſo iſt auch thunlichſt zu dergleichẽ| Vorſtel-
lung eine derſelben eigene Geſchicht zu erwehlen.
Scaliger * ſagt dorten/ daß Terentius gefehlt/
wann er die Griechin Glycerium/ die Roͤmiſche
Geburtsgoͤttin Lucinam anruffen machen. Der-
gleichen Fehler werden ſich faſt bey allen Vberſe-
tzungen befinden/ obwol dem Dolmetſcher frey-
ſtehet/ ſolche Spiele nach ſeinem Zweck/ Land und
Sprache zu richten. Wir Teutſche ſollen Teut-
ſche Geſchichte ausdichten/ und den Jtaliaͤnern/
Spaniern/ Engelaͤndern/ und Frantzoſen/ ihre
Hiſtorien laſſen/ oder doch durch ſelber Erfindun-
gen durch zimliche Veraͤnderung uns eigen ma-
chen.

4. II. Haben dieſe Spiele ins gemein das Ab-
ſehen/ zu nutzen und zu beluſtigen. Obwol zu
Nachfolge der Ebreiſchen Poeterey alle Gedichte
zu GOTTes Ehre billich gerichtet werden ſollen/
ſo iſt doch verantwortlich/ daß man ſich des Nech-
ſten Neigung nach bequemen/ und denen/ welche
theils nicht leſen wollen/ theils nicht leſen koͤnnen/
die Liebe zur Tugend/ durch ein lebendiges Ge-

maͤhl
* In Hypercrit f. 768.
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[72/0086] Die eilffte Stund. zeiten auch eine wahre Begebenheit/ mit vielen ſchicklichen uͤmſtaͤnden ausgezieret. Wie nun ein jedes Volk ſeine eigene Sprache und Sitten hat/ alſo iſt auch thunlichſt zu dergleichẽ| Vorſtel- lung eine derſelben eigene Geſchicht zu erwehlen. Scaliger * ſagt dorten/ daß Terentius gefehlt/ wann er die Griechin Glycerium/ die Roͤmiſche Geburtsgoͤttin Lucinam anruffen machen. Der- gleichen Fehler werden ſich faſt bey allen Vberſe- tzungen befinden/ obwol dem Dolmetſcher frey- ſtehet/ ſolche Spiele nach ſeinem Zweck/ Land und Sprache zu richten. Wir Teutſche ſollen Teut- ſche Geſchichte ausdichten/ und den Jtaliaͤnern/ Spaniern/ Engelaͤndern/ und Frantzoſen/ ihre Hiſtorien laſſen/ oder doch durch ſelber Erfindun- gen durch zimliche Veraͤnderung uns eigen ma- chen. 4. II. Haben dieſe Spiele ins gemein das Ab- ſehen/ zu nutzen und zu beluſtigen. Obwol zu Nachfolge der Ebreiſchen Poeterey alle Gedichte zu GOTTes Ehre billich gerichtet werden ſollen/ ſo iſt doch verantwortlich/ daß man ſich des Nech- ſten Neigung nach bequemen/ und denen/ welche theils nicht leſen wollen/ theils nicht leſen koͤnnen/ die Liebe zur Tugend/ durch ein lebendiges Ge- maͤhl * In Hypercrit f. 768.

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Zitationshilfe: Harsdörffer, Georg Philipp: Poetischer Trichter. Bd. 2. Nürnberg, 1648, S. 72. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/harsdoerffer_trichter02_1648/86>, abgerufen am 21.11.2024.