Hartmann, Moritz: Das Schloß im Gebirge. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 11. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. [221]–262. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.kommen, unwissend und hülflos allem Elend preisgegeben sind -- und sie miethete eine Wohnung, groß genau, um zehn oder zwölf Knaben zu beherbergen, die sie in den Straßen auflas, und denen sie einen würdigen Mann vorsetzte, der für ihr leibliches wie geistiges Wohl sorgen sollte. Die Kinder waren da gut aufgehoben, und sobald durch den Abgang des einen ein Platz frei wurde, ging, wie es der Portier dieses Hauses nannte, die gute Gräfin auf die Jagd aus, um ein neues aufzutreiben. Diese Freude, die Kinder selbst herbeizuschaffen, ließ sie sich nicht nehmen. Bei alldem aber war sie nichts weniger als reich, ihre Güter waren confiscirt und verkauft worden, und sie besaß nur die kleinen Reste eines großen Vermögens. Von diesem gönnte sie sich selbst nur den kleinern Theil, den größern wendete sie ihrer Anstalt zu. Daher kam es auch, daß sie den Aufenthalt in der Anstalt keinem Knaben länger als zwei oder drei Jahre gestattete, gerade die Zeit, die es bedurfte, um ordentlich schreiben, lesen, rechnen und dergleichen zu erlernen, was zum Fortkommen in der Welt unumgänglich nothwendig ist; dann mußte er andern Platz machen, damit sie derselben Wohlthat theilhaft werden. Dabei war auch noch ein Restchen Aristokratie im Spiele, denn Mad. de Montarcy war der Meinung, daß bei Kindern unserer Klasse der Unterricht nicht über das Nothwendigste hinausgehen dürfe, daß etwas mehr Wissen aus unseres Gleichen nur Revolutionäre kommen, unwissend und hülflos allem Elend preisgegeben sind — und sie miethete eine Wohnung, groß genau, um zehn oder zwölf Knaben zu beherbergen, die sie in den Straßen auflas, und denen sie einen würdigen Mann vorsetzte, der für ihr leibliches wie geistiges Wohl sorgen sollte. Die Kinder waren da gut aufgehoben, und sobald durch den Abgang des einen ein Platz frei wurde, ging, wie es der Portier dieses Hauses nannte, die gute Gräfin auf die Jagd aus, um ein neues aufzutreiben. Diese Freude, die Kinder selbst herbeizuschaffen, ließ sie sich nicht nehmen. Bei alldem aber war sie nichts weniger als reich, ihre Güter waren confiscirt und verkauft worden, und sie besaß nur die kleinen Reste eines großen Vermögens. Von diesem gönnte sie sich selbst nur den kleinern Theil, den größern wendete sie ihrer Anstalt zu. Daher kam es auch, daß sie den Aufenthalt in der Anstalt keinem Knaben länger als zwei oder drei Jahre gestattete, gerade die Zeit, die es bedurfte, um ordentlich schreiben, lesen, rechnen und dergleichen zu erlernen, was zum Fortkommen in der Welt unumgänglich nothwendig ist; dann mußte er andern Platz machen, damit sie derselben Wohlthat theilhaft werden. Dabei war auch noch ein Restchen Aristokratie im Spiele, denn Mad. de Montarcy war der Meinung, daß bei Kindern unserer Klasse der Unterricht nicht über das Nothwendigste hinausgehen dürfe, daß etwas mehr Wissen aus unseres Gleichen nur Revolutionäre <TEI> <text> <body> <div type="chapter" n="0"> <p><pb facs="#f0028"/> kommen, unwissend und hülflos allem Elend preisgegeben sind — und sie miethete eine Wohnung, groß genau, um zehn oder zwölf Knaben zu beherbergen, die sie in den Straßen auflas, und denen sie einen würdigen Mann vorsetzte, der für ihr leibliches wie geistiges Wohl sorgen sollte. Die Kinder waren da gut aufgehoben, und sobald durch den Abgang des einen ein Platz frei wurde, ging, wie es der Portier dieses Hauses nannte, die gute Gräfin auf die Jagd aus, um ein neues aufzutreiben. Diese Freude, die Kinder selbst herbeizuschaffen, ließ sie sich nicht nehmen. Bei alldem aber war sie nichts weniger als reich, ihre Güter waren confiscirt und verkauft worden, und sie besaß nur die kleinen Reste eines großen Vermögens. Von diesem gönnte sie sich selbst nur den kleinern Theil, den größern wendete sie ihrer Anstalt zu. Daher kam es auch, daß sie den Aufenthalt in der Anstalt keinem Knaben länger als zwei oder drei Jahre gestattete, gerade die Zeit, die es bedurfte, um ordentlich schreiben, lesen, rechnen und dergleichen zu erlernen, was zum Fortkommen in der Welt unumgänglich nothwendig ist; dann mußte er andern Platz machen, damit sie derselben Wohlthat theilhaft werden. Dabei war auch noch ein Restchen Aristokratie im Spiele, denn Mad. de Montarcy war der Meinung, daß bei Kindern unserer Klasse der Unterricht nicht über das Nothwendigste hinausgehen dürfe, daß etwas mehr Wissen aus unseres Gleichen nur Revolutionäre<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [0028]
kommen, unwissend und hülflos allem Elend preisgegeben sind — und sie miethete eine Wohnung, groß genau, um zehn oder zwölf Knaben zu beherbergen, die sie in den Straßen auflas, und denen sie einen würdigen Mann vorsetzte, der für ihr leibliches wie geistiges Wohl sorgen sollte. Die Kinder waren da gut aufgehoben, und sobald durch den Abgang des einen ein Platz frei wurde, ging, wie es der Portier dieses Hauses nannte, die gute Gräfin auf die Jagd aus, um ein neues aufzutreiben. Diese Freude, die Kinder selbst herbeizuschaffen, ließ sie sich nicht nehmen. Bei alldem aber war sie nichts weniger als reich, ihre Güter waren confiscirt und verkauft worden, und sie besaß nur die kleinen Reste eines großen Vermögens. Von diesem gönnte sie sich selbst nur den kleinern Theil, den größern wendete sie ihrer Anstalt zu. Daher kam es auch, daß sie den Aufenthalt in der Anstalt keinem Knaben länger als zwei oder drei Jahre gestattete, gerade die Zeit, die es bedurfte, um ordentlich schreiben, lesen, rechnen und dergleichen zu erlernen, was zum Fortkommen in der Welt unumgänglich nothwendig ist; dann mußte er andern Platz machen, damit sie derselben Wohlthat theilhaft werden. Dabei war auch noch ein Restchen Aristokratie im Spiele, denn Mad. de Montarcy war der Meinung, daß bei Kindern unserer Klasse der Unterricht nicht über das Nothwendigste hinausgehen dürfe, daß etwas mehr Wissen aus unseres Gleichen nur Revolutionäre
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