Amerika's auf die bisherigen und künftigen Schick- sale der alten Welt mit ihm sprechen wollten, würde es uns seine Aufmerksamkeit entziehen. Und doch machen gerade solche Betrachtungen über die Entstehung und die Folgen großer Begebenheiten, in den Augen der Erwachsenen den Hauptwerth der Geschichte als Bildungsmittel für den reiferen Menschen aus; denn handelte es sich bloß um Namen und Zahlen, so wäre die Chronologie der Bürgermeister eines Städtchens eben so lehrreich, wie die Chrono- logie der Weltgeschichte.
Rechnen wir daher jene Episoden, jene einzeln stehenden leuchtenden Punkte in der Geschichte der Menschheit ab, so scheint uns wenig Stoff übrig zu bleiben, der das historische Studium für Kinder interessant und nützlich machen könnte. Mit dem Auswendiglernen von Herrschernamen und Jahres- zahlen, womit doch gewöhnlich der größte Theil der diesem Studium gewidmeten Zeit ausgefüllt wird, ist gewiß weder für Verstand noch Herz etwas ge- wonnen, und auch das Gedächtniß entledigt sich bald der unnützen Bürde. Dagegen bleiben schöne Charak- terzüge großer Männer, so wie Plutarch sie erzählt, weil sie das Herz rühren und zu edlen Entwürfen entflammen, noch lange über die Schulzeit hinaus im Geiste lebendig, ein sicherer Beweis, daß nur dieser Theil des Geschichtsunterrichtes von dauerndem
Amerika’s auf die bisherigen und kuͤnftigen Schick- ſale der alten Welt mit ihm ſprechen wollten, wuͤrde es uns ſeine Aufmerkſamkeit entziehen. Und doch machen gerade ſolche Betrachtungen über die Entſtehung und die Folgen großer Begebenheiten, in den Augen der Erwachſenen den Hauptwerth der Geſchichte als Bildungsmittel für den reiferen Menſchen aus; denn handelte es ſich bloß um Namen und Zahlen, ſo waͤre die Chronologie der Buͤrgermeiſter eines Staͤdtchens eben ſo lehrreich, wie die Chrono- logie der Weltgeſchichte.
Rechnen wir daher jene Epiſoden, jene einzeln ſtehenden leuchtenden Punkte in der Geſchichte der Menſchheit ab, ſo ſcheint uns wenig Stoff uͤbrig zu bleiben, der das hiſtoriſche Studium fuͤr Kinder intereſſant und nuͤtzlich machen koͤnnte. Mit dem Auswendiglernen von Herrſchernamen und Jahres- zahlen, womit doch gewoͤhnlich der groͤßte Theil der dieſem Studium gewidmeten Zeit ausgefuͤllt wird, iſt gewiß weder für Verſtand noch Herz etwas ge- wonnen, und auch das Gedaͤchtniß entledigt ſich bald der unnuͤtzen Buͤrde. Dagegen bleiben ſchoͤne Charak- terzuͤge großer Maͤnner, ſo wie Plutarch ſie erzaͤhlt, weil ſie das Herz ruͤhren und zu edlen Entwuͤrfen entflammen, noch lange uͤber die Schulzeit hinaus im Geiſte lebendig, ein ſicherer Beweis, daß nur dieſer Theil des Geſchichtsunterrichtes von dauerndem
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0127"n="117"/>
Amerika’s auf die bisherigen und kuͤnftigen Schick-<lb/>ſale der alten Welt mit ihm ſprechen wollten,<lb/>
wuͤrde es uns ſeine Aufmerkſamkeit entziehen. Und<lb/>
doch machen gerade ſolche Betrachtungen über die<lb/>
Entſtehung und die Folgen großer Begebenheiten, in<lb/>
den Augen der Erwachſenen den Hauptwerth der<lb/>
Geſchichte als Bildungsmittel für den reiferen Menſchen<lb/>
aus; denn handelte es ſich bloß um Namen und<lb/>
Zahlen, ſo waͤre die Chronologie der Buͤrgermeiſter<lb/>
eines Staͤdtchens eben ſo lehrreich, wie die Chrono-<lb/>
logie der Weltgeſchichte.</p><lb/><p>Rechnen wir daher jene Epiſoden, jene einzeln<lb/>ſtehenden leuchtenden Punkte in der Geſchichte der<lb/>
Menſchheit ab, ſo ſcheint uns wenig Stoff uͤbrig zu<lb/>
bleiben, der das hiſtoriſche Studium fuͤr Kinder<lb/>
intereſſant und nuͤtzlich machen koͤnnte. Mit dem<lb/>
Auswendiglernen von Herrſchernamen und Jahres-<lb/>
zahlen, womit doch gewoͤhnlich der groͤßte Theil der<lb/>
dieſem Studium gewidmeten Zeit ausgefuͤllt wird,<lb/>
iſt gewiß weder für Verſtand noch Herz etwas ge-<lb/>
wonnen, und auch das Gedaͤchtniß entledigt ſich bald<lb/>
der unnuͤtzen Buͤrde. Dagegen bleiben ſchoͤne Charak-<lb/>
terzuͤge großer Maͤnner, ſo wie Plutarch ſie erzaͤhlt,<lb/>
weil ſie das Herz ruͤhren und zu edlen Entwuͤrfen<lb/>
entflammen, noch lange uͤber die Schulzeit hinaus<lb/>
im Geiſte lebendig, ein ſicherer Beweis, daß nur<lb/>
dieſer Theil des Geſchichtsunterrichtes von dauerndem<lb/></p></div></body></text></TEI>
[117/0127]
Amerika’s auf die bisherigen und kuͤnftigen Schick-
ſale der alten Welt mit ihm ſprechen wollten,
wuͤrde es uns ſeine Aufmerkſamkeit entziehen. Und
doch machen gerade ſolche Betrachtungen über die
Entſtehung und die Folgen großer Begebenheiten, in
den Augen der Erwachſenen den Hauptwerth der
Geſchichte als Bildungsmittel für den reiferen Menſchen
aus; denn handelte es ſich bloß um Namen und
Zahlen, ſo waͤre die Chronologie der Buͤrgermeiſter
eines Staͤdtchens eben ſo lehrreich, wie die Chrono-
logie der Weltgeſchichte.
Rechnen wir daher jene Epiſoden, jene einzeln
ſtehenden leuchtenden Punkte in der Geſchichte der
Menſchheit ab, ſo ſcheint uns wenig Stoff uͤbrig zu
bleiben, der das hiſtoriſche Studium fuͤr Kinder
intereſſant und nuͤtzlich machen koͤnnte. Mit dem
Auswendiglernen von Herrſchernamen und Jahres-
zahlen, womit doch gewoͤhnlich der groͤßte Theil der
dieſem Studium gewidmeten Zeit ausgefuͤllt wird,
iſt gewiß weder für Verſtand noch Herz etwas ge-
wonnen, und auch das Gedaͤchtniß entledigt ſich bald
der unnuͤtzen Buͤrde. Dagegen bleiben ſchoͤne Charak-
terzuͤge großer Maͤnner, ſo wie Plutarch ſie erzaͤhlt,
weil ſie das Herz ruͤhren und zu edlen Entwuͤrfen
entflammen, noch lange uͤber die Schulzeit hinaus
im Geiſte lebendig, ein ſicherer Beweis, daß nur
dieſer Theil des Geſchichtsunterrichtes von dauerndem
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Hartwig, Georg Ludwig: Die physische Erziehung der Kinder. Düsseldorf, 1847, S. 117. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hartwig_erziehung_1847/127>, abgerufen am 16.02.2025.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2025 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften
(Kontakt).
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2025. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.