Hasak, Max: Die Predigtkirche im Mittelalter. Berlin, 1893.die nicht durch verschiedenartige oder gar einander entgegenstehende Richtungen hervorgerufen, sondern nur durch verschiedene Bedürfnisse einundderselben Kirche bedingt worden sind. Die so irrige Beurteilung der verschiedenartigen mittelalterlichen Gotteshäuser erklärt sich zum guten Theile wohl daraus, daß in den Büchern sehr wenig mittelalterliche Pfarrkirchen abgebildet sind. Man findet dort fast nichts als aufwendige Kathedral- und Klosterkirchengrundrisse, und diese bilden daher den Typus des "katholischen Grundrisses", wie er sich in den Anschauungen jener Kunstschriftsteller festgesetzt hat. Diesen nur allein haben sie im Auge und da ihnen die Kenntniß mangelt, welchen Zwecken die Kathedralen und Klosterkirchen dienten, so vergleichen sie diese Kathedral- und Klosterkirchengrundrisse mit denen der heutigen protestantischen Pfarrkirchen -- und der Irrthum ist da. "Die katholische Kirche als solche bevorzugt in Schiffe getheilte Processionskirchen (!) mit stark, und zwar jenseits eines Querschiffes entwickeltem Priesterchor. Die evangelische Richtung beschränkt den Chor oder doch seine Sonderstellung. Wo der Gottesdienst nicht vorzugsweise in Messe und Heiligencult bestand, sondern die Erklärung des Wortes zur Hauptsache wurde, wurden alsbald Kirchen gebaut, die zur Anhörung des Wortes geeignet waren. Die Bekämpfung der Evangelischen durch katholische Lehre mußte zunächst ebenfalls durch das Wort geschehen. Daher haben die Predigerorden, seien es nun die Dominicaner des 13. oder die Jesuiten des 16. Jahrhunderts, die Hallenformen aufgenommen, um, sobald sie wieder in den ruhigen Besitz der Geister gelangt waren, zur Meß- und Processionskirche zurückzukehren." So schreibt Hr. Professor Cornelius Gurlitt im Jahrgang 1892 der Zeitschrift für Bauwesen in seinen "Beiträgen zur Entwicklungsgeschichte der Gothik." Zuerst sei der Pfarrkirchengrundriß erörtert. So unbekannt wie er ist, so ist er selbstverständlich fast in jeder Stadt zu finden, in größeren Städten häufig mehreremale, häufig auch auf den Dörfern -- überall eben, wo einige Tausend Christen bei einander wohnten und wohnen. Er muß überall die nicht durch verschiedenartige oder gar einander entgegenstehende Richtungen hervorgerufen, sondern nur durch verschiedene Bedürfnisse einundderselben Kirche bedingt worden sind. Die so irrige Beurteilung der verschiedenartigen mittelalterlichen Gotteshäuser erklärt sich zum guten Theile wohl daraus, daß in den Büchern sehr wenig mittelalterliche Pfarrkirchen abgebildet sind. Man findet dort fast nichts als aufwendige Kathedral- und Klosterkirchengrundrisse, und diese bilden daher den Typus des „katholischen Grundrisses“, wie er sich in den Anschauungen jener Kunstschriftsteller festgesetzt hat. Diesen nur allein haben sie im Auge und da ihnen die Kenntniß mangelt, welchen Zwecken die Kathedralen und Klosterkirchen dienten, so vergleichen sie diese Kathedral- und Klosterkirchengrundrisse mit denen der heutigen protestantischen Pfarrkirchen — und der Irrthum ist da. „Die katholische Kirche als solche bevorzugt in Schiffe getheilte Processionskirchen (!) mit stark, und zwar jenseits eines Querschiffes entwickeltem Priesterchor. Die evangelische Richtung beschränkt den Chor oder doch seine Sonderstellung. Wo der Gottesdienst nicht vorzugsweise in Messe und Heiligencult bestand, sondern die Erklärung des Wortes zur Hauptsache wurde, wurden alsbald Kirchen gebaut, die zur Anhörung des Wortes geeignet waren. Die Bekämpfung der Evangelischen durch katholische Lehre mußte zunächst ebenfalls durch das Wort geschehen. Daher haben die Predigerorden, seien es nun die Dominicaner des 13. oder die Jesuiten des 16. Jahrhunderts, die Hallenformen aufgenommen, um, sobald sie wieder in den ruhigen Besitz der Geister gelangt waren, zur Meß- und Processionskirche zurückzukehren.“ So schreibt Hr. Professor Cornelius Gurlitt im Jahrgang 1892 der Zeitschrift für Bauwesen in seinen „Beiträgen zur Entwicklungsgeschichte der Gothik.“ Zuerst sei der Pfarrkirchengrundriß erörtert. So unbekannt wie er ist, so ist er selbstverständlich fast in jeder Stadt zu finden, in größeren Städten häufig mehreremale, häufig auch auf den Dörfern — überall eben, wo einige Tausend Christen bei einander wohnten und wohnen. 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Diesen nur allein haben sie im Auge und da ihnen die Kenntniß mangelt, welchen Zwecken die Kathedralen und Klosterkirchen dienten, so vergleichen sie diese Kathedral- und Klosterkirchengrundrisse mit denen der heutigen protestantischen Pfarrkirchen — und der Irrthum ist da.</p> <p>„Die katholische Kirche <hi rendition="#g">als solche</hi> bevorzugt in Schiffe getheilte Processionskirchen (!) mit stark, und zwar jenseits eines Querschiffes entwickeltem Priesterchor. Die evangelische Richtung beschränkt den Chor oder doch seine Sonderstellung. Wo der Gottesdienst nicht vorzugsweise in Messe und Heiligencult bestand, sondern die Erklärung des Wortes zur Hauptsache wurde, wurden alsbald Kirchen gebaut, die zur Anhörung des Wortes geeignet waren. Die Bekämpfung der Evangelischen durch katholische Lehre mußte zunächst ebenfalls durch das Wort geschehen. Daher haben die Predigerorden, seien es nun die Dominicaner des 13. oder die Jesuiten des 16. Jahrhunderts, die Hallenformen aufgenommen, um, sobald sie wieder in den ruhigen Besitz der Geister gelangt waren, zur Meß- und Processionskirche zurückzukehren.“ So schreibt Hr. Professor Cornelius <hi rendition="#g">Gurlitt</hi> im Jahrgang 1892 der Zeitschrift für Bauwesen in seinen „Beiträgen zur Entwicklungsgeschichte der Gothik.“</p> <p>Zuerst sei der <hi rendition="#g">Pfarrkirchengrundriß</hi> erörtert. So unbekannt wie er ist, so ist er selbstverständlich fast in jeder Stadt zu finden, in größeren Städten häufig mehreremale, häufig auch auf den Dörfern — überall eben, wo einige Tausend Christen bei einander wohnten und wohnen. Er <hi rendition="#g">muß</hi> überall </p> </div> </body> </text> </TEI> [4/0010]
die nicht durch verschiedenartige oder gar einander entgegenstehende Richtungen hervorgerufen, sondern nur durch verschiedene Bedürfnisse einundderselben Kirche bedingt worden sind.
Die so irrige Beurteilung der verschiedenartigen mittelalterlichen Gotteshäuser erklärt sich zum guten Theile wohl daraus, daß in den Büchern sehr wenig mittelalterliche Pfarrkirchen abgebildet sind. Man findet dort fast nichts als aufwendige Kathedral- und Klosterkirchengrundrisse, und diese bilden daher den Typus des „katholischen Grundrisses“, wie er sich in den Anschauungen jener Kunstschriftsteller festgesetzt hat. Diesen nur allein haben sie im Auge und da ihnen die Kenntniß mangelt, welchen Zwecken die Kathedralen und Klosterkirchen dienten, so vergleichen sie diese Kathedral- und Klosterkirchengrundrisse mit denen der heutigen protestantischen Pfarrkirchen — und der Irrthum ist da.
„Die katholische Kirche als solche bevorzugt in Schiffe getheilte Processionskirchen (!) mit stark, und zwar jenseits eines Querschiffes entwickeltem Priesterchor. Die evangelische Richtung beschränkt den Chor oder doch seine Sonderstellung. Wo der Gottesdienst nicht vorzugsweise in Messe und Heiligencult bestand, sondern die Erklärung des Wortes zur Hauptsache wurde, wurden alsbald Kirchen gebaut, die zur Anhörung des Wortes geeignet waren. Die Bekämpfung der Evangelischen durch katholische Lehre mußte zunächst ebenfalls durch das Wort geschehen. Daher haben die Predigerorden, seien es nun die Dominicaner des 13. oder die Jesuiten des 16. Jahrhunderts, die Hallenformen aufgenommen, um, sobald sie wieder in den ruhigen Besitz der Geister gelangt waren, zur Meß- und Processionskirche zurückzukehren.“ So schreibt Hr. Professor Cornelius Gurlitt im Jahrgang 1892 der Zeitschrift für Bauwesen in seinen „Beiträgen zur Entwicklungsgeschichte der Gothik.“
Zuerst sei der Pfarrkirchengrundriß erörtert. So unbekannt wie er ist, so ist er selbstverständlich fast in jeder Stadt zu finden, in größeren Städten häufig mehreremale, häufig auch auf den Dörfern — überall eben, wo einige Tausend Christen bei einander wohnten und wohnen. Er muß überall
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