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Hauff, Wilhelm: Phantasien im Bremer Ratskeller. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 4. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 117–197. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

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mich fest an der Kehle und drohte mich zu erwürgen, wenn ich mich ferner sträube. Die Sinne wollten mir vergehen, als sie mich unter allgemeinem Jauchzen und Geschrei auf das Tuch legten; noch einmal raffte ich mich zusammen: Nur nicht zu hoch, meine werthen Gönner, ich renne mir sonst das Hirn ein am Gewölbe, rief ich in der Angst des Herzens, aber sie lachten und überschrieen mich. Jetzt fingen sie an, das Tuch hin und her zu wiegen, Balthasar blies den Trichter dazu; jetzt ging es auf und abwärts, zuerst drei, vier, fünf Schuh hoch, auf einmal schnellten sie stärker, ich flog hinauf und -- wie eine Wolke that sich die Decke des Gewölbes auseinander ich flog immer aufwärts zum Rathhausdach hinaus, höher, höher, als der Thurm der Domkirche. Ha, dachte ich im Fliegen, jetzt ist es um dich geschehen! Wenn du jetzt wieder fällst, brichst du das Genick oder zum allerwenigsten ein paar Arme oder Beine! O Himmel, und ich weiß ja, was sie von einem Mann mit gebrochenen Gliedmaßen denkt! Ade, ade! mein Leben, meine Liebe!

Jetzt hatte ich den höchsten Punkt meines Steigens erreicht, und eben so pfeilschnell fiel ich abwärts. Krach! ging es durchs Rathhausdach und hinab durch die Decke des Gewölbes, aber ich fiel nicht auf das Tuch zurück, sondern gerade auf einen Stuhl, mit dem ich rücklings über auf den Boden schlug.

Ich lag einige Zeit betäubt vom Fall. Ein Schmerz am Kopfe und die Kälte des Bodens weckten

mich fest an der Kehle und drohte mich zu erwürgen, wenn ich mich ferner sträube. Die Sinne wollten mir vergehen, als sie mich unter allgemeinem Jauchzen und Geschrei auf das Tuch legten; noch einmal raffte ich mich zusammen: Nur nicht zu hoch, meine werthen Gönner, ich renne mir sonst das Hirn ein am Gewölbe, rief ich in der Angst des Herzens, aber sie lachten und überschrieen mich. Jetzt fingen sie an, das Tuch hin und her zu wiegen, Balthasar blies den Trichter dazu; jetzt ging es auf und abwärts, zuerst drei, vier, fünf Schuh hoch, auf einmal schnellten sie stärker, ich flog hinauf und — wie eine Wolke that sich die Decke des Gewölbes auseinander ich flog immer aufwärts zum Rathhausdach hinaus, höher, höher, als der Thurm der Domkirche. Ha, dachte ich im Fliegen, jetzt ist es um dich geschehen! Wenn du jetzt wieder fällst, brichst du das Genick oder zum allerwenigsten ein paar Arme oder Beine! O Himmel, und ich weiß ja, was sie von einem Mann mit gebrochenen Gliedmaßen denkt! Ade, ade! mein Leben, meine Liebe!

Jetzt hatte ich den höchsten Punkt meines Steigens erreicht, und eben so pfeilschnell fiel ich abwärts. Krach! ging es durchs Rathhausdach und hinab durch die Decke des Gewölbes, aber ich fiel nicht auf das Tuch zurück, sondern gerade auf einen Stuhl, mit dem ich rücklings über auf den Boden schlug.

Ich lag einige Zeit betäubt vom Fall. Ein Schmerz am Kopfe und die Kälte des Bodens weckten

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[0079] mich fest an der Kehle und drohte mich zu erwürgen, wenn ich mich ferner sträube. Die Sinne wollten mir vergehen, als sie mich unter allgemeinem Jauchzen und Geschrei auf das Tuch legten; noch einmal raffte ich mich zusammen: Nur nicht zu hoch, meine werthen Gönner, ich renne mir sonst das Hirn ein am Gewölbe, rief ich in der Angst des Herzens, aber sie lachten und überschrieen mich. Jetzt fingen sie an, das Tuch hin und her zu wiegen, Balthasar blies den Trichter dazu; jetzt ging es auf und abwärts, zuerst drei, vier, fünf Schuh hoch, auf einmal schnellten sie stärker, ich flog hinauf und — wie eine Wolke that sich die Decke des Gewölbes auseinander ich flog immer aufwärts zum Rathhausdach hinaus, höher, höher, als der Thurm der Domkirche. Ha, dachte ich im Fliegen, jetzt ist es um dich geschehen! Wenn du jetzt wieder fällst, brichst du das Genick oder zum allerwenigsten ein paar Arme oder Beine! O Himmel, und ich weiß ja, was sie von einem Mann mit gebrochenen Gliedmaßen denkt! Ade, ade! mein Leben, meine Liebe! Jetzt hatte ich den höchsten Punkt meines Steigens erreicht, und eben so pfeilschnell fiel ich abwärts. Krach! ging es durchs Rathhausdach und hinab durch die Decke des Gewölbes, aber ich fiel nicht auf das Tuch zurück, sondern gerade auf einen Stuhl, mit dem ich rücklings über auf den Boden schlug. Ich lag einige Zeit betäubt vom Fall. Ein Schmerz am Kopfe und die Kälte des Bodens weckten

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Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-15T11:05:53Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition. (2017-03-15T11:05:53Z)

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Zitationshilfe: Hauff, Wilhelm: Phantasien im Bremer Ratskeller. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 4. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 117–197. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hauff_ratskeller_1910/79>, abgerufen am 24.11.2024.