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Hauptmann, Gerhart: Der Apostel. Bahnwärter Thiel. Novellistische Studien. Berlin, 1892.

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Der Augenblick genügte, um den Wärter zu
sich selbst zu bringen, er griff nach seiner La¬
terne, die er auch glücklich zu fassen bekam,
und in diesem Augenblick erwachte der Donner
am fernsten Saume des märkischen Nacht¬
himmels, erst dumpf und verhalten grollend,
wälzte er sich näher in kurzen, brandenden Erz¬
wellen, bis er, zu Riesenstößen anwachsend, sich
endlich, die ganze Atmosphäre überflutend,
dröhnend, schütternd und brausend entlud.

Die Scheiben klirrten, die Erde erbebte.

Thiel hatte Licht gemacht, sein erster Blick,
nachdem er die Fassung wieder gewonnen, galt
der Uhr. Es lagen kaum fünf Minuten zwischen
jetzt und der Ankunft des Schnellzuges. Da
er glaubte, das Signal überhört zu haben, be¬
gab er sich so schnell als Sturm und Dunkel¬
heit erlaubten, nach der Barriere; als er noch
damit beschäftigt war, diese zu schließen, erklang
die Signalglocke. Der Wind zerriß ihre Töne
und warf sie nach allen Richtungen ausein¬
ander. Die Kiefern bogen sich und rieben un¬
heimlich knarrend und quietschend ihre Zweige
aneinander. Einen Augenblick wurde der Mond
sichtbar, wie er, gleich einer blaßgoldnen Schale,
zwischen den Wolken lag. In seinem Lichte sah

Der Augenblick genügte, um den Wärter zu
ſich ſelbſt zu bringen, er griff nach ſeiner La¬
terne, die er auch glücklich zu faſſen bekam,
und in dieſem Augenblick erwachte der Donner
am fernſten Saume des märkiſchen Nacht¬
himmels, erſt dumpf und verhalten grollend,
wälzte er ſich näher in kurzen, brandenden Erz¬
wellen, bis er, zu Rieſenſtößen anwachſend, ſich
endlich, die ganze Atmoſphäre überflutend,
dröhnend, ſchütternd und brauſend entlud.

Die Scheiben klirrten, die Erde erbebte.

Thiel hatte Licht gemacht, ſein erſter Blick,
nachdem er die Faſſung wieder gewonnen, galt
der Uhr. Es lagen kaum fünf Minuten zwiſchen
jetzt und der Ankunft des Schnellzuges. Da
er glaubte, das Signal überhört zu haben, be¬
gab er ſich ſo ſchnell als Sturm und Dunkel¬
heit erlaubten, nach der Barriere; als er noch
damit beſchäftigt war, dieſe zu ſchließen, erklang
die Signalglocke. Der Wind zerriß ihre Töne
und warf ſie nach allen Richtungen ausein¬
ander. Die Kiefern bogen ſich und rieben un¬
heimlich knarrend und quietſchend ihre Zweige
aneinander. Einen Augenblick wurde der Mond
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[32/0044] Der Augenblick genügte, um den Wärter zu ſich ſelbſt zu bringen, er griff nach ſeiner La¬ terne, die er auch glücklich zu faſſen bekam, und in dieſem Augenblick erwachte der Donner am fernſten Saume des märkiſchen Nacht¬ himmels, erſt dumpf und verhalten grollend, wälzte er ſich näher in kurzen, brandenden Erz¬ wellen, bis er, zu Rieſenſtößen anwachſend, ſich endlich, die ganze Atmoſphäre überflutend, dröhnend, ſchütternd und brauſend entlud. Die Scheiben klirrten, die Erde erbebte. Thiel hatte Licht gemacht, ſein erſter Blick, nachdem er die Faſſung wieder gewonnen, galt der Uhr. Es lagen kaum fünf Minuten zwiſchen jetzt und der Ankunft des Schnellzuges. Da er glaubte, das Signal überhört zu haben, be¬ gab er ſich ſo ſchnell als Sturm und Dunkel¬ heit erlaubten, nach der Barriere; als er noch damit beſchäftigt war, dieſe zu ſchließen, erklang die Signalglocke. Der Wind zerriß ihre Töne und warf ſie nach allen Richtungen ausein¬ ander. Die Kiefern bogen ſich und rieben un¬ heimlich knarrend und quietſchend ihre Zweige aneinander. Einen Augenblick wurde der Mond ſichtbar, wie er, gleich einer blaßgoldnen Schale, zwiſchen den Wolken lag. In ſeinem Lichte ſah

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Zitationshilfe: Hauptmann, Gerhart: Der Apostel. Bahnwärter Thiel. Novellistische Studien. Berlin, 1892, S. 32. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hauptmann_bahnwaerter_1892/44>, abgerufen am 21.11.2024.