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Hauptmann, Gerhart: Der Apostel. Bahnwärter Thiel. Novellistische Studien. Berlin, 1892.

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man das Wühlen des Windes in den schwarzen
Kronen der Kiefern. Die Blattgehänge der
Birken am Bahndamm wehten und flatterten
wie gespenstige Roßschweife. Darunter lagen die
Linien der Gleise, welche, vor Nässe glänzend, das
blasse Mondlicht in einzelnen Flecken aufsaugten.

Thiel riß die Mütze vom Kopfe, der Regen
that ihm wohl und lief vermischt mit Thränen
über sein Gesicht. Es gährte in seinem Hirn,
unklare Erinnerungen an das, was er im Traum
gesehen, verjagten einander. Es war ihm ge¬
wesen, als würde Tobias von Jemand gemi߬
handelt und zwar auf eine so entsetzliche Weise,
daß ihm noch jetzt bei dem Gedanken daran
das Herz stille stand. Einer anderen Erscheinung
erinnerte er sich deutlicher. Er hatte seine ver¬
storbene Frau gesehen, sie war irgendwoher aus
der Ferne gekommen, auf einem der Bahn¬
geleise, sie hatte recht kränklich ausgesehen, und
statt der Kleider hatte sie Lumpen getragen.
Sie war an Thiels Häuschen vorübergekommen,
ohne sich darnach umzuschauen und schließlich --
hier wurde die Erinnerung undeutlich, war sie
aus irgend welchem Grunde nur mit großer
Mühe vorwärts gekommen und sogar mehrmals
zusammengebrochen.

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man das Wühlen des Windes in den ſchwarzen
Kronen der Kiefern. Die Blattgehänge der
Birken am Bahndamm wehten und flatterten
wie geſpenſtige Roßſchweife. Darunter lagen die
Linien der Gleiſe, welche, vor Näſſe glänzend, das
blaſſe Mondlicht in einzelnen Flecken aufſaugten.

Thiel riß die Mütze vom Kopfe, der Regen
that ihm wohl und lief vermiſcht mit Thränen
über ſein Geſicht. Es gährte in ſeinem Hirn,
unklare Erinnerungen an das, was er im Traum
geſehen, verjagten einander. Es war ihm ge¬
weſen, als würde Tobias von Jemand gemi߬
handelt und zwar auf eine ſo entſetzliche Weiſe,
daß ihm noch jetzt bei dem Gedanken daran
das Herz ſtille ſtand. Einer anderen Erſcheinung
erinnerte er ſich deutlicher. Er hatte ſeine ver¬
ſtorbene Frau geſehen, ſie war irgendwoher aus
der Ferne gekommen, auf einem der Bahn¬
geleiſe, ſie hatte recht kränklich ausgeſehen, und
ſtatt der Kleider hatte ſie Lumpen getragen.
Sie war an Thiels Häuschen vorübergekommen,
ohne ſich darnach umzuſchauen und ſchließlich —
hier wurde die Erinnerung undeutlich, war ſie
aus irgend welchem Grunde nur mit großer
Mühe vorwärts gekommen und ſogar mehrmals
zuſammengebrochen.

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[33/0045] man das Wühlen des Windes in den ſchwarzen Kronen der Kiefern. Die Blattgehänge der Birken am Bahndamm wehten und flatterten wie geſpenſtige Roßſchweife. Darunter lagen die Linien der Gleiſe, welche, vor Näſſe glänzend, das blaſſe Mondlicht in einzelnen Flecken aufſaugten. Thiel riß die Mütze vom Kopfe, der Regen that ihm wohl und lief vermiſcht mit Thränen über ſein Geſicht. Es gährte in ſeinem Hirn, unklare Erinnerungen an das, was er im Traum geſehen, verjagten einander. Es war ihm ge¬ weſen, als würde Tobias von Jemand gemi߬ handelt und zwar auf eine ſo entſetzliche Weiſe, daß ihm noch jetzt bei dem Gedanken daran das Herz ſtille ſtand. Einer anderen Erſcheinung erinnerte er ſich deutlicher. Er hatte ſeine ver¬ ſtorbene Frau geſehen, ſie war irgendwoher aus der Ferne gekommen, auf einem der Bahn¬ geleiſe, ſie hatte recht kränklich ausgeſehen, und ſtatt der Kleider hatte ſie Lumpen getragen. Sie war an Thiels Häuschen vorübergekommen, ohne ſich darnach umzuſchauen und ſchließlich — hier wurde die Erinnerung undeutlich, war ſie aus irgend welchem Grunde nur mit großer Mühe vorwärts gekommen und ſogar mehrmals zuſammengebrochen. 3

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Zitationshilfe: Hauptmann, Gerhart: Der Apostel. Bahnwärter Thiel. Novellistische Studien. Berlin, 1892, S. 33. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hauptmann_bahnwaerter_1892/45>, abgerufen am 27.04.2024.