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Hauptmann, Gerhart: Der Apostel. Bahnwärter Thiel. Novellistische Studien. Berlin, 1892.

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eine Insel zarter Farrenkräuter, deren Wedel
feingeklöppelten Spitzen glichen, mit Glut be¬
hauchend, dort die silbergrauen Flechten des
Waldgrundes zu roten Korallen umwandelnd.

Von Wipfeln, Stämmen und Gräsern floß
der Feuertau. Eine Sintflut von Licht schien
über die Erde ausgegossen. Es lag eine Frische
in der Luft, die bis ins Herz drang, und auch
hinter Thiels Stirn mußten die Bilder der
Nacht allmälig verblassen.

Mit dem Augenblick jedoch, wo er in die
Stube trat und Tobiäschen rotwangiger als je
im sonnenbeschienenen Bette liegen sah, waren
sie ganz verschwunden.

Wohl wahr! Im Verlauf des Tages glaubte
Lene mehrmals etwas Befremdliches an ihm
wahrzunehmen, so im Kirchstuhl, als er, statt
ins Buch zu schauen, sie selbst von der Seite
betrachtete, und dann auch um die Mittagszeit,
als er, ohne ein Wort zu sagen, das Kleine,
welches Tobias wie gewöhnlich auf die Straße
tragen sollte, aus dessen Arm nahm und ihr
auf den Schoß setzte. Sonst aber hatte er
nicht das geringste Auffällige an sich.

Thiel, der den Tag über nicht dazu gekommen
war, sich niederzulegen, kroch, da er die folgende

eine Inſel zarter Farrenkräuter, deren Wedel
feingeklöppelten Spitzen glichen, mit Glut be¬
hauchend, dort die ſilbergrauen Flechten des
Waldgrundes zu roten Korallen umwandelnd.

Von Wipfeln, Stämmen und Gräſern floß
der Feuertau. Eine Sintflut von Licht ſchien
über die Erde ausgegoſſen. Es lag eine Friſche
in der Luft, die bis ins Herz drang, und auch
hinter Thiels Stirn mußten die Bilder der
Nacht allmälig verblaſſen.

Mit dem Augenblick jedoch, wo er in die
Stube trat und Tobiäſchen rotwangiger als je
im ſonnenbeſchienenen Bette liegen ſah, waren
ſie ganz verſchwunden.

Wohl wahr! Im Verlauf des Tages glaubte
Lene mehrmals etwas Befremdliches an ihm
wahrzunehmen, ſo im Kirchſtuhl, als er, ſtatt
ins Buch zu ſchauen, ſie ſelbſt von der Seite
betrachtete, und dann auch um die Mittagszeit,
als er, ohne ein Wort zu ſagen, das Kleine,
welches Tobias wie gewöhnlich auf die Straße
tragen ſollte, aus deſſen Arm nahm und ihr
auf den Schoß ſetzte. Sonſt aber hatte er
nicht das geringſte Auffällige an ſich.

Thiel, der den Tag über nicht dazu gekommen
war, ſich niederzulegen, kroch, da er die folgende

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[37/0049] eine Inſel zarter Farrenkräuter, deren Wedel feingeklöppelten Spitzen glichen, mit Glut be¬ hauchend, dort die ſilbergrauen Flechten des Waldgrundes zu roten Korallen umwandelnd. Von Wipfeln, Stämmen und Gräſern floß der Feuertau. Eine Sintflut von Licht ſchien über die Erde ausgegoſſen. Es lag eine Friſche in der Luft, die bis ins Herz drang, und auch hinter Thiels Stirn mußten die Bilder der Nacht allmälig verblaſſen. Mit dem Augenblick jedoch, wo er in die Stube trat und Tobiäſchen rotwangiger als je im ſonnenbeſchienenen Bette liegen ſah, waren ſie ganz verſchwunden. Wohl wahr! Im Verlauf des Tages glaubte Lene mehrmals etwas Befremdliches an ihm wahrzunehmen, ſo im Kirchſtuhl, als er, ſtatt ins Buch zu ſchauen, ſie ſelbſt von der Seite betrachtete, und dann auch um die Mittagszeit, als er, ohne ein Wort zu ſagen, das Kleine, welches Tobias wie gewöhnlich auf die Straße tragen ſollte, aus deſſen Arm nahm und ihr auf den Schoß ſetzte. Sonſt aber hatte er nicht das geringſte Auffällige an ſich. Thiel, der den Tag über nicht dazu gekommen war, ſich niederzulegen, kroch, da er die folgende

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Zitationshilfe: Hauptmann, Gerhart: Der Apostel. Bahnwärter Thiel. Novellistische Studien. Berlin, 1892, S. 37. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hauptmann_bahnwaerter_1892/49>, abgerufen am 27.04.2024.