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Hauptmann, Gerhart: Der Apostel. Bahnwärter Thiel. Novellistische Studien. Berlin, 1892.

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neugierige Gesichter und jetzt -- die Menge
knäulte sich und kam nach vorn.

Thiel keuchte, er mußte sich festhalten, um
nicht umzusinken, wie ein gefällter Stier. Wahr¬
haftig, man winkt ihm -- "nein!"

Ein Aufschrei zerreißt die Luft von der
Unglücksstelle her, ein Geheul folgt, wie aus
der Kehle eines Tieres kommend. Wer war
das?! Lene?! Es war nicht ihre Stimme und
doch ...

Ein Mann kommt in Eile die Strecke
herauf.

"Wärter!!"

"Was giebt's?"

"Ein Unglück!" ... Der Bote schreckt zu¬
rück, denn des Wärters Augen spielen seltsam.
Die Mütze sitzt schief, die rothen Haare scheinen
sich aufzubäumen.

"Er lebt noch, vielleicht ist noch Hilfe."

Ein Röcheln ist die einzige Antwort.

"Kommen Sie schnell, schnell!"

Thiel reißt sich auf mit gewaltiger An¬
strengung, seine schlaffen Muskeln spannen sich,
er richtet sich hoch auf, sein Gesicht ist blöd
und tot.

Er rennt mit dem Boten, er sieht nicht die

neugierige Geſichter und jetzt — die Menge
knäulte ſich und kam nach vorn.

Thiel keuchte, er mußte ſich feſthalten, um
nicht umzuſinken, wie ein gefällter Stier. Wahr¬
haftig, man winkt ihm — „nein!“

Ein Aufſchrei zerreißt die Luft von der
Unglücksſtelle her, ein Geheul folgt, wie aus
der Kehle eines Tieres kommend. Wer war
das?! Lene?! Es war nicht ihre Stimme und
doch ...

Ein Mann kommt in Eile die Strecke
herauf.

„Wärter!!“

„Was giebt's?“

„Ein Unglück!“ ... Der Bote ſchreckt zu¬
rück, denn des Wärters Augen ſpielen ſeltſam.
Die Mütze ſitzt ſchief, die rothen Haare ſcheinen
ſich aufzubäumen.

„Er lebt noch, vielleicht iſt noch Hilfe.“

Ein Röcheln iſt die einzige Antwort.

„Kommen Sie ſchnell, ſchnell!“

Thiel reißt ſich auf mit gewaltiger An¬
ſtrengung, ſeine ſchlaffen Muskeln ſpannen ſich,
er richtet ſich hoch auf, ſein Geſicht iſt blöd
und tot.

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[46/0058] neugierige Geſichter und jetzt — die Menge knäulte ſich und kam nach vorn. Thiel keuchte, er mußte ſich feſthalten, um nicht umzuſinken, wie ein gefällter Stier. Wahr¬ haftig, man winkt ihm — „nein!“ Ein Aufſchrei zerreißt die Luft von der Unglücksſtelle her, ein Geheul folgt, wie aus der Kehle eines Tieres kommend. Wer war das?! Lene?! Es war nicht ihre Stimme und doch ... Ein Mann kommt in Eile die Strecke herauf. „Wärter!!“ „Was giebt's?“ „Ein Unglück!“ ... Der Bote ſchreckt zu¬ rück, denn des Wärters Augen ſpielen ſeltſam. Die Mütze ſitzt ſchief, die rothen Haare ſcheinen ſich aufzubäumen. „Er lebt noch, vielleicht iſt noch Hilfe.“ Ein Röcheln iſt die einzige Antwort. „Kommen Sie ſchnell, ſchnell!“ Thiel reißt ſich auf mit gewaltiger An¬ ſtrengung, ſeine ſchlaffen Muskeln ſpannen ſich, er richtet ſich hoch auf, ſein Geſicht iſt blöd und tot. Er rennt mit dem Boten, er ſieht nicht die

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Zitationshilfe: Hauptmann, Gerhart: Der Apostel. Bahnwärter Thiel. Novellistische Studien. Berlin, 1892, S. 46. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hauptmann_bahnwaerter_1892/58>, abgerufen am 04.12.2024.