Der Zug hatte eine reichbemessene Fahrzeit und durfte überall anhalten, um die hie und da noch beschäftigten Arbeiter aufzunehmen, andere hingegen abzusetzen. Ein gutes Stück vor Thiels Bude begann man zu bremsen. Ein lautes Quietschen, Schnarren, Rasseln und Klirren durchdrang weithin die Abendstille, bis der Zug unter einem einzigen schrillen, lang¬ gedehnten Ton stillstand.
Etwa fünfzig Arbeiter und Arbeiterinnen waren in den Loren verteilt. Fast alle standen aufrecht, einige unter den Männern mit ent¬ blößtem Kopfe. In ihrer aller Wesen lag eine rätselhafte Feierlichkeit. Als sie des Wärters ansichtig wurden, erhob sich ein Flüstern unter ihnen. Die Alten zogen die Tabakspfeifen zwischen den gelben Zähnen hervor und hielten sie respektvoll in den Händen. Hie und da wandte sich ein Frauenzimmer, um sich zu schnäuzen. Der Zugführer stieg auf die Strecke herunter und trat auf Thiel zu. Die Arbeiter sahen, wie er ihm feierlich die Hand schüttelte, worauf Thiel mit langsamem, fast militärisch steifem Schritt auf den letzten Wagen zuschritt.
Der Zug hatte eine reichbemeſſene Fahrzeit und durfte überall anhalten, um die hie und da noch beſchäftigten Arbeiter aufzunehmen, andere hingegen abzuſetzen. Ein gutes Stück vor Thiels Bude begann man zu bremſen. Ein lautes Quietſchen, Schnarren, Raſſeln und Klirren durchdrang weithin die Abendſtille, bis der Zug unter einem einzigen ſchrillen, lang¬ gedehnten Ton ſtillſtand.
Etwa fünfzig Arbeiter und Arbeiterinnen waren in den Loren verteilt. Faſt alle ſtanden aufrecht, einige unter den Männern mit ent¬ blößtem Kopfe. In ihrer aller Weſen lag eine rätſelhafte Feierlichkeit. Als ſie des Wärters anſichtig wurden, erhob ſich ein Flüſtern unter ihnen. Die Alten zogen die Tabakspfeifen zwiſchen den gelben Zähnen hervor und hielten ſie reſpektvoll in den Händen. Hie und da wandte ſich ein Frauenzimmer, um ſich zu ſchnäuzen. Der Zugführer ſtieg auf die Strecke herunter und trat auf Thiel zu. Die Arbeiter ſahen, wie er ihm feierlich die Hand ſchüttelte, worauf Thiel mit langſamem, faſt militäriſch ſteifem Schritt auf den letzten Wagen zuſchritt.
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Der Zug hatte eine reichbemeſſene Fahrzeit
und durfte überall anhalten, um die hie und
da noch beſchäftigten Arbeiter aufzunehmen,
andere hingegen abzuſetzen. Ein gutes Stück
vor Thiels Bude begann man zu bremſen. Ein
lautes Quietſchen, Schnarren, Raſſeln und
Klirren durchdrang weithin die Abendſtille, bis
der Zug unter einem einzigen ſchrillen, lang¬
gedehnten Ton ſtillſtand.
Etwa fünfzig Arbeiter und Arbeiterinnen
waren in den Loren verteilt. Faſt alle ſtanden
aufrecht, einige unter den Männern mit ent¬
blößtem Kopfe. In ihrer aller Weſen lag eine
rätſelhafte Feierlichkeit. Als ſie des Wärters
anſichtig wurden, erhob ſich ein Flüſtern unter
ihnen. Die Alten zogen die Tabakspfeifen
zwiſchen den gelben Zähnen hervor und hielten
ſie reſpektvoll in den Händen. Hie und da
wandte ſich ein Frauenzimmer, um ſich zu
ſchnäuzen. Der Zugführer ſtieg auf die
Strecke herunter und trat auf Thiel
zu. Die Arbeiter ſahen, wie er ihm
feierlich die Hand ſchüttelte, worauf Thiel mit
langſamem, faſt militäriſch ſteifem Schritt auf
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Hauptmann, Gerhart: Der Apostel. Bahnwärter Thiel. Novellistische Studien. Berlin, 1892, S. 57. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hauptmann_bahnwaerter_1892/69>, abgerufen am 17.07.2024.
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