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Hauptmann, Gerhart: Der Apostel. Bahnwärter Thiel. Novellistische Studien. Berlin, 1892.

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Als er die Sandalen unterband, tauchte ihm
flüchtig auf, wie er zu dem Kostüm, das er
trug, und das ihn von allen übrigen Menschen
unterschied, gekommen war: Die Gestalt Meister
Diefenbachs ging vorüber. -- Dann war es ein
Sprung in frühe Jahre: Er sah sich selbst in
der sogenannten Normaltracht zur Schule gehen.
-- der Glatzkopf des Vaters blickte hinter dem
Ladentische der Apotheke hervor, die Tracht des
Sohnes milde bespöttelnd. Die Mutter hatte
doch immer gesagt, er sei kein Hypochonder.
Der Glatzkopf und das junge Frauengesicht
schoben sich nebeneinander. Welch ein unge¬
heurer Unterschied! Daß er das früher nie be¬
merkt hatte.

Die Sandalen saßen fest. Er legte den
Strick, der die weiße Frieskutte zusammenhielt,
um die Hüften und eine Schnur rund um den
Kopf.

Auf dem Hausflur der Herberge war ein
alter Spiegel angebracht. Einen Augenblick im
Vorübergehen hielt er inne, um sich zu mustern.
Wirklich! -- er sah aus wie ein Apostel. Das
heilige Blond der langen Haare, der starke, rothe,
keilförmige Bart, das kühne, feste und doch so
unendlich milde Gesicht, die weiße Mönchskutte

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Als er die Sandalen unterband, tauchte ihm
flüchtig auf, wie er zu dem Koſtüm, das er
trug, und das ihn von allen übrigen Menſchen
unterſchied, gekommen war: Die Geſtalt Meiſter
Diefenbachs ging vorüber. — Dann war es ein
Sprung in frühe Jahre: Er ſah ſich ſelbſt in
der ſogenannten Normaltracht zur Schule gehen.
— der Glatzkopf des Vaters blickte hinter dem
Ladentiſche der Apotheke hervor, die Tracht des
Sohnes milde beſpöttelnd. Die Mutter hatte
doch immer geſagt, er ſei kein Hypochonder.
Der Glatzkopf und das junge Frauengeſicht
ſchoben ſich nebeneinander. Welch ein unge¬
heurer Unterſchied! Daß er das früher nie be¬
merkt hatte.

Die Sandalen ſaßen feſt. Er legte den
Strick, der die weiße Frieskutte zuſammenhielt,
um die Hüften und eine Schnur rund um den
Kopf.

Auf dem Hausflur der Herberge war ein
alter Spiegel angebracht. Einen Augenblick im
Vorübergehen hielt er inne, um ſich zu muſtern.
Wirklich! — er ſah aus wie ein Apoſtel. Das
heilige Blond der langen Haare, der ſtarke, rothe,
keilförmige Bart, das kühne, feſte und doch ſo
unendlich milde Geſicht, die weiße Mönchskutte

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[67/0081] Als er die Sandalen unterband, tauchte ihm flüchtig auf, wie er zu dem Koſtüm, das er trug, und das ihn von allen übrigen Menſchen unterſchied, gekommen war: Die Geſtalt Meiſter Diefenbachs ging vorüber. — Dann war es ein Sprung in frühe Jahre: Er ſah ſich ſelbſt in der ſogenannten Normaltracht zur Schule gehen. — der Glatzkopf des Vaters blickte hinter dem Ladentiſche der Apotheke hervor, die Tracht des Sohnes milde beſpöttelnd. Die Mutter hatte doch immer geſagt, er ſei kein Hypochonder. Der Glatzkopf und das junge Frauengeſicht ſchoben ſich nebeneinander. Welch ein unge¬ heurer Unterſchied! Daß er das früher nie be¬ merkt hatte. Die Sandalen ſaßen feſt. Er legte den Strick, der die weiße Frieskutte zuſammenhielt, um die Hüften und eine Schnur rund um den Kopf. Auf dem Hausflur der Herberge war ein alter Spiegel angebracht. Einen Augenblick im Vorübergehen hielt er inne, um ſich zu muſtern. Wirklich! — er ſah aus wie ein Apoſtel. Das heilige Blond der langen Haare, der ſtarke, rothe, keilförmige Bart, das kühne, feſte und doch ſo unendlich milde Geſicht, die weiße Mönchskutte 5*

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Zitationshilfe: Hauptmann, Gerhart: Der Apostel. Bahnwärter Thiel. Novellistische Studien. Berlin, 1892, S. 67. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hauptmann_bahnwaerter_1892/81>, abgerufen am 04.12.2024.