Hauptmann, Gerhart: Vor Sonnenaufgang. Berlin, 1889.
Unsinn! Ich bin ja so nüchtern, wie nur möglich. Aber, siehst Du! das ist eben das Merkwürdige: ich kann mich gar nicht mehr ohne sie denken -- das kommt mir so vor wie 'ne Legirung, weißt Du, wie wenn zwei Metalle so recht innig legirt sind, daß man gar nicht mehr sagen kann, das ist das, das ist das. Und Alles so furchtbar selbstverständlich -- kurzum, ich quatsche vielleicht Unsinn -- oder was ich sage ist vielleicht in Deinen Augen Unsinn, aber so viel steht fest: wer das nicht kennt, ist 'n erbärmlicher Frosch. Und so'n Frosch war ich bisher -- und so'n Jammerfrosch bist Du noch. Dr. Schimmelpfennig. Da ist ja richtig der ganze Symptomen-Complex. -- Daß Ihr Kerls doch immer bis über die Ohren in Dinge hineingerathet, die Ihr theoretisch längst verworfen habt, wie zum Beispiel Du die Ehe. So lange ich Dich kenne, laborirst Du an dieser unglückseligen Ehemanie. Loth. Es ist Trieb bei mir, geradezu Trieb. Weiß Gott! mag ich mich wenden, wie ich will. Dr. Schimmelpfennig. Man kann schließlich auch einen Trieb niederkämpfen. Loth. Ja, wenn's 'n Zweck hat, warum nicht? Dr. Schimmelpfennig. Hat's Heirathen etwa Zweck? Loth. Das will ich meinen. Das hat Zweck! Bei mir hat es Zweck. Du weißt nicht, wie ich mich durchgefressen hab bis hierher. Ich mag nicht senti- mental werden. Ich hab's auch vielleicht nicht so ge- fühlt, es ist mir vielleicht nicht ganz so klar bewußt geworden wie jetzt, daß ich in meinem Streben etwas entsetzlich ödes, gleichsam maschinenmäßiges angenommen hatte. Kein Geist, kein Temperament, kein Leben, ja wer weiß, war noch Glauben in mir? Das Alles kommt seit...seit heut wieder in mich gezogen. So merk- würdig voll, so ursprünglich, so fröhlich...Unsinn, Du capirst's ja doch nicht. Dr. Schimmelpfennig. Was Ihr da Alles 7*
Unſinn! Ich bin ja ſo nüchtern, wie nur möglich. Aber, ſiehſt Du! das iſt eben das Merkwürdige: ich kann mich gar nicht mehr ohne ſie denken — das kommt mir ſo vor wie 'ne Legirung, weißt Du, wie wenn zwei Metalle ſo recht innig legirt ſind, daß man gar nicht mehr ſagen kann, das iſt das, das iſt das. Und Alles ſo furchtbar ſelbſtverſtändlich — kurzum, ich quatſche vielleicht Unſinn — oder was ich ſage iſt vielleicht in Deinen Augen Unſinn, aber ſo viel ſteht feſt: wer das nicht kennt, iſt 'n erbärmlicher Froſch. Und ſo'n Froſch war ich bisher — und ſo'n Jammerfroſch biſt Du noch. Dr. Schimmelpfennig. Da iſt ja richtig der ganze Symptomen-Complex. — Daß Ihr Kerls doch immer bis über die Ohren in Dinge hineingerathet, die Ihr theoretiſch längſt verworfen habt, wie zum Beiſpiel Du die Ehe. So lange ich Dich kenne, laborirſt Du an dieſer unglückſeligen Ehemanie. Loth. Es iſt Trieb bei mir, geradezu Trieb. Weiß Gott! mag ich mich wenden, wie ich will. Dr. Schimmelpfennig. Man kann ſchließlich auch einen Trieb niederkämpfen. Loth. Ja, wenn's 'n Zweck hat, warum nicht? Dr. Schimmelpfennig. Hat's Heirathen etwa Zweck? Loth. Das will ich meinen. Das hat Zweck! Bei mir hat es Zweck. Du weißt nicht, wie ich mich durchgefreſſen hab bis hierher. Ich mag nicht ſenti- mental werden. Ich hab's auch vielleicht nicht ſo ge- fühlt, es iſt mir vielleicht nicht ganz ſo klar bewußt geworden wie jetzt, daß ich in meinem Streben etwas entſetzlich ödes, gleichſam maſchinenmäßiges angenommen hatte. Kein Geiſt, kein Temperament, kein Leben, ja wer weiß, war noch Glauben in mir? Das Alles kommt ſeit...ſeit heut wieder in mich gezogen. So merk- würdig voll, ſo urſprünglich, ſo fröhlich...Unſinn, Du capirſt's ja doch nicht. Dr. Schimmelpfennig. Was Ihr da Alles 7*
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Unſinn! Ich bin ja ſo nüchtern, wie nur möglich.
Aber, ſiehſt Du! das iſt eben das Merkwürdige: ich
kann mich gar nicht mehr ohne ſie denken — das kommt
mir ſo vor wie 'ne Legirung, weißt Du, wie wenn zwei
Metalle ſo recht innig legirt ſind, daß man gar nicht
mehr ſagen kann, das iſt das, das iſt das. Und Alles
ſo furchtbar ſelbſtverſtändlich — kurzum, ich quatſche
vielleicht Unſinn — oder was ich ſage iſt vielleicht in
Deinen Augen Unſinn, aber ſo viel ſteht feſt: wer das
nicht kennt, iſt 'n erbärmlicher Froſch. Und ſo'n Froſch
war ich bisher — und ſo'n Jammerfroſch biſt Du noch.
Dr. Schimmelpfennig. Da iſt ja richtig der
ganze Symptomen-Complex. — Daß Ihr Kerls doch
immer bis über die Ohren in Dinge hineingerathet, die
Ihr theoretiſch längſt verworfen habt, wie zum Beiſpiel
Du die Ehe. So lange ich Dich kenne, laborirſt Du
an dieſer unglückſeligen Ehemanie.
Loth. Es iſt Trieb bei mir, geradezu Trieb.
Weiß Gott! mag ich mich wenden, wie ich will.
Dr. Schimmelpfennig. Man kann ſchließlich
auch einen Trieb niederkämpfen.
Loth. Ja, wenn's 'n Zweck hat, warum nicht?
Dr. Schimmelpfennig. Hat's Heirathen etwa
Zweck?
Loth. Das will ich meinen. Das hat Zweck!
Bei mir hat es Zweck. Du weißt nicht, wie ich mich
durchgefreſſen hab bis hierher. Ich mag nicht ſenti-
mental werden. Ich hab's auch vielleicht nicht ſo ge-
fühlt, es iſt mir vielleicht nicht ganz ſo klar bewußt
geworden wie jetzt, daß ich in meinem Streben etwas
entſetzlich ödes, gleichſam maſchinenmäßiges angenommen
hatte. Kein Geiſt, kein Temperament, kein Leben, ja
wer weiß, war noch Glauben in mir? Das Alles kommt
ſeit...ſeit heut wieder in mich gezogen. So merk-
würdig voll, ſo urſprünglich, ſo fröhlich...Unſinn, Du
capirſt's ja doch nicht.
Dr. Schimmelpfennig. Was Ihr da Alles
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