Hauptmann, Gerhart: Vor Sonnenaufgang. Berlin, 1889.
Volk; es sind Leute aus allen Nationen, die sich zu- sammen gethan haben; sie besitzen in Amerika ein hübsches Stück Land, das sie gemeinsam bewirthschaften; alle Arbeit und allen Verdienst theilen sie gleichmäßig. Keiner ist arm, es giebt keine Armen unter ihnen. Beibst (dessen Gesichtsausdruck ein wenig freundlicher geworden war, nimmt bei den letzten Worten Loth's wieder das alte mißtrauisch feindselige Gepräge an; ohne Loth weiter zu beachten, hat er sich neuerdings wieder ganz seiner Arbeit zugewendet und zwar mit den Eingangsworten). Oast vu enner Sahnse! Loth (immer noch sitzend, betrachtet den Alten zuerst mit einem ruhigen Lächeln und blickt dann hinaus in den erwachenden Morgen. Durch den Thor- weg erblickt man weitgedehnte Kleefelder und Wiesenflächen, zwischendurch schlängelt sich ein Bach, dessen Lauf durch Erlen und Weiden verrathen wird. Am Horizonte ein einzelner Bergkegel. Allerorten haben die Lerchen eingesetzt, und ihr ununterbrochenes Getriller schallt bald näher, bald ferner her bis in den Gutshof herein. Jetzt erhebt sich Loth mit den Worten). Man muß spazieren geh'n, der Morgen ist zu prächtig. (Er geht durch den Thorweg hinaus. -- Man hört das Klappen von Holzpantinen. Jemand kommt sehr schnell über die Bodentreppe des Stallgebäudes herunter: es ist Guste.) Guste (eine ziemlich dicke Magd: bloßes Mieder, nackte Arme und Waden, die bloßen Füße in Holzpantinen. Sie trägt eine brennende Laterne). Guda Murja, Voater Beibst. Beibst (brummt). Guste (blickt, die Augen mit der Hand beschattend, durch das Thor Loth nach). Woas iis denn doas fer Enner? Beibst (verärgert). Dar koan Battelleute zum Noarr'n hoa'nn...dar leugt egelganz wie a Forr...vu dan luuß der de Hucke vuul liega. (Beibst steht auf). Macht enk de Roawer zerecht Madel! Guste (welche dabei war, ihre Waden am Brunnen abzuwaschen, ist damit fertig und sagt, bevor sie im Innern des Kuhstalls verschwindet) Glei, glei! Voater Beibst. Loth kommt zurück, giebt Beibst Geld). Da ist 'ne Kleinig- keit. Geld kann man immer brauchen. Beibst (aufthauend, wie umgewandelt, mit aufrichtiger Gutmüthigkeit): Ju, ju! do ha'n Se au Recht...na do dank ich au vielmools. -- Se sein wull d'r Besuch zum Schwieger- suhne? (auf einmal sehr gesprächig): Wissa Se: wenn Se, und Se wull'n da naus gihn auf a Barch zu, wissa Se, do haal'n Se siich links, wissa Se, zängst 'nunder links,
Volk; es ſind Leute aus allen Nationen, die ſich zu- ſammen gethan haben; ſie beſitzen in Amerika ein hübſches Stück Land, das ſie gemeinſam bewirthſchaften; alle Arbeit und allen Verdienſt theilen ſie gleichmäßig. Keiner iſt arm, es giebt keine Armen unter ihnen. Beibſt (deſſen Geſichtsausdruck ein wenig freundlicher geworden war, nimmt bei den letzten Worten Loth's wieder das alte mißtrauiſch feindſelige Gepräge an; ohne Loth weiter zu beachten, hat er ſich neuerdings wieder ganz ſeiner Arbeit zugewendet und zwar mit den Eingangsworten). Oaſt vu enner Sahnſe! Loth (immer noch ſitzend, betrachtet den Alten zuerſt mit einem ruhigen Lächeln und blickt dann hinaus in den erwachenden Morgen. Durch den Thor- weg erblickt man weitgedehnte Kleefelder und Wieſenflächen, zwiſchendurch ſchlängelt ſich ein Bach, deſſen Lauf durch Erlen und Weiden verrathen wird. Am Horizonte ein einzelner Bergkegel. Allerorten haben die Lerchen eingeſetzt, und ihr ununterbrochenes Getriller ſchallt bald näher, bald ferner her bis in den Gutshof herein. Jetzt erhebt ſich Loth mit den Worten). Man muß ſpazieren geh'n, der Morgen iſt zu prächtig. (Er geht durch den Thorweg hinaus. — Man hört das Klappen von Holzpantinen. Jemand kommt ſehr ſchnell über die Bodentreppe des Stallgebäudes herunter: es iſt Guſte.) Guſte (eine ziemlich dicke Magd: bloßes Mieder, nackte Arme und Waden, die bloßen Füße in Holzpantinen. Sie trägt eine brennende Laterne). Guda Murja, Voater Beibſt. Beibſt (brummt). Guſte (blickt, die Augen mit der Hand beſchattend, durch das Thor Loth nach). Woas iis denn doas fer Enner? Beibſt (verärgert). Dar koan Battelleute zum Noarr'n hoa'nn...dar leugt egelganz wie a Forr...vu dan luuß der de Hucke vuul liega. (Beibſt ſteht auf). Macht enk de Roawer zerecht Madel! Guſte (welche dabei war, ihre Waden am Brunnen abzuwaſchen, iſt damit fertig und ſagt, bevor ſie im Innern des Kuhſtalls verſchwindet) Glei, glei! Voater Beibſt. Loth kommt zurück, giebt Beibſt Geld). Da iſt 'ne Kleinig- keit. Geld kann man immer brauchen. Beibſt (aufthauend, wie umgewandelt, mit aufrichtiger Gutmüthigkeit): Ju, ju! do ha'n Se au Recht...na do dank ich au vielmools. — Se ſein wull d'r Beſuch zum Schwieger- ſuhne? (auf einmal ſehr geſprächig): Wiſſa Se: wenn Se, und Se wull'n da naus gihn auf a Barch zu, wiſſa Se, do haal'n Se ſiich links, wiſſa Se, zängſt 'nunder links, <TEI> <text> <body> <div n="1"> <sp who="#LOT"> <p><pb facs="#f0046" n="40"/> Volk; es ſind Leute aus allen Nationen, die ſich zu-<lb/> ſammen gethan haben; ſie beſitzen in Amerika ein hübſches<lb/> Stück Land, das ſie gemeinſam bewirthſchaften; alle<lb/> Arbeit und allen Verdienſt theilen ſie gleichmäßig. 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ſammen gethan haben; ſie beſitzen in Amerika ein hübſches
Stück Land, das ſie gemeinſam bewirthſchaften; alle
Arbeit und allen Verdienſt theilen ſie gleichmäßig. Keiner
iſt arm, es giebt keine Armen unter ihnen.
Beibſt (deſſen Geſichtsausdruck ein wenig freundlicher geworden war,
nimmt bei den letzten Worten Loth's wieder das alte mißtrauiſch feindſelige
Gepräge an; ohne Loth weiter zu beachten, hat er ſich neuerdings wieder ganz
ſeiner Arbeit zugewendet und zwar mit den Eingangsworten). Oaſt vu
enner Sahnſe!
Loth (immer noch ſitzend, betrachtet den Alten zuerſt mit einem ruhigen
Lächeln und blickt dann hinaus in den erwachenden Morgen. Durch den Thor-
weg erblickt man weitgedehnte Kleefelder und Wieſenflächen, zwiſchendurch
ſchlängelt ſich ein Bach, deſſen Lauf durch Erlen und Weiden verrathen wird.
Am Horizonte ein einzelner Bergkegel. Allerorten haben die Lerchen eingeſetzt,
und ihr ununterbrochenes Getriller ſchallt bald näher, bald ferner her bis in
den Gutshof herein. Jetzt erhebt ſich Loth mit den Worten). Man muß
ſpazieren geh'n, der Morgen iſt zu prächtig. (Er geht durch
den Thorweg hinaus. — Man hört das Klappen von Holzpantinen. Jemand
kommt ſehr ſchnell über die Bodentreppe des Stallgebäudes herunter: es iſt Guſte.)
Guſte (eine ziemlich dicke Magd: bloßes Mieder, nackte Arme und
Waden, die bloßen Füße in Holzpantinen. Sie trägt eine brennende Laterne).
Guda Murja, Voater Beibſt.
Beibſt (brummt).
Guſte (blickt, die Augen mit der Hand beſchattend, durch das Thor
Loth nach). Woas iis denn doas fer Enner?
Beibſt (verärgert). Dar koan Battelleute zum Noarr'n
hoa'nn...dar leugt egelganz wie a Forr...vu dan
luuß der de Hucke vuul liega. (Beibſt ſteht auf). Macht enk
de Roawer zerecht Madel!
Guſte (welche dabei war, ihre Waden am Brunnen abzuwaſchen, iſt
damit fertig und ſagt, bevor ſie im Innern des Kuhſtalls verſchwindet)
Glei, glei! Voater Beibſt.
Loth kommt zurück, giebt Beibſt Geld). Da iſt 'ne Kleinig-
keit. Geld kann man immer brauchen.
Beibſt (aufthauend, wie umgewandelt, mit aufrichtiger Gutmüthigkeit):
Ju, ju! do ha'n Se au Recht...na do dank ich au
vielmools. — Se ſein wull d'r Beſuch zum Schwieger-
ſuhne? (auf einmal ſehr geſprächig): Wiſſa Se: wenn Se, und
Se wull'n da naus gihn auf a Barch zu, wiſſa Se, do
haal'n Se ſiich links, wiſſa Se, zängſt 'nunder links,
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