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Hauptmann, Gerhart: Die Weber. Berlin, 1892.

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Das Stübchen des Häuslers Wilhelm Ansorge zu Kaschbach,
im Eulengebirge.
Jn einem engen, von der sehr schadhaften Diele bis zur
schwarz verräucherten Balkendecke nicht sechs Fuß hohen Raum,
sitzen: zwei junge Mädchen, Emma und Bertha Baumert an
Webstühlen, -- Mutter Baumert, eine contracte Alte, auf einem
Schemel am Bett, vor sich ein Spulrad, -- ihr Sohn August
zwanzigjährig, idiotisch, mit kleinem Rumpf und Kopf und
langen, spinnenartigen Extremitäten auf einem Fußschemel,
ebenfalls spulend. Durch zwei kleine, zum Theil mit Papier
verklebte und mit Stroh verstopfte Fensterlöcher der linken Wand
dringt schwaches, rosafarbenes Licht des Abends. Es fällt
auf das weißblonde, offene Haar der Mädchen, auf ihre un-
bekleideten, mageren Schultern, sowie dünne wächserne Nacken,
auf die Falten des groben Hemdes im Rücken, das, nebst einem
kurzen Röckchen aus härtester Leinewand, ihre einzige Be-
kleidung ist. Der alten Frau leuchtet der warme Hauch voll
über Gesicht, Hals und Brust: ein Gesicht, abgemagert zum
Skelett, mit Falten und Runzeln in einer blutlosen Haut, mit
versunkenen Augen, die durch Wollstaub, Rauch und Arbeit
bei Licht entzündlich geröthet und wässrig sind -- einen langen
Kropfhals mit Falten und Sehnen, eine eingefallene, mit ver-
schossenen Tüchern und Lappen verpackte Brust. -- Ein Theil
der rechten Wand, mit Ofen und Ofenbank, Bettstelle und
mehreren grell getuschten Heiligenbildern steht auch noch im
Licht. -- Auf der Ofenstange hängen Lumpen zum trocknen,
hinter dem Ofen ist altes, werthloses Gerümpel angehäuft.
Auf der Ofenbank stehen einige alte Töpfe und Kochgeräthe,
Kartoffelschalen sind zum dörren auf Papier gelegt etc. etc. -- Von
den Balken herab hängen Garnsträhne und Weifen. Körbchen
mit Spulen stehen neben den Webstühlen. Jn der Hinterwand
ist eine niedrige Thür ohne Schloß. Ein Bündel Weiden-
ruthen ist daneben an die Wand gelehnt. Mehrere schadhafte
Viertelkörbe stehen dabei. -- Das Getöse der Webstühle, das
Das Stübchen des Häuslers Wilhelm Anſorge zu Kaſchbach,
im Eulengebirge.
Jn einem engen, von der ſehr ſchadhaften Diele bis zur
ſchwarz verräucherten Balkendecke nicht ſechs Fuß hohen Raum,
ſitzen: zwei junge Mädchen, Emma und Bertha Baumert an
Webſtühlen, — Mutter Baumert, eine contracte Alte, auf einem
Schemel am Bett, vor ſich ein Spulrad, — ihr Sohn Auguſt
zwanzigjährig, idiotiſch, mit kleinem Rumpf und Kopf und
langen, ſpinnenartigen Extremitäten auf einem Fußſchemel,
ebenfalls ſpulend. Durch zwei kleine, zum Theil mit Papier
verklebte und mit Stroh verſtopfte Fenſterlöcher der linken Wand
dringt ſchwaches, roſafarbenes Licht des Abends. Es fällt
auf das weißblonde, offene Haar der Mädchen, auf ihre un-
bekleideten, mageren Schultern, ſowie dünne wächſerne Nacken,
auf die Falten des groben Hemdes im Rücken, das, nebſt einem
kurzen Röckchen aus härteſter Leinewand, ihre einzige Be-
kleidung iſt. Der alten Frau leuchtet der warme Hauch voll
über Geſicht, Hals und Bruſt: ein Geſicht, abgemagert zum
Skelett, mit Falten und Runzeln in einer blutloſen Haut, mit
verſunkenen Augen, die durch Wollſtaub, Rauch und Arbeit
bei Licht entzündlich geröthet und wäſſrig ſind — einen langen
Kropfhals mit Falten und Sehnen, eine eingefallene, mit ver-
ſchoſſenen Tüchern und Lappen verpackte Bruſt. — Ein Theil
der rechten Wand, mit Ofen und Ofenbank, Bettſtelle und
mehreren grell getuſchten Heiligenbildern ſteht auch noch im
Licht. — Auf der Ofenſtange hängen Lumpen zum trocknen,
hinter dem Ofen iſt altes, werthloſes Gerümpel angehäuft.
Auf der Ofenbank ſtehen einige alte Töpfe und Kochgeräthe,
Kartoffelſchalen ſind zum dörren auf Papier gelegt ꝛc. ꝛc. — Von
den Balken herab hängen Garnſträhne und Weifen. Körbchen
mit Spulen ſtehen neben den Webſtühlen. Jn der Hinterwand
iſt eine niedrige Thür ohne Schloß. Ein Bündel Weiden-
ruthen iſt daneben an die Wand gelehnt. Mehrere ſchadhafte
Viertelkörbe ſtehen dabei. — Das Getöſe der Webſtühle, das
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[[25]/0038] Das Stübchen des Häuslers Wilhelm Anſorge zu Kaſchbach, im Eulengebirge. Jn einem engen, von der ſehr ſchadhaften Diele bis zur ſchwarz verräucherten Balkendecke nicht ſechs Fuß hohen Raum, ſitzen: zwei junge Mädchen, Emma und Bertha Baumert an Webſtühlen, — Mutter Baumert, eine contracte Alte, auf einem Schemel am Bett, vor ſich ein Spulrad, — ihr Sohn Auguſt zwanzigjährig, idiotiſch, mit kleinem Rumpf und Kopf und langen, ſpinnenartigen Extremitäten auf einem Fußſchemel, ebenfalls ſpulend. Durch zwei kleine, zum Theil mit Papier verklebte und mit Stroh verſtopfte Fenſterlöcher der linken Wand dringt ſchwaches, roſafarbenes Licht des Abends. Es fällt auf das weißblonde, offene Haar der Mädchen, auf ihre un- bekleideten, mageren Schultern, ſowie dünne wächſerne Nacken, auf die Falten des groben Hemdes im Rücken, das, nebſt einem kurzen Röckchen aus härteſter Leinewand, ihre einzige Be- kleidung iſt. Der alten Frau leuchtet der warme Hauch voll über Geſicht, Hals und Bruſt: ein Geſicht, abgemagert zum Skelett, mit Falten und Runzeln in einer blutloſen Haut, mit verſunkenen Augen, die durch Wollſtaub, Rauch und Arbeit bei Licht entzündlich geröthet und wäſſrig ſind — einen langen Kropfhals mit Falten und Sehnen, eine eingefallene, mit ver- ſchoſſenen Tüchern und Lappen verpackte Bruſt. — Ein Theil der rechten Wand, mit Ofen und Ofenbank, Bettſtelle und mehreren grell getuſchten Heiligenbildern ſteht auch noch im Licht. — Auf der Ofenſtange hängen Lumpen zum trocknen, hinter dem Ofen iſt altes, werthloſes Gerümpel angehäuft. Auf der Ofenbank ſtehen einige alte Töpfe und Kochgeräthe, Kartoffelſchalen ſind zum dörren auf Papier gelegt ꝛc. ꝛc. — Von den Balken herab hängen Garnſträhne und Weifen. Körbchen mit Spulen ſtehen neben den Webſtühlen. Jn der Hinterwand iſt eine niedrige Thür ohne Schloß. Ein Bündel Weiden- ruthen iſt daneben an die Wand gelehnt. Mehrere ſchadhafte Viertelkörbe ſtehen dabei. — Das Getöſe der Webſtühle, das

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Zitationshilfe: Hauptmann, Gerhart: Die Weber. Berlin, 1892, S. [25]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hauptmann_weber_1892/38>, abgerufen am 27.04.2024.