Hauptmann, Gerhart: Die Weber. Berlin, 1892. Kittelhaus. Ja aber ... (Gebrüll von unten.) Ja aber .. Wissen Sie: die Leute machen einen so schrecklichen Standal. Dreißiger. Ziehen wir uns einfach in das andere Zimmer zurück. Da sind wir ganz ungestört. Kittelhaus (unter Kopfschütteln). Wenn ich nur wüßte, was in diese Menschen gefahren ist. Jch muß dem Candidaten darin recht geben, wenigstens war ich bis vor Kurzem auch der Ansicht, die Webers- leute wären ein demüthiger, geduldiger und lenksamer Menschenschlag. Geht es Jhnen nicht auch so, Herr Dreißiger? Dreißiger. Freilich waren sie geduldig und lenksam, freilich waren es früher gesittete und ordent- liche Leute. So lange nämlich die Humanitätsdusler ihre Hand aus dem Spiele ließen. Da ist ja den Leuten lange genug klar gemacht worden, in welchem entsetzlichen Elend sie drin stecken. Bedenken Sie doch, all die Vereine und Comites zur Abhilfe der Webernoth. Schließlich glaubt es der Weber, und nun hat er den Vogel. Nun komme einer her und rücke ihnen den Kopf wieder zurecht. Jetzt ist er im Zuge. Jetzt murrt er ohne Aufhören. Jetzt paßt ihm das nicht und jens nicht. Jetzt möchte alles gemalt und gebraten sein. (Plötzlich ein vielstimmiges aufschwellendes Hurrahgebrüll.) Kittelhaus. So haben sie denn mit all ihrer Humanität nichts weiter zuwege gebracht, als daß aus Lämmern über Nacht buchstäblich Wölfe geworden sind. Dreißiger. Ach was! bei kühlem Verstande, Herr Paster, kann man der Sache vielleicht sogar noch 'ne gute Seite abgewinnen. Solche Vorkommnisse werden vielleicht in den leitenden Kreisen nicht unbemerkt bleiben. Möglicherweise kommt man dort doch mal zu der Ueberzeugung, daß es so nicht mehr lange 6*
Kittelhaus. Ja aber … (Gebrüll von unten.) Ja aber .. Wiſſen Sie: die Leute machen einen ſo ſchrecklichen Standal. Dreißiger. Ziehen wir uns einfach in das andere Zimmer zurück. Da ſind wir ganz ungeſtört. Kittelhaus (unter Kopfſchütteln). Wenn ich nur wüßte, was in dieſe Menſchen gefahren iſt. Jch muß dem Candidaten darin recht geben, wenigſtens war ich bis vor Kurzem auch der Anſicht, die Webers- leute wären ein demüthiger, geduldiger und lenkſamer Menſchenſchlag. Geht es Jhnen nicht auch ſo, Herr Dreißiger? Dreißiger. Freilich waren ſie geduldig und lenkſam, freilich waren es früher geſittete und ordent- liche Leute. So lange nämlich die Humanitätsdusler ihre Hand aus dem Spiele ließen. Da iſt ja den Leuten lange genug klar gemacht worden, in welchem entſetzlichen Elend ſie drin ſtecken. Bedenken Sie doch, all die Vereine und Comités zur Abhilfe der Webernoth. Schließlich glaubt es der Weber, und nun hat er den Vogel. Nun komme einer her und rücke ihnen den Kopf wieder zurecht. Jetzt iſt er im Zuge. Jetzt murrt er ohne Aufhören. Jetzt paßt ihm das nicht und jens nicht. Jetzt möchte alles gemalt und gebraten ſein. (Plötzlich ein vielſtimmiges aufſchwellendes Hurrahgebrüll.) Kittelhaus. So haben ſie denn mit all ihrer Humanität nichts weiter zuwege gebracht, als daß aus Lämmern über Nacht buchſtäblich Wölfe geworden ſind. Dreißiger. Ach was! bei kühlem Verſtande, Herr Paſter, kann man der Sache vielleicht ſogar noch ’ne gute Seite abgewinnen. Solche Vorkommniſſe werden vielleicht in den leitenden Kreiſen nicht unbemerkt bleiben. Möglicherweiſe kommt man dort doch mal zu der Ueberzeugung, daß es ſo nicht mehr lange 6*
<TEI> <text> <body> <div n="1"> <pb facs="#f0096" n="83"/> <sp who="#KITT"> <speaker><hi rendition="#g">Kittelhaus</hi>.</speaker> <p>Ja aber …</p> <stage>(Gebrüll von unten.)</stage> <p>Ja<lb/> aber .. Wiſſen Sie: die Leute machen einen ſo<lb/> ſchrecklichen Standal.</p> </sp><lb/> <sp who="#DRE"> <speaker><hi rendition="#g">Dreißiger</hi>.</speaker> <p>Ziehen wir uns einfach in das<lb/> andere Zimmer zurück. Da ſind wir ganz ungeſtört.</p> </sp><lb/> <sp who="#KITT"> <speaker> <hi rendition="#g">Kittelhaus</hi> </speaker> <stage>(unter Kopfſchütteln).</stage> <p>Wenn ich nur<lb/> wüßte, was in dieſe Menſchen gefahren iſt. Jch<lb/> muß dem Candidaten darin recht geben, wenigſtens<lb/> war ich bis vor Kurzem auch der Anſicht, die Webers-<lb/> leute wären ein demüthiger, geduldiger und lenkſamer<lb/> Menſchenſchlag. Geht es Jhnen nicht auch ſo, Herr<lb/> Dreißiger?</p> </sp><lb/> <sp who="#DRE"> <speaker><hi rendition="#g">Dreißiger</hi>.</speaker> <p>Freilich waren ſie geduldig und<lb/> lenkſam, freilich waren es früher geſittete und ordent-<lb/> liche Leute. So lange nämlich die Humanitätsdusler<lb/> ihre Hand aus dem Spiele ließen. Da iſt ja den<lb/> Leuten lange genug klar gemacht worden, in welchem<lb/> entſetzlichen Elend ſie drin ſtecken. Bedenken Sie<lb/> doch, all die Vereine und Comit<hi rendition="#aq">é</hi>s zur Abhilfe der<lb/> Webernoth. Schließlich glaubt es der Weber, und<lb/> nun hat er den Vogel. Nun komme einer her und<lb/> rücke ihnen den Kopf wieder zurecht. Jetzt iſt er im<lb/> Zuge. Jetzt murrt er ohne Aufhören. Jetzt paßt ihm<lb/> das nicht und jens nicht. Jetzt möchte alles gemalt<lb/> und gebraten ſein.</p><lb/> <stage>(Plötzlich ein vielſtimmiges aufſchwellendes Hurrahgebrüll.)</stage> </sp><lb/> <sp who="#KITT"> <speaker><hi rendition="#g">Kittelhaus</hi>.</speaker> <p>So haben ſie denn mit all ihrer<lb/> Humanität nichts weiter zuwege gebracht, als daß aus<lb/> Lämmern über Nacht buchſtäblich Wölfe geworden ſind.</p> </sp><lb/> <sp who="#DRE"> <speaker><hi rendition="#g">Dreißiger</hi>.</speaker> <p>Ach was! bei kühlem Verſtande, Herr<lb/> Paſter, kann man der Sache vielleicht ſogar noch ’ne<lb/> gute Seite abgewinnen. Solche Vorkommniſſe werden<lb/> vielleicht in den leitenden Kreiſen nicht unbemerkt<lb/> bleiben. Möglicherweiſe kommt man dort doch mal<lb/> zu der Ueberzeugung, daß es ſo nicht mehr lange<lb/> <fw place="bottom" type="sig">6*</fw><lb/></p> </sp> </div> </body> </text> </TEI> [83/0096]
Kittelhaus. Ja aber … (Gebrüll von unten.) Ja
aber .. Wiſſen Sie: die Leute machen einen ſo
ſchrecklichen Standal.
Dreißiger. Ziehen wir uns einfach in das
andere Zimmer zurück. Da ſind wir ganz ungeſtört.
Kittelhaus (unter Kopfſchütteln). Wenn ich nur
wüßte, was in dieſe Menſchen gefahren iſt. Jch
muß dem Candidaten darin recht geben, wenigſtens
war ich bis vor Kurzem auch der Anſicht, die Webers-
leute wären ein demüthiger, geduldiger und lenkſamer
Menſchenſchlag. Geht es Jhnen nicht auch ſo, Herr
Dreißiger?
Dreißiger. Freilich waren ſie geduldig und
lenkſam, freilich waren es früher geſittete und ordent-
liche Leute. So lange nämlich die Humanitätsdusler
ihre Hand aus dem Spiele ließen. Da iſt ja den
Leuten lange genug klar gemacht worden, in welchem
entſetzlichen Elend ſie drin ſtecken. Bedenken Sie
doch, all die Vereine und Comités zur Abhilfe der
Webernoth. Schließlich glaubt es der Weber, und
nun hat er den Vogel. Nun komme einer her und
rücke ihnen den Kopf wieder zurecht. Jetzt iſt er im
Zuge. Jetzt murrt er ohne Aufhören. Jetzt paßt ihm
das nicht und jens nicht. Jetzt möchte alles gemalt
und gebraten ſein.
(Plötzlich ein vielſtimmiges aufſchwellendes Hurrahgebrüll.)
Kittelhaus. So haben ſie denn mit all ihrer
Humanität nichts weiter zuwege gebracht, als daß aus
Lämmern über Nacht buchſtäblich Wölfe geworden ſind.
Dreißiger. Ach was! bei kühlem Verſtande, Herr
Paſter, kann man der Sache vielleicht ſogar noch ’ne
gute Seite abgewinnen. Solche Vorkommniſſe werden
vielleicht in den leitenden Kreiſen nicht unbemerkt
bleiben. Möglicherweiſe kommt man dort doch mal
zu der Ueberzeugung, daß es ſo nicht mehr lange
6*
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDie Weber sind zu Beginn auf schlesisch erschiene… [mehr] Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |