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Staats und Gelehrte Zeitung des Hamburgischen unpartheiischen Correspondenten. Nr. 138, Hamburg, 13. Juni 1832.

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[Spaltenumbruch] von Vitre sehr auszeichnete. Die Chouans ließen
40 Todte auf dem Platze. Die Verhaftungen, be-
sonders von Adligen, währten fort. Das Schloß
Carheil, eine Besitzung der Familie Coislin, wurde
von 250 Mann Truppen überfallen, aber die Herr-
schaft war entflohen. Der bekannte Exdeputirte,
Hr. v. Fourmont, der unter dem Namen Legris
Werbungen für Heinrich V. vornahm, ist mit ge-
nauer Noth entkommen. Ein unverbürgtes Gerücht
behauptet, der Herzogin v. Berri, die sich in der
Begleitung eines Officiers, Namens Legallois, be-
findet, mit dem sie in sehr enger Beziehung stehen
soll, sey es gelungen, sich zu Paimbeuf einzuschiffen.


Der blutige Kampf in der Hauptstadt ist heute
beendigt, und die Regierung hat durch ihr energi-
sches Verfahren die Oberhand behalten. Den gan-
zen Tag hindurch strömten frische Truppen herein,
und die Anzahl des Linien-Militärs soll sich zuletzt
auf 50,000 Mann belaufen haben, denen sich 20,000
treue Nationalgardisten anschlossen. Der Kampf
dauerte bis gestern in den Abend hinein. Es war
etwa 4 Uhr, als die Rebellen, die sich in der Arcis-
Straße barricadirt hatten, von einer starken Abthei-
lung Militär und Nationalgarde, von der Notre-
Dame-Brücke her angegriffen wurde. Das Geschütz
bestrich die Straße und richtete große Verheerungen
an. Besondre Erbitterung zeigten die Nationalgar-
den aus dem Weichbilde, welche die Brücke und die
anliegenden Kays besetzt hielten. Die Kanonen wur-
den gegen die Häuser gerichtet, und viele unschul-
dige Bürger, auch Frauenzimmer, kamen bei dieser
Gelegenheit ums Leben. Die Rebellen erwiederten
mit einem heftigen Gewehrfeuer; die Nationalgarde
litt sehr, unter andern blieb der Oberst einer Legion.
Als der Kriegsminister dieses erfuhr, schickte er meh-
rere Linien-Bataillons mit zwei Kanonen ab, um
die Nationalgarden abzulösen. Diese eröffneten ein
furchtbares Peloton-Feuer, welches nebst der Kano-
nade lange anhielt. Die Jnsurgenten suchten sich
in ihrer Verzweiflung auf die Kanonen zu stürzen,
um sie zu erobern. Der Rest derselben, der von
Einigen auf 2000, von Andern nur auf einige Hun-
dert angegeben wird, warf sich ins Kloster St. Mery
an der Ecke der St. Martin-Straße. Jetzt begab
sich der Marschall Soult an Ort und Stelle, und for-
derte sie auf, sich auf Gnade und Ungnade zu ergeben.
Er ließ ihnen nur 10 Minuten Zeit zur Entschei-
dung. Die Rebellen weigerten sich, und nun wurde,
nach einigen Angaben, durch den General Tiburzio
Sebastiani, Bruder des Ministers, Befehl ertheilt,
die Kirchthüren einzuschießen. Die Jnsurgenten lei-
steten eine verzweiflungsvolle Gegenwehr, aber die
Kirche wurde mit stürmender Hand genommen, und
was nicht über die Klinge sprang, fiel in die Hände
der Eindringenden. Wie es heißt, soll sich unter
den genommenen Fahnen ein großes weißes Panier
befinden; ein Beweis mehr, daß carlistischer Einfluß
eine Haupttriebfeder der Empörung gewesen, wenn
auch beide Parteien, die Carlisten und Republika-
ner, wohl nur die Gelegenheit haben benutzen wollen,
um die Regierung zu stürzen und dann den Kampf
unter sich auszumachen. Mit der Einnahme des
Klosters hatte der eigentliche Widerstand ein Ende;
doch hörte man noch einzelne Schüsse bis um 9 Uhr
Abends bei der Halle. Um diese Zeit hatte sich die
bewaffnete Macht aller Posten wieder bemächtigt; die
Empörer waren todt oder gefangen, oder suchten ihr
[Spaltenumbruch] Heil in der Flucht. Einem Gerüchte zufolge, wa-
ren 1500 vormalige Gardes-du-Corps unter Anfüh-
rung von Garde-Officieren förmlich organisirt, um
an dem Aufstande Theil zu nehmen; man erfährt
aber nicht, daß sie sich irgendwo gezeigt haben. Die
Anzahl der Todten und Verwundeten ist bis jetzt
noch schwer zu bestimmen; 150,000 Patronen sollen
verschossen worden seyn. Eine große Menge von
Leichnamen war auf der Morgue ausgestellt. Die
Truppen haben viel gelitten, und richteten beson-
ders beim Marais, wo der Oberst eines Karabi-
niers-Regiments vom Volke erschossen wurde,
ein furchtbares Gemetzel an. Die Verhaftungen
sind sehr zahlreich: man behauptet, 1500 Personen
befänden sich bereits in Gewahrsam. Gegen den
Hauptredacteur des National, Hrn. Armand Car-
rel,
so wie gegen den republikanisch gesinnten De-
putirten des Jsere-Departements, Hrn. Garnier-
Pag
es, sollen Verhafts-Befehle erlassen seyn. Der
carlistische Deputirte Berryer, der sich zuletzt in
Nantes befand, ist, dem Vernehmen nach, nach Sa-
voyen geflüchtet. Die Gefangenen werden in Ab-
theilungen von 30 bis 50 in der Polizei-Präfectur
und an andern sichern Orten untergebracht: das
Volk zeigt nirgends die Absicht, sie zu befreien.
Auch gegen die Presse sind nachdrückliche Maaßre-
geln getroffen: außer der Tribune und der Quoti-
dienne
wurden gestern auch das Journal du Com-
merce,
der National und der Courrier mit Be-
schlag belegt, die aber heute wieder erschienen und
erklärten, sie würden nur Thatsachen berichten, bis
sie wüßten, wie es der Preßfreiheit ergehen würde.
Ein Theil der Truppen ist bereits entlassen und wurde
auf dem Rückmarsche nach seinen Casernen vom Volke
mit dem Rufe: Es lebe der König! die Linie!
die Nationalgarde! begrüßt. Als der König gestern
durch die Straßen ritt, rief das Volk ebenfalls:
Vive le Roi! einzelne Stimmen verlangten jedoch
seinen Kopf. Der König trat entschlossen mitten
unter die Schreier, mit den Worten: "Hier ist der
König! Wer ihm etwas zu sagen hat, möge reden."
Auch die Minister Montalivet und Argout haben
vielen Muth gezeigt. Nach der Conseils-Versamm-
lung in der Nacht vom Dienstage auf den Mitt-
woch kehrten beide früh Morgens um 2 Uhr, der
Letztere kaum hergestellt und noch auf Krücken, und
nur in Begleitung einiger bei ihnen Angestellten,
zu Fuße nach ihren Hotels zurück. Der Siegel-
bewahrer Barthe wurde mit dem Rufe empfangen:
Nieder mit dem Renegaten vom Juli! Heute ist
die Ruhe so ziemlich hergestellt. Die Carlisten sind
geschreckt, und der Herzog v. Fitz-James läßt an-
zeigen, daß es ihm nicht eingefallen sey, dem Lei-
chenzuge Lamarque's keine Achtung bezeigen zu wol-
len. Alle Läden sind geöffnet und die Fonds haben
sich gehoben: 5 pCts. auf 97 Fr. 90 C., 3 pCts.
auf 68 Fr. 85 C. Hoffentlich wird die Ruhe er-
halten werden, da sich die große Mehrheit aller
Wohlgesinnten der Regierung anschließt, die durch
eine Verordnung vom gestrigen Datum, welche vom
Grafen Montalivet contrasignirt unb bereits heute
Morgen im Moniteur erschienen ist, die Stadt
Paris
in Belagerungsstand erklärt hat. Als Mo-
tiv wird angegeben, daß bewaffnete Aufrührer-
Gruppen sich Angriffe auf öffentliches und Privat-
Eigenthum und mörderische Anfälle auf die Natio-
nalgarde, die Linientruppen, die Municipalgarde
und die Agenten der öffentlichen Behörden er-

[Spaltenumbruch] von Vitré ſehr auszeichnete. Die Chouans ließen
40 Todte auf dem Platze. Die Verhaftungen, be-
ſonders von Adligen, währten fort. Das Schloß
Carheil, eine Beſitzung der Familie Coislin, wurde
von 250 Mann Truppen überfallen, aber die Herr-
ſchaft war entflohen. Der bekannte Exdeputirte,
Hr. v. Fourmont, der unter dem Namen Legris
Werbungen für Heinrich V. vornahm, iſt mit ge-
nauer Noth entkommen. Ein unverbürgtes Gerücht
behauptet, der Herzogin v. Berri, die ſich in der
Begleitung eines Officiers, Namens Legallois, be-
findet, mit dem ſie in ſehr enger Beziehung ſtehen
ſoll, ſey es gelungen, ſich zu Paimbeuf einzuſchiffen.


Der blutige Kampf in der Hauptſtadt iſt heute
beendigt, und die Regierung hat durch ihr energi-
ſches Verfahren die Oberhand behalten. Den gan-
zen Tag hindurch ſtrömten friſche Truppen herein,
und die Anzahl des Linien-Militärs ſoll ſich zuletzt
auf 50,000 Mann belaufen haben, denen ſich 20,000
treue Nationalgardiſten anſchloſſen. Der Kampf
dauerte bis geſtern in den Abend hinein. Es war
etwa 4 Uhr, als die Rebellen, die ſich in der Arcis-
Straße barricadirt hatten, von einer ſtarken Abthei-
lung Militär und Nationalgarde, von der Notre-
Dame-Brücke her angegriffen wurde. Das Geſchütz
beſtrich die Straße und richtete große Verheerungen
an. Beſondre Erbitterung zeigten die Nationalgar-
den aus dem Weichbilde, welche die Brücke und die
anliegenden Kays beſetzt hielten. Die Kanonen wur-
den gegen die Häuſer gerichtet, und viele unſchul-
dige Bürger, auch Frauenzimmer, kamen bei dieſer
Gelegenheit ums Leben. Die Rebellen erwiederten
mit einem heftigen Gewehrfeuer; die Nationalgarde
litt ſehr, unter andern blieb der Oberſt einer Legion.
Als der Kriegsminiſter dieſes erfuhr, ſchickte er meh-
rere Linien-Bataillons mit zwei Kanonen ab, um
die Nationalgarden abzulöſen. Dieſe eröffneten ein
furchtbares Peloton-Feuer, welches nebſt der Kano-
nade lange anhielt. Die Jnſurgenten ſuchten ſich
in ihrer Verzweiflung auf die Kanonen zu ſtürzen,
um ſie zu erobern. Der Reſt derſelben, der von
Einigen auf 2000, von Andern nur auf einige Hun-
dert angegeben wird, warf ſich ins Kloſter St. Mery
an der Ecke der St. Martin-Straße. Jetzt begab
ſich der Marſchall Soult an Ort und Stelle, und for-
derte ſie auf, ſich auf Gnade und Ungnade zu ergeben.
Er ließ ihnen nur 10 Minuten Zeit zur Entſchei-
dung. Die Rebellen weigerten ſich, und nun wurde,
nach einigen Angaben, durch den General Tiburzio
Sebaſtiani, Bruder des Miniſters, Befehl ertheilt,
die Kirchthüren einzuſchießen. Die Jnſurgenten lei-
ſteten eine verzweiflungsvolle Gegenwehr, aber die
Kirche wurde mit ſtürmender Hand genommen, und
was nicht über die Klinge ſprang, fiel in die Hände
der Eindringenden. Wie es heißt, ſoll ſich unter
den genommenen Fahnen ein großes weißes Panier
befinden; ein Beweis mehr, daß carliſtiſcher Einfluß
eine Haupttriebfeder der Empörung geweſen, wenn
auch beide Parteien, die Carliſten und Republika-
ner, wohl nur die Gelegenheit haben benutzen wollen,
um die Regierung zu ſtürzen und dann den Kampf
unter ſich auszumachen. Mit der Einnahme des
Kloſters hatte der eigentliche Widerſtand ein Ende;
doch hörte man noch einzelne Schüſſe bis um 9 Uhr
Abends bei der Halle. Um dieſe Zeit hatte ſich die
bewaffnete Macht aller Poſten wieder bemächtigt; die
Empörer waren todt oder gefangen, oder ſuchten ihr
[Spaltenumbruch] Heil in der Flucht. Einem Gerüchte zufolge, wa-
ren 1500 vormalige Gardes-du-Corps unter Anfüh-
rung von Garde-Officieren förmlich organiſirt, um
an dem Aufſtande Theil zu nehmen; man erfährt
aber nicht, daß ſie ſich irgendwo gezeigt haben. Die
Anzahl der Todten und Verwundeten iſt bis jetzt
noch ſchwer zu beſtimmen; 150,000 Patronen ſollen
verſchoſſen worden ſeyn. Eine große Menge von
Leichnamen war auf der Morgue ausgeſtellt. Die
Truppen haben viel gelitten, und richteten beſon-
ders beim Marais, wo der Oberſt eines Karabi-
niers-Regiments vom Volke erſchoſſen wurde,
ein furchtbares Gemetzel an. Die Verhaftungen
ſind ſehr zahlreich: man behauptet, 1500 Perſonen
befänden ſich bereits in Gewahrſam. Gegen den
Hauptredacteur des National, Hrn. Armand Car-
rel,
ſo wie gegen den republikaniſch geſinnten De-
putirten des Jſere-Departements, Hrn. Garnier-
Pag
ès, ſollen Verhafts-Befehle erlaſſen ſeyn. Der
carliſtiſche Deputirte Berryer, der ſich zuletzt in
Nantes befand, iſt, dem Vernehmen nach, nach Sa-
voyen geflüchtet. Die Gefangenen werden in Ab-
theilungen von 30 bis 50 in der Polizei-Präfectur
und an andern ſichern Orten untergebracht: das
Volk zeigt nirgends die Abſicht, ſie zu befreien.
Auch gegen die Preſſe ſind nachdrückliche Maaßre-
geln getroffen: außer der Tribune und der Quoti-
dienne
wurden geſtern auch das Journal du Com-
merce,
der National und der Courrier mit Be-
ſchlag belegt, die aber heute wieder erſchienen und
erklärten, ſie würden nur Thatſachen berichten, bis
ſie wüßten, wie es der Preßfreiheit ergehen würde.
Ein Theil der Truppen iſt bereits entlaſſen und wurde
auf dem Rückmarſche nach ſeinen Caſernen vom Volke
mit dem Rufe: Es lebe der König! die Linie!
die Nationalgarde! begrüßt. Als der König geſtern
durch die Straßen ritt, rief das Volk ebenfalls:
Vive le Roi! einzelne Stimmen verlangten jedoch
ſeinen Kopf. Der König trat entſchloſſen mitten
unter die Schreier, mit den Worten: “Hier iſt der
König! Wer ihm etwas zu ſagen hat, möge reden.”
Auch die Miniſter Montalivet und Argout haben
vielen Muth gezeigt. Nach der Conſeils-Verſamm-
lung in der Nacht vom Dienſtage auf den Mitt-
woch kehrten beide früh Morgens um 2 Uhr, der
Letztere kaum hergeſtellt und noch auf Krücken, und
nur in Begleitung einiger bei ihnen Angeſtellten,
zu Fuße nach ihren Hotels zurück. Der Siegel-
bewahrer Barthe wurde mit dem Rufe empfangen:
Nieder mit dem Renegaten vom Juli! Heute iſt
die Ruhe ſo ziemlich hergeſtellt. Die Carliſten ſind
geſchreckt, und der Herzog v. Fitz-James läßt an-
zeigen, daß es ihm nicht eingefallen ſey, dem Lei-
chenzuge Lamarque’s keine Achtung bezeigen zu wol-
len. Alle Läden ſind geöffnet und die Fonds haben
ſich gehoben: 5 pCts. auf 97 Fr. 90 C., 3 pCts.
auf 68 Fr. 85 C. Hoffentlich wird die Ruhe er-
halten werden, da ſich die große Mehrheit aller
Wohlgeſinnten der Regierung anſchließt, die durch
eine Verordnung vom geſtrigen Datum, welche vom
Grafen Montalivet contraſignirt unb bereits heute
Morgen im Moniteur erſchienen iſt, die Stadt
Paris
in Belagerungsſtand erklärt hat. Als Mo-
tiv wird angegeben, daß bewaffnete Aufrührer-
Gruppen ſich Angriffe auf öffentliches und Privat-
Eigenthum und mörderiſche Anfälle auf die Natio-
nalgarde, die Linientruppen, die Municipalgarde
und die Agenten der öffentlichen Behörden er-

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[[3]/0003] von Vitré ſehr auszeichnete. Die Chouans ließen 40 Todte auf dem Platze. Die Verhaftungen, be- ſonders von Adligen, währten fort. Das Schloß Carheil, eine Beſitzung der Familie Coislin, wurde von 250 Mann Truppen überfallen, aber die Herr- ſchaft war entflohen. Der bekannte Exdeputirte, Hr. v. Fourmont, der unter dem Namen Legris Werbungen für Heinrich V. vornahm, iſt mit ge- nauer Noth entkommen. Ein unverbürgtes Gerücht behauptet, der Herzogin v. Berri, die ſich in der Begleitung eines Officiers, Namens Legallois, be- findet, mit dem ſie in ſehr enger Beziehung ſtehen ſoll, ſey es gelungen, ſich zu Paimbeuf einzuſchiffen. Paris, den 7 Juni. Der blutige Kampf in der Hauptſtadt iſt heute beendigt, und die Regierung hat durch ihr energi- ſches Verfahren die Oberhand behalten. Den gan- zen Tag hindurch ſtrömten friſche Truppen herein, und die Anzahl des Linien-Militärs ſoll ſich zuletzt auf 50,000 Mann belaufen haben, denen ſich 20,000 treue Nationalgardiſten anſchloſſen. Der Kampf dauerte bis geſtern in den Abend hinein. Es war etwa 4 Uhr, als die Rebellen, die ſich in der Arcis- Straße barricadirt hatten, von einer ſtarken Abthei- lung Militär und Nationalgarde, von der Notre- Dame-Brücke her angegriffen wurde. Das Geſchütz beſtrich die Straße und richtete große Verheerungen an. Beſondre Erbitterung zeigten die Nationalgar- den aus dem Weichbilde, welche die Brücke und die anliegenden Kays beſetzt hielten. Die Kanonen wur- den gegen die Häuſer gerichtet, und viele unſchul- dige Bürger, auch Frauenzimmer, kamen bei dieſer Gelegenheit ums Leben. Die Rebellen erwiederten mit einem heftigen Gewehrfeuer; die Nationalgarde litt ſehr, unter andern blieb der Oberſt einer Legion. Als der Kriegsminiſter dieſes erfuhr, ſchickte er meh- rere Linien-Bataillons mit zwei Kanonen ab, um die Nationalgarden abzulöſen. Dieſe eröffneten ein furchtbares Peloton-Feuer, welches nebſt der Kano- nade lange anhielt. Die Jnſurgenten ſuchten ſich in ihrer Verzweiflung auf die Kanonen zu ſtürzen, um ſie zu erobern. Der Reſt derſelben, der von Einigen auf 2000, von Andern nur auf einige Hun- dert angegeben wird, warf ſich ins Kloſter St. Mery an der Ecke der St. Martin-Straße. Jetzt begab ſich der Marſchall Soult an Ort und Stelle, und for- derte ſie auf, ſich auf Gnade und Ungnade zu ergeben. Er ließ ihnen nur 10 Minuten Zeit zur Entſchei- dung. Die Rebellen weigerten ſich, und nun wurde, nach einigen Angaben, durch den General Tiburzio Sebaſtiani, Bruder des Miniſters, Befehl ertheilt, die Kirchthüren einzuſchießen. Die Jnſurgenten lei- ſteten eine verzweiflungsvolle Gegenwehr, aber die Kirche wurde mit ſtürmender Hand genommen, und was nicht über die Klinge ſprang, fiel in die Hände der Eindringenden. Wie es heißt, ſoll ſich unter den genommenen Fahnen ein großes weißes Panier befinden; ein Beweis mehr, daß carliſtiſcher Einfluß eine Haupttriebfeder der Empörung geweſen, wenn auch beide Parteien, die Carliſten und Republika- ner, wohl nur die Gelegenheit haben benutzen wollen, um die Regierung zu ſtürzen und dann den Kampf unter ſich auszumachen. Mit der Einnahme des Kloſters hatte der eigentliche Widerſtand ein Ende; doch hörte man noch einzelne Schüſſe bis um 9 Uhr Abends bei der Halle. Um dieſe Zeit hatte ſich die bewaffnete Macht aller Poſten wieder bemächtigt; die Empörer waren todt oder gefangen, oder ſuchten ihr Heil in der Flucht. Einem Gerüchte zufolge, wa- ren 1500 vormalige Gardes-du-Corps unter Anfüh- rung von Garde-Officieren förmlich organiſirt, um an dem Aufſtande Theil zu nehmen; man erfährt aber nicht, daß ſie ſich irgendwo gezeigt haben. Die Anzahl der Todten und Verwundeten iſt bis jetzt noch ſchwer zu beſtimmen; 150,000 Patronen ſollen verſchoſſen worden ſeyn. Eine große Menge von Leichnamen war auf der Morgue ausgeſtellt. Die Truppen haben viel gelitten, und richteten beſon- ders beim Marais, wo der Oberſt eines Karabi- niers-Regiments vom Volke erſchoſſen wurde, ein furchtbares Gemetzel an. Die Verhaftungen ſind ſehr zahlreich: man behauptet, 1500 Perſonen befänden ſich bereits in Gewahrſam. Gegen den Hauptredacteur des National, Hrn. Armand Car- rel, ſo wie gegen den republikaniſch geſinnten De- putirten des Jſere-Departements, Hrn. Garnier- Pagès, ſollen Verhafts-Befehle erlaſſen ſeyn. Der carliſtiſche Deputirte Berryer, der ſich zuletzt in Nantes befand, iſt, dem Vernehmen nach, nach Sa- voyen geflüchtet. Die Gefangenen werden in Ab- theilungen von 30 bis 50 in der Polizei-Präfectur und an andern ſichern Orten untergebracht: das Volk zeigt nirgends die Abſicht, ſie zu befreien. Auch gegen die Preſſe ſind nachdrückliche Maaßre- geln getroffen: außer der Tribune und der Quoti- dienne wurden geſtern auch das Journal du Com- merce, der National und der Courrier mit Be- ſchlag belegt, die aber heute wieder erſchienen und erklärten, ſie würden nur Thatſachen berichten, bis ſie wüßten, wie es der Preßfreiheit ergehen würde. Ein Theil der Truppen iſt bereits entlaſſen und wurde auf dem Rückmarſche nach ſeinen Caſernen vom Volke mit dem Rufe: Es lebe der König! die Linie! die Nationalgarde! begrüßt. Als der König geſtern durch die Straßen ritt, rief das Volk ebenfalls: Vive le Roi! einzelne Stimmen verlangten jedoch ſeinen Kopf. Der König trat entſchloſſen mitten unter die Schreier, mit den Worten: “Hier iſt der König! Wer ihm etwas zu ſagen hat, möge reden.” Auch die Miniſter Montalivet und Argout haben vielen Muth gezeigt. Nach der Conſeils-Verſamm- lung in der Nacht vom Dienſtage auf den Mitt- woch kehrten beide früh Morgens um 2 Uhr, der Letztere kaum hergeſtellt und noch auf Krücken, und nur in Begleitung einiger bei ihnen Angeſtellten, zu Fuße nach ihren Hotels zurück. Der Siegel- bewahrer Barthe wurde mit dem Rufe empfangen: Nieder mit dem Renegaten vom Juli! Heute iſt die Ruhe ſo ziemlich hergeſtellt. Die Carliſten ſind geſchreckt, und der Herzog v. Fitz-James läßt an- zeigen, daß es ihm nicht eingefallen ſey, dem Lei- chenzuge Lamarque’s keine Achtung bezeigen zu wol- len. Alle Läden ſind geöffnet und die Fonds haben ſich gehoben: 5 pCts. auf 97 Fr. 90 C., 3 pCts. auf 68 Fr. 85 C. Hoffentlich wird die Ruhe er- halten werden, da ſich die große Mehrheit aller Wohlgeſinnten der Regierung anſchließt, die durch eine Verordnung vom geſtrigen Datum, welche vom Grafen Montalivet contraſignirt unb bereits heute Morgen im Moniteur erſchienen iſt, die Stadt Paris in Belagerungsſtand erklärt hat. Als Mo- tiv wird angegeben, daß bewaffnete Aufrührer- Gruppen ſich Angriffe auf öffentliches und Privat- Eigenthum und mörderiſche Anfälle auf die Natio- nalgarde, die Linientruppen, die Municipalgarde und die Agenten der öffentlichen Behörden er-

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Britt-Marie Schuster, Manuel Wille, Arnika Lutz: Bereitstellung der Texttranskription. (2014-09-26T11:04:13Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.

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Zitationshilfe: Staats und Gelehrte Zeitung des Hamburgischen unpartheiischen Correspondenten. Nr. 138, Hamburg, 13. Juni 1832, S. [3]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hc_1381306_1832/3>, abgerufen am 03.12.2024.