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Hebbel, Friedrich: Maria Magdalene. Hamburg, 1844.

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Menschen-Zustand vermitteln soll, folgt nicht daraus,
daß es sich ganz an die Geschichte hingeben, daß
es historisch seyn muß? Ich habe mich über die-
sen wichtigen Punct an einem andern Ort, in der
Schrift: Ein Wort über das Drama, Hamburg
bei Hoffmann und Campe, 1843, auf den ich hier
wohl verweisen darf, dahin ausgesprochen, daß das
Drama schon an und für sich und ohne specielle
Tendenz (die eigentlich, um recht geschichtlich zu
werden, aus der Geschichte heraus tritt, und die
Nabelschnur, die jede Kraft mit der lebendigen Ge-
genwart verknüpft, durchschneidet, um sie an die todte
Vergangenheit mit einem Zwirnsfaden fest zu binden)
historisch und daß die Kunst die höchste Geschicht-
schreibung sey. Diesen Ausspruch wird Keiner, der
rückwärts und vorwärts zu schauen versteht, an-
fechten, denn er wird sich erinnern, daß uns nur
von denjenigen Völkern der alten Welt, die es zur
Kunst gebracht, die ihr Daseyn und Wirken in
einer unzerbrechlichen Form nieder gelegt haben, ein
Bild geblieben ist, und hierin liegt zunächst der nie
zu verachtende factische Beweis; er wird aber auch
erkennen, daß der sich schon jetzt verstrengernde histo-

Menſchen-Zuſtand vermitteln ſoll, folgt nicht daraus,
daß es ſich ganz an die Geſchichte hingeben, daß
es hiſtoriſch ſeyn muß? Ich habe mich über die-
ſen wichtigen Punct an einem andern Ort, in der
Schrift: Ein Wort über das Drama, Hamburg
bei Hoffmann und Campe, 1843, auf den ich hier
wohl verweiſen darf, dahin ausgeſprochen, daß das
Drama ſchon an und für ſich und ohne ſpecielle
Tendenz (die eigentlich, um recht geſchichtlich zu
werden, aus der Geſchichte heraus tritt, und die
Nabelſchnur, die jede Kraft mit der lebendigen Ge-
genwart verknüpft, durchſchneidet, um ſie an die todte
Vergangenheit mit einem Zwirnsfaden feſt zu binden)
hiſtoriſch und daß die Kunſt die höchſte Geſchicht-
ſchreibung ſey. Dieſen Ausſpruch wird Keiner, der
rückwärts und vorwärts zu ſchauen verſteht, an-
fechten, denn er wird ſich erinnern, daß uns nur
von denjenigen Völkern der alten Welt, die es zur
Kunſt gebracht, die ihr Daſeyn und Wirken in
einer unzerbrechlichen Form nieder gelegt haben, ein
Bild geblieben iſt, und hierin liegt zunächſt der nie
zu verachtende factiſche Beweis; er wird aber auch
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[XXXIV/0054] Menſchen-Zuſtand vermitteln ſoll, folgt nicht daraus, daß es ſich ganz an die Geſchichte hingeben, daß es hiſtoriſch ſeyn muß? Ich habe mich über die- ſen wichtigen Punct an einem andern Ort, in der Schrift: Ein Wort über das Drama, Hamburg bei Hoffmann und Campe, 1843, auf den ich hier wohl verweiſen darf, dahin ausgeſprochen, daß das Drama ſchon an und für ſich und ohne ſpecielle Tendenz (die eigentlich, um recht geſchichtlich zu werden, aus der Geſchichte heraus tritt, und die Nabelſchnur, die jede Kraft mit der lebendigen Ge- genwart verknüpft, durchſchneidet, um ſie an die todte Vergangenheit mit einem Zwirnsfaden feſt zu binden) hiſtoriſch und daß die Kunſt die höchſte Geſchicht- ſchreibung ſey. Dieſen Ausſpruch wird Keiner, der rückwärts und vorwärts zu ſchauen verſteht, an- fechten, denn er wird ſich erinnern, daß uns nur von denjenigen Völkern der alten Welt, die es zur Kunſt gebracht, die ihr Daſeyn und Wirken in einer unzerbrechlichen Form nieder gelegt haben, ein Bild geblieben iſt, und hierin liegt zunächſt der nie zu verachtende factiſche Beweis; er wird aber auch erkennen, daß der ſich ſchon jetzt verſtrengernde hiſto-

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Zitationshilfe: Hebbel, Friedrich: Maria Magdalene. Hamburg, 1844, S. XXXIV. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hebbel_magdalene_1844/54>, abgerufen am 21.11.2024.