Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Hebbel, Friedrich: Maria Magdalene. Hamburg, 1844.

Bild:
<< vorherige Seite

rische Ausscheidungsproceß, der das Bedeutende vom
Unbedeutenden, das uns völlig Abgestorbene, wenn
auch in sich noch so Gewichtige, von dem noch in
den Geschichtsorganismus hinüber Greifenden son-
dert, sich immer steigern, daß er die Nomenclatur
dereinst einmal bis auf die Alexander und Napo-
leone lichten, daß er noch später nur noch die
Völker-Physiognomieen und dann wohl gar nur
noch die durch die Phasen der Religion und Philo-
sophie bedingten allgemeinsten Entwickelungs-Epochen
der Menschheit festhalten, ja sogar, der Humor
kommt hier von selbst, darum verzeihe man ihn, die
deutschen Lyrici, die mit Niemand anstoßen, der
ihnen nicht vorher die Unsterblichkeit einräumt, lieb-
los fallen lassen wird; da nun aber die großen
Thaten der Kunst noch viel seltener sind, als die
übrigen, aus dem einfachen Grunde, weil sie eben
erst aus diesen resultiren, und da sie sich deshalb
langsamer häufen, so leuchtet ein, daß die Kunst
in dem ungeheuren Meer, worin Welle Welle ver-
schlingt, noch lange Baken stecken, und der Nach-
welt den allgemeinen und allerdings an sich un-
verlierbaren, weil unmittelbar im Leben aufgehen-

c*

riſche Ausſcheidungsproceß, der das Bedeutende vom
Unbedeutenden, das uns völlig Abgeſtorbene, wenn
auch in ſich noch ſo Gewichtige, von dem noch in
den Geſchichtsorganismus hinüber Greifenden ſon-
dert, ſich immer ſteigern, daß er die Nomenclatur
dereinſt einmal bis auf die Alexander und Napo-
leone lichten, daß er noch ſpäter nur noch die
Völker-Phyſiognomieen und dann wohl gar nur
noch die durch die Phaſen der Religion und Philo-
ſophie bedingten allgemeinſten Entwickelungs-Epochen
der Menſchheit feſthalten, ja ſogar, der Humor
kommt hier von ſelbſt, darum verzeihe man ihn, die
deutſchen Lyrici, die mit Niemand anſtoßen, der
ihnen nicht vorher die Unſterblichkeit einräumt, lieb-
los fallen laſſen wird; da nun aber die großen
Thaten der Kunſt noch viel ſeltener ſind, als die
übrigen, aus dem einfachen Grunde, weil ſie eben
erſt aus dieſen reſultiren, und da ſie ſich deshalb
langſamer häufen, ſo leuchtet ein, daß die Kunſt
in dem ungeheuren Meer, worin Welle Welle ver-
ſchlingt, noch lange Baken ſtecken, und der Nach-
welt den allgemeinen und allerdings an ſich un-
verlierbaren, weil unmittelbar im Leben aufgehen-

c*
<TEI>
  <text>
    <front>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0055" n="XXXV"/>
ri&#x017F;che Aus&#x017F;cheidungsproceß, der das Bedeutende vom<lb/>
Unbedeutenden, das uns völlig Abge&#x017F;torbene, wenn<lb/>
auch in &#x017F;ich noch &#x017F;o Gewichtige, von dem noch in<lb/>
den Ge&#x017F;chichtsorganismus hinüber Greifenden &#x017F;on-<lb/>
dert, &#x017F;ich immer &#x017F;teigern, daß er die Nomenclatur<lb/>
derein&#x017F;t einmal bis auf die Alexander und Napo-<lb/>
leone lichten, daß er noch &#x017F;päter nur noch die<lb/>
Völker-Phy&#x017F;iognomieen und dann wohl gar nur<lb/>
noch die durch die Pha&#x017F;en der Religion und Philo-<lb/>
&#x017F;ophie bedingten allgemein&#x017F;ten Entwickelungs-Epochen<lb/>
der Men&#x017F;chheit fe&#x017F;thalten, ja &#x017F;ogar, der Humor<lb/>
kommt hier von &#x017F;elb&#x017F;t, darum verzeihe man ihn, die<lb/>
deut&#x017F;chen Lyrici, die mit Niemand an&#x017F;toßen, der<lb/>
ihnen nicht vorher die Un&#x017F;terblichkeit einräumt, lieb-<lb/>
los fallen la&#x017F;&#x017F;en wird; da nun aber die großen<lb/>
Thaten der Kun&#x017F;t noch viel &#x017F;eltener &#x017F;ind, als die<lb/>
übrigen, aus dem einfachen Grunde, weil &#x017F;ie eben<lb/>
er&#x017F;t aus die&#x017F;en <hi rendition="#g">re&#x017F;ultiren</hi>, und da &#x017F;ie &#x017F;ich deshalb<lb/>
lang&#x017F;amer häufen, &#x017F;o leuchtet ein, daß die <hi rendition="#g">Kun&#x017F;t</hi><lb/>
in dem ungeheuren Meer, worin Welle Welle ver-<lb/>
&#x017F;chlingt, noch lange <hi rendition="#g">Baken</hi> &#x017F;tecken, und der Nach-<lb/>
welt den <hi rendition="#g">allgemeinen</hi> und allerdings an &#x017F;ich un-<lb/>
verlierbaren, weil unmittelbar im Leben aufgehen-<lb/>
<fw place="bottom" type="sig"><hi rendition="#aq">c</hi>*</fw><lb/></p>
      </div>
    </front>
  </text>
</TEI>
[XXXV/0055] riſche Ausſcheidungsproceß, der das Bedeutende vom Unbedeutenden, das uns völlig Abgeſtorbene, wenn auch in ſich noch ſo Gewichtige, von dem noch in den Geſchichtsorganismus hinüber Greifenden ſon- dert, ſich immer ſteigern, daß er die Nomenclatur dereinſt einmal bis auf die Alexander und Napo- leone lichten, daß er noch ſpäter nur noch die Völker-Phyſiognomieen und dann wohl gar nur noch die durch die Phaſen der Religion und Philo- ſophie bedingten allgemeinſten Entwickelungs-Epochen der Menſchheit feſthalten, ja ſogar, der Humor kommt hier von ſelbſt, darum verzeihe man ihn, die deutſchen Lyrici, die mit Niemand anſtoßen, der ihnen nicht vorher die Unſterblichkeit einräumt, lieb- los fallen laſſen wird; da nun aber die großen Thaten der Kunſt noch viel ſeltener ſind, als die übrigen, aus dem einfachen Grunde, weil ſie eben erſt aus dieſen reſultiren, und da ſie ſich deshalb langſamer häufen, ſo leuchtet ein, daß die Kunſt in dem ungeheuren Meer, worin Welle Welle ver- ſchlingt, noch lange Baken ſtecken, und der Nach- welt den allgemeinen und allerdings an ſich un- verlierbaren, weil unmittelbar im Leben aufgehen- c*

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/hebbel_magdalene_1844
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/hebbel_magdalene_1844/55
Zitationshilfe: Hebbel, Friedrich: Maria Magdalene. Hamburg, 1844, S. XXXV. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hebbel_magdalene_1844/55>, abgerufen am 03.06.2024.