Hebbel, Friedrich: Maria Magdalene. Hamburg, 1844. Klara. Hör' davon auf, liebe Mutter, Dich greift's an! Mutter. Nein, Kind, mir thut's wohl! Steh' ich denn nicht gesund und kräftig wieder da? Hat der Herr mich nicht bloß gerufen, damit ich erkennen mögte, daß mein Feierkleid noch nicht fleckenlos und rein ist, und hat er mich nicht an der Pforte des Grabes wieder umkehren lassen, und mir Frist gegeben, mich zu schmücken für die himmlische Hochzeit? So gnadenvoll war er gegen jene sieben Jungfrauen im Evangelium, das Du mir gestern Abend vorlesen mußtest, nicht! Darum habe ich heute, da ich zum heiligen Abend- mahl gehe, dies Gewand angelegt. Ich trug es den Tag, wo ich die frömmsten und besten Vorsätze meines Lebens faßte. Es soll mich an die mahnen, die ich noch nicht gehalten habe! Klara. Du sprichst noch immer wie in Deiner Krankheit! Klara. Hör’ davon auf, liebe Mutter, Dich greift’s an! Mutter. Nein, Kind, mir thut’s wohl! Steh’ ich denn nicht geſund und kräftig wieder da? Hat der Herr mich nicht bloß gerufen, damit ich erkennen mögte, daß mein Feierkleid noch nicht fleckenlos und rein iſt, und hat er mich nicht an der Pforte des Grabes wieder umkehren laſſen, und mir Friſt gegeben, mich zu ſchmücken für die himmliſche Hochzeit? So gnadenvoll war er gegen jene ſieben Jungfrauen im Evangelium, das Du mir geſtern Abend vorleſen mußteſt, nicht! Darum habe ich heute, da ich zum heiligen Abend- mahl gehe, dies Gewand angelegt. Ich trug es den Tag, wo ich die frömmſten und beſten Vorſätze meines Lebens faßte. Es ſoll mich an die mahnen, die ich noch nicht gehalten habe! Klara. Du ſprichſt noch immer wie in Deiner Krankheit! <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0074" n="6"/> <sp who="#KLARA"> <speaker><hi rendition="#g">Klara</hi>.</speaker><lb/> <p>Hör’ davon auf, liebe Mutter, Dich greift’s an!</p> </sp><lb/> <sp who="#MUTTER"> <speaker><hi rendition="#g">Mutter</hi>.</speaker><lb/> <p>Nein, Kind, mir thut’s wohl! Steh’ ich denn nicht<lb/> geſund und kräftig wieder da? Hat der Herr mich<lb/> nicht bloß gerufen, damit ich erkennen mögte, daß<lb/> mein Feierkleid noch nicht fleckenlos und rein iſt, und<lb/> hat er mich nicht an der Pforte des Grabes wieder<lb/> umkehren laſſen, und mir Friſt gegeben, mich zu<lb/> ſchmücken für die himmliſche Hochzeit? So gnadenvoll<lb/> war er gegen jene ſieben Jungfrauen im Evangelium,<lb/> das Du mir geſtern Abend vorleſen mußteſt, nicht!<lb/> Darum habe ich heute, da ich zum heiligen Abend-<lb/> mahl gehe, dies Gewand angelegt. Ich trug es den<lb/> Tag, wo ich die frömmſten und beſten Vorſätze meines<lb/> Lebens faßte. Es ſoll mich an die mahnen, die ich<lb/> noch nicht gehalten habe!</p> </sp><lb/> <sp who="#KLARA"> <speaker><hi rendition="#g">Klara</hi>.</speaker><lb/> <p>Du ſprichſt noch immer wie in Deiner Krankheit!</p> </sp> </div><lb/> </div> </body> </text> </TEI> [6/0074]
Klara.
Hör’ davon auf, liebe Mutter, Dich greift’s an!
Mutter.
Nein, Kind, mir thut’s wohl! Steh’ ich denn nicht
geſund und kräftig wieder da? Hat der Herr mich
nicht bloß gerufen, damit ich erkennen mögte, daß
mein Feierkleid noch nicht fleckenlos und rein iſt, und
hat er mich nicht an der Pforte des Grabes wieder
umkehren laſſen, und mir Friſt gegeben, mich zu
ſchmücken für die himmliſche Hochzeit? So gnadenvoll
war er gegen jene ſieben Jungfrauen im Evangelium,
das Du mir geſtern Abend vorleſen mußteſt, nicht!
Darum habe ich heute, da ich zum heiligen Abend-
mahl gehe, dies Gewand angelegt. Ich trug es den
Tag, wo ich die frömmſten und beſten Vorſätze meines
Lebens faßte. Es ſoll mich an die mahnen, die ich
noch nicht gehalten habe!
Klara.
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Zitationshilfe: | Hebbel, Friedrich: Maria Magdalene. Hamburg, 1844, S. 6. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hebbel_magdalene_1844/74>, abgerufen am 16.02.2025. |